Hamburg. Die Gründerin der Hamburger Tafel starb nach schwerer Krankheit. Zum Tod von Annemarie Dose ein Nachruf von Helge Adolphsen.
Annemarie Dose ist tot. Sie starb nach langer und schwerer Krankheit. Ami sagten ihre Vertrauten zu ihr. Ich auch, seit sie in der großen Lichterkirche zum Epiphaniasfest als prominente Hamburgerin Grüße und Wünsche an 3000 Menschen richtete. Die kamen von Herzen. Und erreichten die Herzen. So war sie.
Eine Frau mit einem großen und weiten Herzen, voller Mitgefühl für andere Menschen. Besonders für Menschen in Not. Das habe sie von ihrer Oma gelernt und geerbt, sagte sie einmal. Der Respekt vor der Würde der „kleinen Leute“ war ihr wichtig. Gegenüber allen, die von der Hamburger Tafel leben und manchmal überleben.
Anfang der Hamburger Tafel: Helfen, weil Menschen leben wollen
In ihrem Wohnzimmer steht im Bord ein Foto von Mutter Teresa. Ein Vorbild für Menschlichkeit und Nächstenliebe. Und für das Selbstverständlichste von der Welt: Helfen, weil Menschen leben wollen und sollen. Und ein Recht auf ein menschenwürdiges Dasein haben. Persönliche und materielle Zuwendung geben, ohne nach Titeln, Ansehen und Religion zu fragen, darum ging es Annemarie Dose.
Sie war auf einem der Plakate mit starken Hamburger Frauen überall in Hamburg zu sehen. Ein waches, freundliches Gesicht, charmant und mit einem gewinnenden Lächeln. Darunter ein Satz von ihr: „Man gewinnt Leben neu, wenn man zu helfen bereit ist.“
Das hat sie selbst und für sich entdeckt. 1993 starb ihr Mann. Sie fiel in ein tiefes Loch. Die Zeit ihres Trauerns war lang und schwer. Ein Jahr später, da war sie 65, befreite sie sich aus dem Loch. Die mehrfache Mutter und Großmutter spürte: „Ich muss etwas tun. Ich muss mich selbst retten.“
Sie ging mit einem Korb zu ihrem Bäcker und erbat sich unverkauftes Brot. Das verteilte sie an Bedürftige. Das war der Anfang der dritten Tafel Deutschlands, ihrer Hamburger Tafel. Sie fuhr nach Berlin, wo die erste Tafel schon Erfahrungen gesammelt hatte. Und legte los.
Kopfschütteln über Kritik an der Tafel
Was die Damen Hamburgs sonst so tun, Bridge spielen, Golfen und Kaffeekränzchen, das füllte sie nicht aus. Mit Tatendrang, Begeisterung und Hartnäckigkeit war sie unterwegs. „Geht nicht, gibt’s nicht“, war ihr Motto. „Ich habe nie eine Absage erhalten, wenn ich gefragt habe“, sagte sie einmal. „Nicht bei Unternehmern, nicht bei Bankern, nirgendwo.“
Die Tafel wuchs. Sie war die Chefin. Aber das Wort mochte sie nicht. Sie verwies dann auf die vielen Mitarbeitenden, die alle ehrenamtlich im Einsatz sind. Die waren Annemarie Doses ganzer Stolz. Eben eine große Mannschaft mit Menschen aus allen Schichten. Für sie alle war sie dennoch die Chefin, der Motor.
Sie war weiter unterwegs, als Menschenfängerin, Türöffnerin, als Unternehmerin der Nächstenliebe. Als erfolgreiche Spendensammlerin ohne Ausbildung als Fundraiserin. Sie war weitsichtig und wollte 2002 eine Stiftung gründen. Die Tafel sollte langfristig gesichert werden. Mit der Stiftung wollte sie ihr Haus bestellen und ein gutes Erbe hinterlassen. Da musste sie kämpfen. Und wurde schon mal leidenschaftlich. So habe ich sie erlebt. Auch als sie kopfschüttelnd über die Sozialtheoretiker sprach, die Tafeln kritisierten als Alibi für eine verfehlte Sozialpolitik. „Die Leute müssen doch satt werden“, war ihr Kommentar.
„Niemals die Würde nehmen“
Nach 18 Jahren, als die Tafel volljährig war, gab sie sie in jüngere Hände, an ihren Nachfolger Achim Müller. Es war ein großer und bewegender Abschied für sie im Maritimen Museum. Sie wurde zur Ehrenvorsitzenden ernannt. Eine weitere Auszeichnung neben vielen anderen für ihr einmaliges Lebenswerk. Und alle waren da, vom Sozialsenator über die vielen Mitarbeiter bis zu den Menschen von Hinz&Kunzt. Es war wie ein Lebens-Erntedankfest. Da war Ami 84. „Mein Leben war wunderbar und reich, weil ich gebraucht wurde. Man muss nicht, aber man darf arbeiten.“
Jetzt ist sie von uns gegangen. Eine starke Frau Hamburgs. Unser Bürgermeister, Olaf Scholz, nennt sie eine Bilderbuchhanseatin: „Wenn Annemarie Dose ihre Hand zur Hilfe ausstreckte, dann packte sie fest zu, um andere aufzurichten. Ihr Vermächtnis ist, dass wir Hilfsbedürftigen niemals ihre Würde nehmen dürfen. Was Annemarie Dose für unsere Stadt getan hat, werden wir nicht vergessen. Sie wird uns sehr fehlen.“