Hamburg. Prof. Jörn Walterhat schon sechs verschiedene Senate erlebt. Er ist seit 1999 die Konstante in Hamburgs Stadtentwicklung.
Wer die Möglichkeit bekommt, mit Oberbaudirektor Prof. Jörn Walter sich etwas länger über Hamburgs Stadtgeschichte zu unterhalten, hat enormes Glück. Mit bildreicher Sprache und viel Energie wandert Hamburgs oberster Stadtplaner durch die Jahrhunderte und offenbart (s)ein fast schon enzyklopädisches Wissen über das Werden dieser Stadt.
Betrachtet man die Machtstruktur der Stadtentwicklungsbehörde, so gehört der Oberbaudirektor der Leitung an. Er konzipiert und steuert die Stadtentwicklung und muss bei allen für das Stadtbild Hamburgs bedeutsamen Vorhaben beteiligt werden. Der Oberbaudirektor hat zwar kein Vetorecht, aber bei Meinungsverschiedenheiten kann er eine Entscheidung der Senatskommission herbeiführen.
Allerdings sieht Jörn Walter seine vorrangige Aufgabe darin, die vielen fachlichen Einzelinteressen in ein städtebauliches Gesamtgefüge einzubinden. Das verlangt einen Ausgleich von Interessen vor allem durch Gespräche. Walter übernimmt daher „die Rolle eines Regisseurs und Mediators einerseits sowie fachlichen Hüters über das Stadtbild andererseits“, wie er sagt.
Seit 1999 arbeitet er in Hamburg als Nachfolger von Egbert Kossak. Der damalige Stadtentwicklungssenator Willfried Maier (Grüne) hatte eine Findungskommission eingesetzt, die sich unter 20 Bewerbern für Walter entschied. Der inzwischen 58-Jährige, der in Bremen geboren wurde, kam Ende der 90er-Jahre aus Dresden, wo er seit 1991 das Stadtplanungsamt geleitet hatte. Jörn Walter weiß um die großen Fußstapfen seiner Vorgänger. Vor allem Fritz Schumacher sei eine Ausnahmeerscheinung gewesen, sagte der aktuelle Amtsinhaber einmal.
Der große Oberbaudirektor gestaltete in den 1920er-Jahren nicht nur den Stadtpark und entwarf unzählige öffentliche Gebäude, sondern entwickelte auch die Masterpläne für große Wohnquartiere wie die Jarrestadt. Mit Schumacher verbindet Walter die Tatsache, dass der berühmte Vorgänger ein Reformer, aber kein Revolutionär gewesen war. Schumacher habe zwischen Traditionalisten und Modernisten gestanden, sagte Walter einmal und fügte hinzu:. „Da sehe ich mich auch.“
In Hamburg erwartete ihn die noch von seinem Vorgänger angestoßene Entwicklung der HafenCity. Walter war und ist maßgeblich an der Planung des neuen Stadtteils beteiligt, einschließlich der Elbphilharmonie. Die Kritik, die Architektur der HafenCitygebäude sei austauschbar und stehe in Kontrast sowohl zur angrenzenden Speicherstadt als auch zum Großteil der Innenstadt, wies Walter zurück.
Für ihn und seine Fähigkeiten spricht, dass er in seinem Amt schon den sechsten Senat mit unterschiedlicher Zusammensetzung erlebt, darunter jeweils eine Alleinregierung von CDU und SPD. Ihn interessiere immer der Zusammenhang von gestalterischen, technischen und gesellschaftlichen Themen, sagte er einmal. Beim Städtebau gehe es um das Ganze. Die Zukunft Hamburgs sieht Walter in der umweltschonend wachsenden Stadt – und zwar sowohl bei der Bevölkerung als auch der Wirtschaft.
Dabei gilt es, die soziale Ausgewogenheit zwischen den Stadtteilen zu beachten. Das kommt Jörn Walter entgegen, denn er ist ein Mensch der Zwischentöne, ein Macher, der Extreme meidet und der Evolution den Vorzug vor dem Radikalen gibt. Das mag eine Grundvoraussetzung für einen Oberbaudirektor sein, der für die Entwicklung einer Stadt verantwortlich ist und dessen Entscheidungen über Jahrzehnte diese Metropole prägen.
Nichtsdestotrotz hat mit der Wahl von Olaf Scholz (SPD) zum Ersten Bürgermeister sich die Rolle des Oberbaudirektors verändert. Einer von Walters Vorgängern, Klaus Müller-Ibold, beklagte vor einiger Zeit, das Amt des Oberbaudirektors sei „kastriert“ worden. So sei dieser in den 1960er- und 1970er-Jahren der Chef des gesamten technischen, baulichen und raumplanerisch-städtebaulichen Geschehens, darunter der Stadtentwässerung und Stadtreinigung mit ihren Betrieben, gewesen. „Heute ist der Oberbaudirektor kaum mehr als der Oberste Stadtplaner Hamburgs“, sagte Müller-Ibold.