Hamburg. Die Stadt droht bei der Energiewende ins Hintertreffen zu geraten. Städte wie München, Karlsruhe und sogar London sind moderner – sagt der Energieexperte Christian Maaß

Umweltsenator Jens Kerstan will auf ein neues Gaskraftwerk für die Hamburger Fernwärme verzichten. Dies ist vernünftig, weil die Risiken einer solchen Investition erheblich sind und am Ende vom Steuerzahler zu tragen wären. In der öffentlichen Diskussion droht über diese Nachricht jedoch eine jüngst in Stockholm getroffene Entscheidung in den Hintergrund zu geraten, die ebenfalls weitreichende Folgen hat: Vattenfall will 83 Millionen Euro in die Aufrüstung des Kohle-Heizkraftwerks Wedel investieren.

Anders als beim Kraftwerk Moorburg trägt das Risiko für diese Investition der Hamburger Steuerzahler: Wenn die Stadt wie beabsichtigt 2019 das Fernwärmenetz kauft, erwirbt sie auch das frisch renovierte Wedeler Kohlekraftwerk – und bezahlt damit auch die Kosten für dessen Renovierung. Hamburg bringt dies in eine Zwickmühle: Eine Umstellung der Fernwärme von Kohle auf saubere Energien wäre die mit Abstand wirksamste Klimaschutzmaßnahme. Wenn das Kraftwerk jedoch stillgelegt würde, bevor die Renovierung refinanziert ist, bliebe die Stadt auf Millionenkosten sitzen. Das Ende des Kohlekraftwerks Wedel droht mit dessen Renovierung somit in weite Ferne zu rücken. Im Koalitionsvertrag hatten die Senatsparteien eine „Ertüchtigung“ des Kohlekraftwerks Wedel daher ausgeschlossen. Hierüber setzt sich Vattenfall nun hinweg. Das Unternehmen erhöht den von der Stadt zu zahlenden Preis für das Fernwärmenetz und blockiert die Wärmewende in Hamburg auf viele Jahre – während andere Städte diese umsetzen.

München will sich bis zum Jahr 2050 vollständig mit erneuerbarer Wärme versorgen und investiert massiv in Tiefengeothermie. Auch in Paris sind bereits 40 solcher Projekte in Betrieb, Bau oder in Planung. Die Karlsruher Fernwärme wird zur Hälfte durch Abwärme aus einer Raffinerie versorgt. In Hamburg reichte alleine die Abwärme aus der Kupferhütte für Zehntausende – sie verpufft jedoch ungenutzt. In Stockholm – sic! – wird Abwärme aus Rechenzentren zu einer wichtigen Fernwärme-Quelle, außerdem gewinnen Wärmepumpen Fernwärme aus dem Meer, in Oslo aus dem Klärwerk. London hat untersucht, dass Abwärme aus Kühlhäusern, Rechenzentren, Trafostationen und anderen Quellen über ein Fernwärmesystem die Stadt vollständig heizen könnte. Die österreichische Großstadt Graz prüft gerade, künftig 20 Prozent seines Fernwärmebedarfs durch Solarthermie zu erzeugen. Auch Abfälle und Biomasse könnten, wie die Stadtreinigung aufzeigt, Kohlewärme zu einem Teil ersetzen.

Hamburg braucht endlich eine Strategie, mit der erneuerbare Energien erschlossen werden. Für den Übergang werden fossile Brennstoffe noch gebraucht. Moderne Erdgaskessel, wie sie aktuell in Graz und Stuttgart als Ersatz für alte Kohlekraftwerke gebaut werden, können dafür eine Option sein. Anders als Heizkraftwerke erzeugen sie nur Wärme und keinen Strom, ihr Bau ist daher um ein Vielfaches günstiger. Ihre Kostenstrukturen – niedrige Investitionskosten bei höheren Betriebskosten – setzen die richtigen Preissignale und tragen dazu bei, erneuerbare Energien schneller wettbewerbsfähig zu machen.

Lösungen jenseits der Kohle sind also vorhanden – und für die Steuerzahler sicherer als hohe Investitionen in Technik von vorgestern. Die erneuerbaren Energien haben in den vergangenen Jahren den Strommarkt auf den Kopf gestellt und neuen fossilen Kraftwerken ein wirtschaftliches Fiasko bereitet. Dem Wärmemarkt stehen ähnliche Umwälzungen noch bevor. Die fossilen Energien werden auch hier verdrängt werden müssen, um die Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaschutzvertrag umzusetzen. All dies zeigt eines: Hamburg darf sich nicht länger von Entscheidungen in Stockholm abhängig machen, wo nicht die langfristigen Interessen unserer Stadt im Mittelpunkt stehen. Hamburg muss endlich eine eigene Strategie für eine sichere, ökologische und bezahlbare Wärmeversorgung entwickeln.

Christian Maaß ist Geschäftsführer des Hamburg Instituts, eines auf erneuerbare Energien spezialisierten Forschungs- und Beratungsunternehmens. Er war von 2008 bis 2010 Umweltstaatsrat in Hamburg.