Hamburg. Gewalt, Alkohol, klamme Finanzen: Beim Prozessauftakt schildert die Angeklagte Jasmina U. furchtbare Details aus dem Familienleben.
Am Abend des 7. November 2015 stürzt alles auf sie ein, der ganze Stress: das von Schlägen und Schmähungen geprägte Familienleben, die desolate finanzielle Situation; die alltägliche Überforderung. Und dann ruft auch noch ihr Partner an, der sie eben noch geschlagen hat. Jetzt verlangt er von ihr, dass sie eine Rechnung bezahlen soll, obwohl sie doch gar kein Geld hat. Und Max, ihr fünf Monate alter Sohn. Max schreit wie am Spieß und lässt sich nicht beruhigen. Jasmina U. sagt später, dass sich dieser Moment anfühlte, als würde in ihrem Kopf „ein Wirbelsturm der Gedanken“ toben.
Gegen 20 Uhr nimmt sie zwei Decken, 135 mal 200 Zentimeter groß, und bedeckt damit den bäuchlings im Elternbett liegenden, schreienden Jungen. Dann setzt sich Jasmina U. ins Wohnzimmer und schaut sich auf dem Handy eine Spielshow an. Als sie wenig später ins Schlafzimmer zurückkehrt, lebt Maximilian nicht mehr. Er ist unter den Decken erstickt.
So schildert Jasmina U. die schreckliche Tat am Dienstag dem Landgericht. Erst vor einer Woche ist die 29-Jährige vom Frauengefängnis in Billwerder in das psychiatrische Krankenhaus Ochsenzoll verlegt worden. Offenbar war sie von den anderen Insassinnen ob der Tat fortgesetzt gemobbt worden – Kindstötung kommt im Knast gar nicht gut an.
Sie leide „unendlich“, sagt die Angeklagte
Gegen Jasmina U. hat die Staatsanwaltschaft Anklage wegen Totschlags erhoben. Fünf Jahre bis 15 Jahre Gefängnis stehen darauf bei nachgewiesener Schuld. Am Ende könnte es trotzdem weniger sein – sofern das Gericht hinreichende Milderungsgründe sieht. Er gehe davon aus, dass seine Mandantin die Tat im „Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit“ begangen habe, sagt ihr Verteidiger Philipp Napp. Außerdem sei sie mit dem Tod ihres Kindes schon genug gestraft.
Vor Gericht wirkt die Angeklagte erstaunlich gefasst. Am Schluss ihrer von Rechtsanwalt Napp verlesenen Einlassung erklärt sie, warum sie auf Dritte mitunter so emotionslos wirke: Sie habe gelernt, keine Gefühle zu zeigen. Der Eindruck täusche aber, denn tatsächlich leide sie „unendlich“ unter dem Tod ihres Sohnes.
Die Tat selbst bezeichnet Jasmina U. als „Fehlverhalten“, dem ein ganzer „Problemberg“ zugrunde lag. Sie erzählt von ihrer vom Krieg überschatteten Kindheit in Bosnien, davon, wie ihr Vater sie schlägt, wie ihre Familie auf der Flucht in Deutschland von einer Flüchtlingsunterkunft in die nächste umzieht. In der Schule kommt Jasmina U. nicht mit, eine Ausbildung zur Altenpflegerin schmeißt sie hin. Dann verliebt sie sich in Andreas H. Doch der habe sie schlecht behandelt. „Er trank viel Alkohol und schlug mich“, erklärt Jasmina U. „Ich fühlte mich wie seine Sklavin.“ Weil sie sich nach einem anderen Leben sehnte, habe sie Andreas H. mit anderen Männern betrogen. Während einer Tändelei wird die junge Frau schwanger und entscheidet sich für eine Abtreibung. Doch die einmal geweckten Muttergefühle bleiben. Ohne es Andreas H. zu sagen, setzt sie die Pille ab – und wird erneut schwanger.
An den Problemen zwischen beiden Partnern habe die Geburt von Max nichts geändert, erklärt Jasmina U. Andreas habe sie beleidigt und geschlagen. Einmal, so die Angeklagte, habe er den Kleinen kopfüber an den Beinen festgehalten, bis sein Köpfchen rot anlief; ein andermal habe er ihn im Zimmer eingesperrt. Sie habe daraufhin die Polizei alarmiert, die ihrem Freund eine zehntägige Wegweisung aus der Wohnung an der Gaiserstraße in Harburg erteilt habe. Zudem habe sich nach dem Vorfall das Jugendamt eingeschaltet. „Immer wenn jemand vom Amt kam, war Andreas lammfromm“, so Jasmina U. „Waren die Leute weg, schlug er mich grün und blau.“ Auch am Tag der Tat habe er sie geschlagen und als „Schlampe“ beschimpft.
Der kleine Max ist erstickt. In der Rechtsmedizin wurden darüber hinaus Verletzungen am Kopf des Babys festgestellt. Max sei schon mal vom Sofa auf den Boden gefallen, so Jasmin U. „Eine andere Erklärung für die Verletzungen habe ich nicht“, erklärt sie.
Jasmina U. sagt, sie versuche zu verstehen, wie es zu alldem kommen konnte. „Im Rückblick muss ich sagen, dass mein Partner und ich unfähig waren, ein Kind großzuziehen.“ Der Prozess wird fortgesetzt.