Hamburg. Hamburgs Partnerstadt Shanghai ist eine dynamische 20-Millionen-Metropole, die mit Charme und Wolkenkratzer-Silhouette überrascht.
Shanghai, zurück in die Vergangenheit. Zum Beispiel morgens auf dem People’s Square, wo Herz, Hirn und Seele dieser unglaublich großen, unfassbar vielschichtigen Metropole zu Hause sind. Walzermusik dröhnt aus riesigen Lautsprechern, einige Hundert Paare, mittlere und reifere Jahrgänge, schweben übers glatte Granitparkett. Mit den Klängen aus Wien stimmen sie sich ein auf einen Tag, der heiß zu werden verspricht, heiß und hektisch. Am Volksplatz, den das extravagante Opernhaus – ein gläserner Musentempel –, Einkaufszentren und Museen säumen, hat auch die Stadtregierung ihren Sitz, das Zentrum der urbanen Macht. Aus über 20 Ausgängen quellen die Menschen aus der Metrostation, eine unterirdischen Stadt mit Ausmaßen, die zum Shanghai der Gegenwart passen. Nur ein paar Schritte weiter erinnert ein Clubhaus von 1928 an die Galopprennbahn, auf der sich einst die Schönen und Reichen in den wilden Jahren zwischen den Weltkriegen vergnügten.
Heute wird der Uhrturm auf dieser Anlage überragt vom Tomorrow Square, einem Wolkenkratzer, der wie eine Nadel 285 Meter in den oft versmogten Himmel sticht. Nur ein paar Schritte entfernt, im Volkspark, der größten unter den grünen Lungen der Stadt, meditieren Alte und Junge beim Tai-Chi Chuan, das bei uns immer noch Schattenboxen heißt, aber längst und nicht nur in China als wirksame Übung für Achtsamkeit und Entspannung gilt.
Am Ostufer des Huangpu-Flusses wachsen Wolkenkratzer in den Himmel
Dazwischen sitzen Senioren auf Klappstühlen, essen ihre Suppe oder ein Reisgericht aus mitgebrachten Bambuskörbchen. Die Mahjong-Spieler unter ihnen hocken in Vierergrüppchen zusammen. Hier nämlich klacken noch, wie eh und je, die Steine aufs Brett, hier tragen die Pensionäre noch ihre gefiederten Sänger in Käfigen durch die Gegend, hier wird noch auf den Boden gespuckt, was anderswo längst verpönt ist. Und hier hängt zwar nicht der Himmel voller Geigen, dafür aber an jedem Wochenende so mancher Busch voller Dating-Angebote: Ehe-Anbahnung im analogen Stil: Eltern und Freunde suchen für ihre Kinder oder Bekannten einen möglichst gut situierten Partner.
Shanghai, zurück in die Zukunft. Zum Beispiel und vor allem in Pudong, dem Hauptquartier des Übermorgenlandes. Wer vor 25 oder 30 Jahren schon einmal vom Bund, dem Boulevard am Westufer des Huangpu-Flusses, auf die andere Seite geschaut hat, mag nicht glauben, was er heute sieht – und was im nächsten Monat schon wieder überholt sein kann: eine Skyline, so märchenhaft wie futuristisch, so aufregend wie kitschig. Herausragend: der elegante Shanghai Tower, höchstes Haus Chinas, zweithöchstes der Welt, das Jin-Mao-Gebäude, das wie eine silberne Pagode schimmert, der quietschbunt illuminierte Fernsehturm Oriental Pearl.
Perle des Orients, Paris des Ostens, solche Etiketten trug Shanghai vor 70, 80 und auch vor 90 Jahren, damals Chinas einziges Tor zum Rest der Welt. Keine andere Metropole in Fernost hat danach so viele Häutungen über sich ergehen lassen müssen wie die große Stadt über dem Meer, dies die freie Übersetzung für Shanghai. Es war lange Zeit die erste Weltstadt Asiens, vibrierend, verrucht, hemmungslos, prächtig am Bund und in den Vierteln der Kolonialmächte England, Amerika und Frankreich, elend in den Quartieren derer, die für die Herrschaften aus Europa die Rikschas ziehen mussten.
Danach acht Jahre japanische Besatzung, im Krieg letzte Zuflucht für jüdische Emigranten, die von Hamburg aus den weiten Seeweg angetreten hatten; ihr kleines Revier im Hongkou-Viertel, mit Synagoge und Museum, hat sich bis heute erhalten. Später, in den ersten Jahrzehnten der kommunistischen Herrschaft, geriet Shanghai für lange Zeit ins Abseits, von Peking bewusst missachtet. Es sollte bis Ende der 1980er-Jahre dauern, bis der damalige Bürgermeister, Zhu Rongji, der später Ministerpräsident werden sollte, die Wende einleitete: „Jenseits des Flusses“, so seine Vision, „liegt ein Traum.“
Und dieser Traum wurde binnen weniger Jahre wahr: Auf dem Ostufer des Huangpu-Flusses, der in den Jangtse mündet, wuchsen Wolkenkratzer, Banken, Hotels so schnell wie Pilze nach dem Regen. Zhu Rongji, ein enger Freund Helmut Schmidts, der ja bekanntlich Visionen nicht leiden konnte, setzte immer neue Träume in die Wirklichkeit um, ließ Brücken über und Tunnel unter den Fluss bauen, und die Welt staunte. Vor Ort sah man sich endlich wieder als der Kopf des Drachens, jenes zähen Fabeltiers, das in China vor allem für Kraft, Erfolg, und langes Leben steht. Und noch immer wächst Shanghai jedes Jahr um 600.000 Menschen, die aus dem ganzen Land kommen, um hier ihr Glück zu suchen.
Hat die Stadt seither ihre Seele verloren? Nein, sagt der Hamburger Sinologe und Reiseführer-Autor Dr. Hans-Wilm Schütte, der Shanghai seit über 40 Jahren kennt. Nur zu gern schickt er seine Leser („Marco Polo“, „Baedeker“) in Nostalgie- und Künstler-Viertel, von denen es mehr gibt, als die meisten Besucher vermuten. Hier das Quartier der Kreativen, Moganshan Lu, dort die Gassen der kleinen Leute, saniert, denkmalgeschützt und neuerdings zunehmend von jungen, geschichtsbewussten Chinesen bewohnt. Rund um den Konfuzius-Tempel oder beim Stadtgott-Tempel Changhuang Miao brodelt das pralle Leben in Garküchen und in klassischen Teestuben.
Wie lebt es sich als Ausländer in einer solchen Millionen-Melange? Die Hamburgerin Agnes Döringer schildert nach einem Jahr vor Ort ihre einheimischen Freunde und Kollegen als pragmatisch, hilfsbereit, respektvoll. Ja, sagt Agnes Döringer, die perfekt Chinesisch spricht, die Bürokratie gebe manchmal Rätsel auf, aber im Alltag, in der Nachbarschaft, auf dem kleinen Dienstweg im Büro laufe alles einfach, zuverlässig und schnell. Allerdings hat die international erfahrene Managerin nicht das typische Leben so vieler Expats geführt, die sich in ihren Kondominien, Fitnessclubs und auf dem Golfplatz weitgehend unter ihresgleichen bewegen. In einer charmanten, kleinen Altbau-Wohnung, nicht weit vom Volksplatz entfernt, hat sie stattdessen zusammen mit ihren chinesischen Nachbarn gekocht und die Traditionen beider Seiten gelebt und geachtet.
Das Yin-und-Yang-Prinzip, die Balance zwischen Geben und Nehmen, ist auch für Fritz Horst Melsheimer, Präses der Handelskammer Hamburg, ein Symbol für das stabile Fundament der Partnerschaft: „Der Erfolg liegt ja gerade in der Vielzahl an gemeinsamen Interessen und Kooperationen und an der notwendigen Prise Harmonie“. Beides wird sich im Jubiläumsjahr in einem ambitionierten Programm spiegeln, das neben Experten aus Wirtschaft, Politik und Kultur auch die Hamburger in hohem Maße einbezieht.
Han Bao – die Burg der Chinesen,so heißt Hamburg in Shanghai
Das Motto der China-Time, des hochkarätig besetzten Kulturprogramms, heißt in diesem Jahr „Secret Sounds“. Han Bao – die Burg der Chinesen, wie Hamburg auf Chinesisch heißt, wird im November seine Tore weit öffnen für Musiker, Literaten und Filmemacher aus dem Reich der Mitte. Zu einem anderen Höhepunkt, auf dem Hamburg Summit der Handelskammer, treffen sich im September zum siebten Mal hochrangige Politiker und Wirtschaftsführer aus Peking, Brüssel und Berlin. Schwerpunkt der Gespräche wird die Initiative „Neue Seidenstraße“ sein, mit der Ostasien und Europa noch enger zusammenrücken sollen. Hamburg soll dabei wichtiger Knoten- und Zielpunkt sein.
Zu einem Abenteuer entlang der „echten“ Seidenstraße, der legendären Karawanenroute, machen sich am 15. Mai zwei Busse von China Tours/ZEIT-Reisen auf den Weg von Hamburg nach Shanghai: 13.000 Kilometer, 38 Etappen, 53 Tage. Nur etwas über 42 Kilometer lang war die Strecke, die gestern drei chinesische Langläufer beim Haspa-Marathon zurückgelegt haben. Im November starten dann drei Hamburger in Shanghai. Yin und Yang gelten hier wie dort: für den harmonischen Ausgleich, für Gegensätze, die sich anziehen.