Hamburg . 15 Prozent der Azubis im Handwerk geben vorzeitig auf. Gründe sind vielfältig: Allergien, zu hohe Anforderungen und private Probleme.

Es ist bisher nicht gut gelaufen bei Kevin K. Die Ausbildung in seinem Traumberuf als Kfz-Mechatroniker konnte er nicht beenden. Lange hatte er nach dieser Lehrstelle gesucht, aber im zweiten Lehrjahr musste er aufgeben. „Doch ich möchte unbedingt eine Ausbildung machen, am liebsten sollte sie etwas mit Fahrzeugen zu tun haben“, sagt der 20-Jährige. Am Schrauben, an der praktischen Arbeit hängt sein Herz und seine Begeisterung, auch wenn ihm die Theorie mitunter zu schaffen macht.

Zusammen mit Andrea Sander, zuständig für Auszubildende bei der Handwerkskammer, hat er jetzt seine Bewerbungsstrategie überarbeitet. „Gemeinsam haben wir alternative Berufsmöglichkeiten zum Kfz-Mechatroniker besprochen, und zusätzlich hat Kevin K. auch noch einen Plan B.“, sagt Sander. Kevins erster Ausbildungsbetrieb, das Mercedes-Autohaus Tesmer in Harburg, bescheinigt ihm, dass er menschlich sehr integer ist. Doch die Hürden einer Ausbildung zeigen sich mitunter erst viel später.

Auch Natascha F. konnte ihre Ausbildung im Handwerk nicht beenden, obwohl es ihr Traumberuf war: Friseurin. Nach einem halben Jahr merkte sie, dass sie gegen Haarwaschmittel allergisch ist. Die Hände wurden ganz trocken und juckten. „Selbst Handschuhe haben nicht mehr geholfen, immer häufiger hatte ich Kopfschmerzen“, sagt F. „In einem solchen Fall bleibt nur eins: Abbruch der Ausbildung und Neustart“, sagt ihre Meisterin. Im Hamburger Handwerk hat die Zahl der Lehrlingsabbrecher im vergangenen Jahrzehnt stark zugelegt.

Die Vertragslösungen, wie sie im Fachjargon genannt werden, stiegen von 10,4 Prozent (2005) auf 15,4 Prozent 2014 (neuere Zahlen liegen nicht vor). Insgesamt wurden so 2014 rund 1120 von 7260 Lehrverträgen vorzeitig aufgelöst. Damit hat sich in Hamburg die Abbrecherquote in einem Jahrzehnt um knapp 50 Prozent erhöht, liegt aber unter dem Bundesdurchschnitt von 20 Prozent. Studenten haben es im Vergleich zu Auszubildenden noch schwerer: Bundesweit bricht mehr als jeder vierte Bachelorstudent (28 Prozent) sein Studium ab.

Überdurchschnittlich viele Ausbildungsabbrecher gibt es nach einer Aufstellung der Handwerkskammer in den Ausbildungsberufen Friseur, Dachdecker, Fachverkäuferin im Lebensmittelhandwerk, Gebäudereiniger, Kaufmann für Bürokommunikation, Bäcker und Maurer. Die Abbrecherquoten reichen von 31,1 Prozent im Friseurhandwerk bis 18,1 Prozent im Maurerhandwerk. Von den 604 Ausbildungsverträgen im Friseurhandwerk wurden 273 im Jahr 2014 wieder aufgelöst.

Wenn es im Ausbildungsverhältnis nicht rundläuft, so zeigt sich das vor allem im ersten Lehrjahr. Rund die Hälfte der vorzeitigen Vertragsauflösungen erfolgen im ersten Lehrjahr. Aber mehr als ein Drittel der Fehlentscheidungen wird erst im zweiten Lehrjahr deutlich.

Die theoretischen Herausforderungen der Fahrzeugelektronik wurden Kevin K. im zweiten Ausbildungsjahr zum Verhängnis. „Das habe ich einfach nicht gepackt“, sagt er. Damit stand aber die Gesellenprüfung auf dem Spiel. „Wir haben zusammen mit der Berufsschule Hilfestellung in verschiedenen Formen geleistet, aber das hat nicht gereicht, um einen erfolgreichen Abschluss zu garantieren“, sagt Lothar Rohloff von Tesmer. „Jede Vertragslösung ist grundsätzlich eine zu viel“, sagt Josef Katzer, Präsident der Handwerkskammer Hamburg. Aber häufig sei ein solcher Schritt eine sinnvolle Kurskorrektur.

Kevin K. möchte jetzt gern eine Ausbildung als Fahrzeuglackierer machen. „Es ist der Beruf, der dem Kfz-Mechatroniker am nächsten kommt“, sagt Sander. „Da es Helfer-Berufe in der Kfz-Branche nicht mehr gibt, wird die Ausbildung zum Lackierer häufig als Alternative gesehen, wenn es mit dem Kfz-Mechatroniker nicht klappt.“ Das Design von Fahrzeugen hat es Kevin K. angetan. Mehrere Bewerbungen hat er schon geschrieben, bisher erfolglos. Getunte Fahrzeuge, Super-Cars, also amerikanische Mittelklasse-Coupés mit großvolumigem V8-Motor, oder Exoten sind Bereiche, in denen er sich gut auskennt. Zwar gibt es noch einige freie Lehrstellen für Fahrzeuglackierer, aber Kevin K. hat auch keinen ganz glatten Lebenslauf. „Hier muss er versuchen, mit seiner Persönlichkeit und seinem Interesse für Fahrzeuge zu überzeugen“, sagt Sander. Natascha F., die ihre Friseurlehre aus gesundheitlichen Gründen aufgeben musste, orientiert sich ebenfalls um. Sie will in einen kaufmännischen Beruf wechseln. Aber auch das ist nicht ganz einfach, weil sie als Mutter eine Ausbildung in Teilzeit absolvieren will.

„Die Lösung eines Ausbildungsvertrages ist nicht gleichbedeutend mit einem Ausbildungsabbruch“, sagt Katzer. Die Gründe für den Abbruch reichen laut Kammer von gesundheitlichen Problemen über eine mangelnde Ausbildungsfähigkeit der Jugendlichen und eine ungeeignete Berufswahl bis zu Problemen in der Berufsschule. Dort machen vor allem theoretische Anforderungen zu schaffen.

Bei den Dachdeckern fallen 30 bis 40 Prozent der Auszubildenden in der theoretischen Prüfung im ersten Anlauf durch. Mit 27 Prozent hat das Dachdeckerhandwerk eine der höchsten Abbrecherquoten. „Viele sind nicht ausbildungsreif“, sagt Obermeister Marco Zahn. Es fehle an Grundvoraussetzungen wie Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Durchsetzungswillen. Bei einem Bewerber schaut Zahn nicht zuerst auf die Zensuren, sondern auf die Rubrik unentschuldigte Fehltage. Denn schulische Defizite können mit Nachhilfeunterricht der Innung ausgeglichen werden, Einstellungs- und Haltungsfragen zum Beruf aber nicht.

Große Probleme bereiten Aufgaben in der Chemie und Physik

Ein Drittel der Vertragslösungen findet noch in der Probezeit statt. Die Dachdecker verlieren nach dem Ausbildungsbeginn im August bis zum November ein Viertel ihrer Lehrlinge. „Gerade die Probezeit ist dazu da, falsche Ausbildungsentscheidungen zu korrigieren“, sagt Ute Kretschmann, Sprecherin der Handwerkskammer. „Aber rund 50 Prozent der Abbrecher schließen wieder einen Ausbildungsvertrag ab. Sie sind für das Handwerk nicht verloren.“

Obwohl kein Gewerk mehr auf ein Praktikum vor Lehrbeginn verzichtet, sind falsche Vorstellungen vom künftigen Beruf ein großes Problem. Bei den Gebäudereinigern mit einer Abbrecherquote von 23 Prozent braucht es mehr als feuchte Lappen. „Viele unterschätzen den Beruf und scheitern an der Theorie“, sagt Wolfgang Molitor von der Landesinnung der Gebäudereiniger Nordost. Große Probleme bereiten Aufgaben in der Chemie und Physik sowie Flächenberechnung.

Ob gescheiterte Friseure, Bäcker oder Maurer: Die Probleme in der Ausbildung haben häufig auch ganz persönliche Ursachen. Ärger mit der Freundin oder den Eltern, bedrückende Wohnverhältnisse oder Schulden. Doch nur wenn die Lehrlinge Vertrauen gewinnen und ihre Probleme offenbaren, kann ihnen geholfen werden. „Was die Ausbilder zu hören bekommen, ist zum Teil sehr ernüchternd. Unter solchen Umständen könnte ich auch nicht arbeiten“, sagt Torsten Rendtel, Geschäftsführer des Ausbildungszentrums Bau.
„Wenn wir nicht bei den persönlichen Problemen ansetzen und mit einem Netzwerk helfen würden, wäre die Abbrecherquote doppelt so hoch.“

Auch Kevin K. musste schon einige Probleme bewältigen. „Wichtig ist mir, dass ich eine Ausbildung erfolgreich abschließe“, sagt er. Dazu hat er noch einen Plan B, wenn es mit den Fahrzeugen doch nicht klappt. Auch eine Ausbildung im Einzelhandel kann er sich vorstellen.