Altstadt. André Poitiers will in Altona kein Yuppie-Viertel bauen. Mit künftigen Bewohnern diskutiert er gerne auch mal in der Kneipe
Es kommt selten vor, dass ein Interviewpartner so gut vorbereitet ist wie André Poitiers. Die stichwortartigen Fragen, die man als Gesprächsgrundlage vorab schickte, liegen detailgenau beantwortet auf dem blank polierten Glastisch seines Büros. Außerdem wurden Erkundigungen bei einem ehemaligen Vorgesetzten der Redakteurin eingeholt. Eins ist schon mal klar: André Poitiers überlässt nichts dem Zufall.
Deshalb hat er auch sämtliche Ausbildungszeugnisse schnell zur Hand, die ein Meer aus Einsen aufweisen. Ob in der Tischlerlehre der Asmus-Yachtwerft in Glückstadt oder als Bankkaufmann bei der Haspa – nach Noten bewertet muss André Poitiers ein Musterschüler gewesen sein. Die Leidenschaft fürs Segeln ist geblieben, die Leidenschaft für Häuser war aber größer als die für Schiffe oder Bankkonten. Und so studierte der gebürtige Hamburger schließlich Architektur an der TU Braunschweig, ebenfalls mit sehr gutem Abschluss.
Besonders inspiriert hat ihn Sir Norman Foster. Bei dem Londoner Stararchitekten verbrachte Poitiers ein Jahr nach seinem Studium. „Es war die prägendste Zeit meines Lebens, in der ich gelernt habe, mit verschiedensten Kulturen zusammenzuarbeiten“, erzählt er. Und wie bei Foster arbeiten auch bei Poitiers heute im Kontorhaus am Großen Burstah „nur gude Leude, die sich von der Uni kennen“, sagt der 57-Jährige in feinstem Hamburgisch.
Es sind aber nicht Hunderte, sondern nur etwa zehn Mitarbeiter, die an ihren Tischen sitzen. Vergleichsweise wenige, betrachtet man das Auftragsvolumen: Zu den realisierten Projekten zählt etwa die neu gestaltete Flaniermeile am Jungfernstieg. „Wenn ich mit der Bahn an der Alster vorbeifahre und sehe, dass alle Bänke besetzt sind, freut mich das riesig. Ich liebe es, wenn Menschen meine Bauten in Beschlag nehmen“, sagt Poitiers. Ebenfalls von ihm entworfen wurden das Kempertrautmann Haus an den Großen Bleichen, wo heute die Werbeagentur Thjnk und der Autohersteller Tesla sitzen, sowie das Eckhaus am Heuberg 1, in dem unten ein Haushaltswarenladen eingezogen ist. Es stehen noch an: das Stadthafenquartier in Berlin und die Neue Mitte Altona.
Bevor er Häuser bauen durfte, gestaltete Poitiers die Filialen von Dat Backhus in Blankenese, Rotherbaum und Eppendorf. Daraus entstand der Auftrag für alle 80 Häuser in Hamburg, von der Ladeneinrichtung über den Schriftzug bis zum Abwaschwagen. Das bedeutende italienische Designmagazin „Domus“ berichtete darüber auf 16 Seiten. „Das war unser großer Durchbruch“, erzählt der Architekt.
Ein Architekt sei heute auch Soziologe, sagt André Poitiers
An der Wand des Konferenzraums hängt eine riesige Zeichnung, die das Areal der Mitte Altona zeigt. Kürzlich wurde der erste Spatenstich für das Mammutprojekt mit 3600 neuen Wohnungen getan. Poitiers’ Entwürfe wurden von der Stadt mit dem ersten Preis bedacht. Er ist der Masterplaner des viel diskutierten Bauvorhabens.
264 Sitzungen habe es bereits dazu gegeben. „Heute diskutieren nicht nur Politiker und Investoren in den Runden, sondern auch Bürgerinitiativen, Gutachter und Anwohner. Dadurch wird der Bauprozess komplizierter“, sagt Poitiers. „Ein Architekt ist heute nicht nur 3-D-Designer, sondern auch Soziologe. Er ist mitverantwortlich dafür, dass urbanes Leben funktioniert.“
Um die künftigen Bewohner nach ihren Vorstellungen zu fragen, setzt Poitiers sich gerne auch mal mit ihnen in die Kneipe. „Die Bürger holen sich ihre Stadt zurück. Sie wollen genau wissen, was in ihr passiert“, sagt er. „Für einen Architekten besteht die Aufgabe darin, das Wesen der Stadt zu verstehen und es weiterzuentwickeln.“
Nicht umsonst sind seine Lieblingsbücher „Die Geschichte der Stadt“ von Leonardo Benevolo und „Die Stadt“ von Lewis Mumford. Die Hände, mit denen Poitiers durch die Buchseiten streift, sind rau, fast grob – richtige Arbeiterhände. Schon als Jugendlicher hat er in der Tischlerei seiner Mutter in Rellingen mitgeholfen. Um das Studium zu finanzieren, jobbte er auf dem Bau als Tischler und Lackierer. „Es ist wichtig, dass ein Architekt etwas von der tatsächlichen Arbeit auf der Baustelle versteht“, sagt Poitiers.
Theoretisch hätte er dort auch seine Partnerin kennenlernen können. Katharina Feddersen, 43, Anwältin für Bau- und Architektenrecht bei der Hamburger Kanzlei Osborne Clarke, teilt Poitiers Leidenschaft für Baustellen und zu füllende Baulücken. „Das ist extrem wichtig bei dem Pensum an Arbeit, das wir beide erfüllen“, sagt André Poitiers.
Dass sie kaum mehr privat ausgehen, liegt am größten gemeinsamen „Hobby“: Seit zehn Monaten stellt ihr Sohn Yves Paul Leben und Innenstadtwohnung auf den Kopf. Wie seine Partnerin war auch Poitiers lange davon überzeugt, dass ihr forderndes Berufsleben nicht mit Kindern vereinbar sei. Doch es kam anders. Heute ist André Poitiers ein ebenso leidenschaftlicher Vater wie Stadtplaner. Mit seinem „süßen Rabauken“ verbringt er so viel Zeit wie möglich. Wenn er ihn nachmittags aus der Kita abholt, dreht Poitiers erst mal ein paar Runden ums Heiligengeistfeld.
Wenn das Paar unterwegs zu Terminen außerhalb der Stadt ist, springen die Eltern der Anwältin ein und reisen einfach mit nach München, Wien oder Paris. Und nachts, wenn der Architekt in seiner Wachphase zwischen zwei und drei Uhr E-Mails verschickt, leistet ihm Yves Paul Gesellschaft. „Noch bringt es ihm mehr Freude, meine Türme aus Bauklötzen zu zerstören, als selbst welche zu bauen. Aber ich arbeite daran“, sagt der stolze Vater.