Hamburg. Morgen macht die Polizei an 147 Hamburger Straßen wieder Jagd auf Raser – doch es könnte die letzte Aktion dieser Art werden.

Die Regeln des Blitzmarathons sind denkbar einfach: Wer angepasst fährt, hat nichts zu befürchten. Wer rast, der zahlt. Am morgigen Donnerstag bläst die Polizei erneut zur stadtweiten Jagd auf Temposünder. Doch die Aktion ist in diesem Jahr umstritten wie nie zuvor – die Hamburger FDP fordert sogar eine Absage.

20 europäische Länder nehmen Autofahrer ins Visier

In bis zu zehn Bundesländern und 20 europäischen Ländern nimmt die Polizei am Donnerstag Autofahrer ins Visier, die ihren Fuß partout nicht vom Gas nehmen wollen. In Hamburg bleiben die Blitzer von sechs Uhr bis um zwei Uhr am Freitagmorgen scharfgestellt. Im Einsatz: Hunderte Beamte, die mithilfe von Laserpistolen und mobilen Blitzern Temposünder überführen sollen. 147 Straßen werden diesmal geschwindigkeitstechnisch überwacht – das sind 38 weniger als im Vorjahr. Zudem werden auch die Autobahnen verstärkt mit Videofahrzeugen (Provida) kontrolliert.

An diesen 147 Straßen wird geblitzt

Die Hamburger Polizei hält den Blitzmarathon nach wie vor für ein probates Mittel, um Autofahrer nachhaltig für die Gefahren von zu schnellem Fahren zu sensibilisieren. In 16,2 Prozent der im Vorjahr in Hamburg registrierten 7900 Unfällen mit Personenschaden war die Ursache zu hohe Geschwindigkeit, fünf der 20 tödlich verunglückten Menschen waren durch Raserei ums Leben gekommen. „Der Marathon ist einer von vielen Bausteinen im Kampf gegen zu hohe Geschwindigkeit im Straßenverkehr“, sagt Ulf Schröder, Leiter der Verkehrsdirektion. Bei früheren Aktionen sei festzustellen gewesen, dass die Autofahrer sich an dem Tag und „kurze Zeit“ danach besser an die vorgeschriebenen Höchstgeschwindigkeiten gehalten hätten. Beim Blitzmarathon im Vorjahr waren nur rund 2000 (0,5 Prozent) der in Hamburg kontrollierten Autofahrer zu schnell. „Damit ist schon einiges erreicht“, sagt Schröder und ergänzt: „Vielleicht sollte man den Marathon eher unter dem Blickwinkel ,steter Tropfen höhlt den Stein’ betrachten.“

Verkehrsforscher wie Professor Michael Schreckenberg (Uni Duisburg-Essen) bezweifeln, ob der Blitzmarathon das geeignete Vehikel ist, diesen verkehrspädagogisch wertvollen Gedanken zu transportieren. „Diese Aktion ist eine nette PR-Nummer, aber sinnlos“, sagt Schreckenberg. „An einem Tag fahren die Menschen vielleicht etwas langsamer, fahren überangepasst oder lassen aus Angst sogar ihr Auto stehen. Am nächsten Tag ist das alles schon wieder vergessen.“ Zudem sei fraglich, ob die Aktion beim Bürger so ankommt, wie es sich die Polizei erhofft. Viele Autofahrer argwöhnten, dass es nur darum ginge, Kasse zu machen. Polizeisprecherin Tanja von der Ahé hält dagegen: Indem die Polizei die Blitzorte bekanntgebe, werde deutlich, „dass es um den präventiven Aspekt der Verkehrssicherheit geht und nicht um die Einnahme von Bußgeldern“.

Im vierten Jahr der bundesweiten Aktion hat das Interesse am Blitzmarathon spürbar nachgelassen. Sechs Bundesländer beteiligen sich nicht: Baden-Württemberg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern. Die Absagen begründen sie unter anderem mit dem unverhältnismäßig hohen Planungs- und Personalaufwand. Ganz ähnlich äußert sich der FDP-Bürgerschaftsabgeordnete Carl Jarchow. Er fordert Innensenator Andy Grote (SPD) auf, den Marathon abzusagen. „Es wäre besser, die allzu knappen Polizeikräfte effektiv an den prioritären Schwerpunkten einsetzen“, so Jarchow. Gerhard Kirsch, Landeschef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), kritisiert: „Der Blitzmarathon bindet sehr viele Kräfte der Polizei, und es gibt keinen Beleg, dass durch die Aktion weniger Menschen zu schnell fahren.“

Was die Aktion tatsächlich bringt, ist kaum erforscht. Einen Anhaltspunkt liefert eine Studie des Instituts für Straßenwesen der RWTH Aachen: Vor, während und nach dem Marathon im April 2015 wurde an Messpunkten in Köln das Fahrverhalten der Autofahrer untersucht. Demnach sank die Geschwindigkeit der Fahrer in den ersten zwei Wochen nach der Aktion im Schnitt um bis zu drei Kilometer pro Stunde. Klingt nach wenig, bedeutet aber viel: In der Verkehrswissenschaft gilt, dass es 15 Prozent weniger Unfälle mit Toten und Verletzten gibt, wenn die durchschnittliche Geschwindigkeit nur um zwei Prozent sinkt. Verkehrsforscher Schreckenberg verweist zudem auf die Möglichkeit, Anreize für eine umsichtige Fahrweise zu schaffen: „Versicherungen haben Bonusprogramme aufgelegt, die Geld bringen, wenn man sich an Verkehrssicherheitskursen beteiligt. Das zieht vor allem bei jüngeren Leuten.“ Gewerkschaftschef Kirsch ist überzeugt, dass vor allem konstanter Kontrolldruck helfe. Doch dafür fehle es an Personal: In den für die Verkehrssicherheit zuständigen Verkehrsstaffeln seien nach einer jüngsten Erhebung 71 Stellen unbesetzt. Kirsch: „Hier aufzustocken wirkt nachhaltiger als ein Blitzmarathon.“

Unklar ist, ob es die Aktion auch zukünftig geben wird. Die Polizeien der Bundesländer wollen nach Abendblatt-Informationen im Sommer ein neues Konzept beschließen. So soll der Marathon in veränderter Form – mit weniger Stunden und weniger Kontrollstellen – zu täglichen Schwerpunktzeiten über eine ganze Woche ausgedehnt werden. Dann wäre wohl auch das Reizwort Blitzmarathon vom Tisch.