Hamburg . Franzosen planen eine Milliarde Euro teures Überseequartier mit Geschäften und Wohnungen. Innenstadt-Kaufleute fürchten Umsatzeinbußen.
Die HafenCity hofft auf Unibail-Rodamco, denn das französische Immobilienunternehmen soll das seit 2010 brachliegende südliche Überseequartier bebauen – und damit einen Meilenstein für die Entwicklung der HafenCity setzen. 977 Millionen Euro – deutlich mehr als die zunächst veranschlagten 860 Millionen Euro – wollen die Franzosen investieren. Die Fertigstellung ist für 2021 geplant.
Die Stadt hat Zugeständnisse gemacht, vor allem bei der Größenordnung der Bebauung. So sind etwa 80.500 der 260.000 Quadratmeter Gesamtfläche für Einzelhandel geplant. Das entspricht rund 68.000 Quadratmetern Verkaufsfläche. Bis zu 190 Geschäfte sollen dort eröffnen. Im Masterplan HafenCity waren ursprünglich nur 40.000 Quadratmeter vorgesehen.
Doch die Einzelhändler in der Innenstadt haben Angst vor dem geplanten Einkaufsquartier. Der Trägerverbund Projekt Innenstadt geht von bis zu 15 Prozent Umsatzrückgang durch die neue Konkurrenz aus. Brigitte Engler, die als Citymanagerin die Interessen von mehr als 800 Gewerbetreibenden vertritt, spricht von „deutlich mehr als zehn Prozent“. Das sei vor dem Hintergrund des zunehmenden Onlineshoppings und der Entwicklung weiterer Flächen im Innenstadtbereich „schon beängstigend“, sagt Engler.
Im vergangenen Jahr lag der Umsatz des Einzelhandels in der Innenstadt bei rund 1,9 Milliarden Euro. Das würde Einbußen von gut 200 Millionen Euro bedeuten. Die Einzelhandelsfläche in der Innenstadt ist etwa 345.000 Quadratmeter groß. Das heißt, die geplante Verkaufsfläche im südlichen Überseequartier würde etwa 20 Prozent der bisherigen Verkaufsfläche in der City ausmachen. Zum Vergleich: Die Verkaufsfläche des Alstertal-Einkaufszentrums (AEZ) in Poppenbüttel mit 240 Ladeneinheiten ist rund 59.000 Quadratmeter groß. Die Europa-Passage als größte innerstädtische Einkaufsgalerie hat eine Verkaufsfläche von rund 30.000 Quadratmetern.
In einem von der HafenCity GmbH beauftragten Gutachten wird für die Branchen „Bekleidung/Schuhe/Leder“ in Bezug auf die Innenstadt von einer „Umsatzumlenkung“ von neun Prozent ausgegangen.
Das südliche Überseequartier könnte auch Händler aus der City abwerben
Mit Sorge betrachtet Heinrich Grüter, Geschäftsführer des Trägerverbunds Projekt Innenstadt, der für rund 100 Grundeigentümer und Gewerbetreibende spricht, die Entwicklung. „Die Einzelhandelsumsätze, die im südlichen Überseequartier gemäß der Unibail-Rodamco-Planung künftig getätigt würden, gingen eindeutig zulasten der Substanz des bestehenden City-Einzelhandels. Wir befürchten Umsatzeinbußen von bis zu 15 Prozent, und das ist für viele Einzelhändler nur schwer aufzufangen.“ Es bestehe die Gefahr, dass sich Händler aus der Innenstadt verabschieden und ins südliche Überseequartier wechseln. Das gelte insbesondere für Einzelhändler am Rand der Innenstadt, der besonders bedroht sei. Dies könne dort zu Leerständen führen.
Auch Grüter macht auf Projektentwicklungen in der Innenstadt aufmerksam, durch die weitere Kapazität entstehe: In den geplanten „Stadthöfen“ an der Stadthausbrücke sind rund 5000 Quadratmeter für Einzelhandel vorgesehen, und am Alten Wall sollen bis 2018 weitere 12.000 Quadratmeter Verkaufsfläche entstehen.
Dass die Innenstadt und die HafenCity gemeinsam von dem neuen Einkaufszentrum profitieren, weil die Kunden in beiden Quartieren einkaufen, sieht Citymanagerin Engler nicht: „Wir gehen davon aus, dass die Kunden sich für einen der Einkaufsorte entscheiden und keinen Fußweg zurücklegen, um in der Innenstadt und der HafenCity zu shoppen. Das neue Einkaufszentrum wird in der nun geplanten Größenordnung ein autarkes Center, das keine Anbindung an die Kerncity mehr benötigt.“
Auch Bezirkspolitiker sind skeptisch: „Die neue Verkaufsfläche, die in der HafenCity entsteht, wird durch ihre Größenordnung spürbar Kaufkraft aus der Innenstadt abziehen“, sagt Michael Osterburg, Grünen-Fraktionschef in der Bezirksversammlung Mitte. Der Politiker fordert: „Die Verkaufsfläche darf die ursprünglich vorgesehenen 40.000 Quadratmeter nicht übersteigen. Dann wäre das Bauvorhaben auch für die Innenstadt zu verkraften.“
Der CDU-Wirtschaftsexperte David Erkalp sagt dazu: „Die Kaufkraft steigt nicht allein dadurch, dass man ein neues Einkaufszentrum in der HafenCity baut. Das bedeutet viel mehr, dass der Wettbewerb um die bestehenden Kunden härter wird.“ Der Christdemokrat fordert: „Der Senat muss für die Zukunft aber dringend das Zusammenwachsen beider Quartiere anstreben.“
Die SPD befürwortet die Planung für das südliche Überseequartier
Der SPD-Stadtentwicklungsexperte Dirk Kienscherf sieht die Planungen positiv: „Mit dem südlichen Überseequartier wird nun das seit Jahren vermisste Herz der HafenCity geschaffen. Es ist ein gemischtes Quartier mit jetzt deutlich mehr Wohnen, zudem Büros, Entertainment, Gastronomie und starker Einzelhandelsfunktion.“ Diese sei mit rund 80.000 Quadratmetern groß bemessen, habe aber insgesamt nur einen Flächenanteil von rund einem Drittel des neuen Quartiers.
Die städtische HafenCity GmbH sieht keinen Anlass für Kritik: „Ein erheblicher Teil des Handels befürwortet das Überseequartier, weil endlich die Möglichkeit besteht, in Hamburg im größeren Maße präsent zu sein. Das betrifft internationale Händler, aber auch Unternehmen aus Deutschland“, sagte Sprecherin Susanne Bühler.
Das 977-Millionen-Euro-Bauvorhaben von Unibail-Rodamco umfasst mehr als nur Einzelhandel: 65.000 Quadratmeter Bürofläche und rund 500 Wohnungen sind geplant. Für Kultur- und Entertainment sind rund 12.000 Quadratmeter vorgesehen – und etwa 8000 Quadratmeter für Gastronomie, dieses Angebot ist in den 80.500 Quadratmetern Fläche für den Einzelhandel noch nicht einkalkuliert. Zudem sollen zwei Hotels mit insgesamt 40.000 Quadratmetern Bruttogeschossfläche entstehen. Außerdem sind 2900 Stellplätze vorgesehen. Der erste Spatenstich für das Bauvorhaben ist Anfang 2017 geplant.
Auch Citymanagerin Brigitte Engler weiß, dass das Projekt kaum noch aufzuhalten ist, und fordert: „Damit beide Konzepte die Chance haben, nebeneinander zu funktionieren, muss die Stadt ab sofort Hamburg als Shoppingmetropole international vermarkten, um mehr Kaufkraft zu generieren.“