Neue Straßenführungen, moderne Kanalisation und ein klassizistisches Antlitz: Wie radikal 1842 Stadtväter und -planer umdachten.
Hamburgs Stunde null begann am 8. Mai – allerdings nicht 1945, sondern exakt 103 Jahre zuvor. Am Himmelfahrtstag 1842, dem 5. Mai, brach um kurz nach Mitternacht in der Deichstraße 44 beim Cigarrenmacher Cohen ein Feuer aus. Eine lange Trockenheit und starke Südwinde verwandelten den kleinen Brand rasch in ein Inferno: Zunächst erfasste das Feuer das Nikolaiviertel und zerstörte am Nachmittag die Nikolaikirche. Beständig fraß sich das Feuer vom Hafenrand Richtung Alster: Das alte Rathaus an der Trostbrücke wurde am 6. Mai gesprengt, doch die Feuersbrunst war nicht zu stoppen – sie wütete weiter gen Norden. Einen weiteren Tag später brannte die Petrikirche nieder.
In der Stadt breiteten sich Panik und Anarchie aus, die Löscharbeiten verliefen chaotisch. Erst die Binnenalster und drehende Winde vermochten das Feuer zu stoppen. Als Letztes wurde am 8. Mai ein Gebäude nahe dem Ballindamm ein Raub der Flammen, die Straße dort heißt bis heute Brandsende. Und auch der Ort, an dem das Feuer ausbrach, ist nicht vergessen: In der Deichstraße erinnert das Restaurant Zum Brandanfang an jenen verhängnisvollen Himmelfahrtsmorgen des Jahres 1842.
Drei Tage Feuersbrunst hatten Hamburg verwüstet: Nur die neue Börse, erst 1841 am Adolphsplatz fertiggestellt, konnten zehn Männer um den Commerzbürger Theodor Dill gegen die Flammen verteidigen. Sie ragte aus einem Meer von Trümmern, drum herum war alles niedergebrannt. 51 Menschen kamen bei dem Inferno ums Leben, mindestens 20.000 Hamburger waren obdachlos geworden, das Rathaus, die Bank am Neß, die Synagoge, die alte Börse, ja ein Viertel der Stadt waren zerstört – insgesamt mindestens 1000 Häuser, andere Quellen berichteten sogar von 1779 Häusern.
Heinrich Heine, der in Paris von der Feuersbrunst erfuhr, dichtete: „Und mein armes Hamburg liegt in Trümmern, und die Orte, die mir so wohlbekannt, ... sind ein einziger Schutthaufen! Die Stadt wird bald wieder aufgebaut sein und mit neuen gradlinigen Häusern und nach der Schnur gezogenen Straßen, aber es wird doch nicht mehr mein altes Hamburg sein, mein altes, schiefwinklichtes, schlabbriges Hamburg.“
Heute mag man es nicht mehr für möglich halten, aber bis zum Großen Brand war Hamburg eine mittelalterliche Metropole und die größte Fachwerkstadt Deutschlands. Man muss sich Stade oder Lüneburg in groß vorstellen und bekommt einen Eindruck, wie Hamburg bis 1842 ausgesehen hat: endlos lange Giebelreihen mit unterschiedlich hohen, meist schmalen Dreifensterhäusern, Sichtfachwerk aller Orten, enge, verwinkelte Gassen vorn und Wasserseiten hinten. Alfred Lichtwark, der erste Direktor der Hamburger Kunsthalle, beschrieb die Grundzüge der alten Stadthäuser: „Die Regel bildete das Dreifensterhaus. Große Speicherräume waren nötig, weil der Kaufmann die Ware, mit der er handelte, nicht als Spediteur vertrieb, sondern wirklich besaß, und er musste sie zu Wasser und zu Lande ans Haus und wieder fortschaffen können. Deshalb liegen die Grundstücke zwischen Straße und Fleet.“ Viele dieser Häuser gingen unter.
Der Moment der völligen Zerstörung, der Tod des alten Hamburg, wurde zur Geburtsstunde der modernen Stadt. Es ging rasend schnell: Schon gut fünf Wochen nach dem Großen Brand, am 16. Juni 1842, beschlossen Senat und Bürgerschaft den Bebauungsplan, der mit der mittelalterlichen Stadt brach und neue Straßenführungen wie Grundstückszuschnitte vorsah. Plötzlich konnten die schon länger diskutierten Ideen, der Stadt eine moderne Infrastruktur zu geben, umgesetzt werden. Der englische Ingenieur William Lindley als Leiter der Technischen Kommission plante eine moderne Kanalisation; bis dahin liefen die Abwässer noch über die Straßen in die Fleete. Gaslampen ersetzten die alten Ölfunzeln, ein Pumpwerk übernahm die Wasserversorgung.
Die norddeutsche Fachwerkstadt wurde zur europäischen Metropole
Und das Antlitz der Stadt wandelte sich radikal. „Hamburg ist eine echte Besonderheit“, sagt Oberbaudirektor Jörn Walter. „In einer wirtschaftlich schwierigen Situation, in der deutschlandweit wenig passiert ist, wurde Hamburg wieder aufgebaut.“ Und ähnlich wie heute stritten die Architekten wie die Kesselflicker um die künstlerische Form. Neorenaissance gegen Spätklassizismus, Backstein gegen Putz. Der erste Baudirektor Carl Ludwig Wimmel und sein Mitarbeiter Franz Gustav Joachim Forsmann behaupteten sich mit dem Bekenntnis zum Spätklassizismus in Form des sogenannten Rundbogenstils. „Die weiße Bebauung setzte sich durch“, sagt Walter.
Doch auch der Architekt Alexis de Chateauneuf gestaltete das Gesicht der neuen Stadt – maßgeblich nach den Plänen des Hamburger Architekten Gottfried Semper, der von einem „nordischen Venedig“ träumte. Die Anklänge an den Markusplatz sind unübersehbar: Die Kleine Alster wurde wie der Rathausmarkt zum „hanseatischen Markusplatz“. Andere Fleete hingegen schüttete man kurzerhand zu. Ein Kriminalroman entführt in das Hamburg dieser Tage und lässt den Großen Brand wie eine große Verschwörung aussehen: „Der Tote im Fleet“ (Boris Meyn). Tatsächlich gab es einige Profiteure der Hamburger Urkatastrophe, die durch das Wachstum der Stadt über die alten Grenzen hinweg märchenhafte Gewinne machten.
Neue Stadtteile wie Hammerbrook, Harvestehude und die Uhlenhorst entwickelten sich danach, teilweise aufgeschüttet mit den Brandtrümmern von 1842. Der große Oberbaudirektor Fritz Schumacher hat schon 1920 seinen Aufsatz über die Hamburger Baugeschichte bewusst überschrieben: „Wie das Kunstwerk Hamburg nach dem großen Brand entstand.“ Dort heißt es: „Diese eigenartige Wirkung, Geschlossenheit und Überraschung miteinander zu verbinden, kenne ich unter allen Städten der Welt nur in Venedig und in Hamburg.“
Eine Stadt, in der zuvor der Zufall Baumeister war, wuchs fortan nach einem Plan und strengen künstlerischen Vorgaben. Die norddeutsche Fachwerkstadt verwandelte sich in eine europäische Metropole. Fachwerkbau war fortan verboten, Putzfassaden ersetzen ihn. Die Innenstadt selbst bekam ihr klassizistisches Gesicht, das heute von vielen Postkarten grüßt. Die Alsterarkaden wurden nach italienischem Vorbild schon ein Jahr nach dem Brand fertiggestellt und waren zunächst ockergelb. Inzwischen weiß getüncht, sind sie zu „einem Markenzeichen für Hamburg als weiße Stadt geworden“, sagt Hamburgs ehemaliger Oberbaudirektor Egbert Kossak. Sie bilden eine Einheit mit dem rechtwinklig angeordneten Rathausmarkt und der Wassertreppe in Form eines Viertelkreises. Schumacher schwärmte: „Es gibt in der ganzen Geschichte des Städtebaus vielleicht kein Beispiel, an dem man diesen Durchbruch der Raumgewinnung deutlicher verfolgen kann, als an dem Hamburg dieser Jahre.“ Für die Zeitgenossen war die neue Binnenalster hingegen nicht wiederzuerkennen: Standen früher Fachwerkhäuser am ungleichmäßigen Ufer, ragten schon bald klassizistische Häuser entlang des schnurgeraden Alsterbeckens in die Höhe, die Stadt bekam ihr „weißes Gepräge“.
Der neue Nikolaikirchturm war für zwei Jahre das höchste Gebäude der Welt
Auch unweit der Alsterarkaden hat Alexis de Chateauneuf mit der Alten Post ein bleibendes Denkmal hinterlassen. Zwischen 1845 und 1847 errichtete er den seinerzeit größten Verwaltungsbau. Der an der italienischen Renaissance ausgerichtete Stil wurde nach der Erneuerung 2012 wieder deutlich herausgeputzt. Dafür wurde das Gebäude wie schon zwischen 1968 und 1971 entkernt. Ein weiteres Erbe der Nachbrandzeit ist die Patriotische Gesellschaft an der Trostbrücke. Das Gebäude hebt sich bewusst von den verputzten klassizistischen Neubauten ab, die der Architekt Theodor Bülau für eine „krankhafte Verirrung hielt“. Er schuf einen klassischen norddeutschen Backsteinbau. Bülau blieb ein Einzelgänger. „Für Industrie, Profanbauten und Kirchen war Backstein akzeptiert, im Wohnungsbau und bei Repräsentativbauten galten nur Sandstein oder Putz in den darauffolgenden Jahrzehnten als vornehm und edel“, so Oberbaudirektor Walter.
Großen städtebaulichen Gewinnen stehen aber auch schwere Verluste gegenüber: Die im Brand zerstörte Gertrudenkapelle aus dem Jahr 1392 bauten die Hamburger nicht wieder auf – der zweite schwere Verlust eines Gotteshauses nach dem barbarischen Abriss des Doms 1806. Die Bürgerschaft war zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht bereit, den Erhalt der zur Hallenkirche umgebauten frühgotischen Basilika zu finanzieren, und schleifte den spektakulären Bau kurzerhand. „Das Verschwinden einer Kathedrale ist europaweit ein so seltenes Phänomen, dass es Hamburg als einer Stätte der Hochkultur nicht gerade schmeichelt“, kommentiert der Architekturhistoriker Pablo de la Riestra.
Besser erging es der Petrikirche, die binnen sieben Jahren fast originalgetreu nach der Feuersbrunst wiederaufgebaut wurde. Anstelle der alten Nikolaikirche entstand einer der lange bedeutendsten neugotischen Kirchenbauten Deutschlands. Dabei war erst alles anders geplant: Eigentlich sollte der Hamburger Architekt Gottfried Semper das Sakralgebäude als Kuppelbau neu errichten, beeinflusst von der Frauenkirche aus seiner Wahlheimat Dresden. Der bekannte Baumeister hatte nach dem Brand rasch einen Aufbauplan für seine Vaterstadt eingereicht, den Chateauneuf in wichtigen Teilen aufgriff. Allerdings hatte Semper auch empfohlen, nicht den „ehrwürdigen Charakter des uralten Hamburg für die gehaltlose Modernität neuerer Städte zu vertauschen“. Er wollte die Trümmer von St. Nikolai in seinen Neubau integrieren. Aber die Hamburger verzichteten auf diese Idee ihres großen Sohns.
In Folge des Zeitgeists für die Gotik entschied sich das Kirchbaukollegium des Nikolai-Kirchspiels statt für den erstplatzierten Semper für den drittplatzierten gotischen Entwurf des Briten George Gilbert Scott. Dass der eher rheinisch geprägte gotische Stil nach dem Modell des Kölner Doms mit seiner reichen Formensprache so gar nicht in die Stadt der schlichten norddeutschen Backsteingotik passte, störte nicht weiter, auch nicht, dass er dreimal so teuer war wie Sempers Entwurf. Jahrzehnte baute Hamburg an seinem mittelalterlichen Dom. Der neue Turm mit seinen 147,3 Metern war nach seiner Fertigstellung 1874 bis zur Vollendung der Kathedrale von Rouen (151,5 Meter) 1877 das höchste Gebäude der Welt – und wurde zur Zielmarke der Bomber im Zweiten Weltkrieg.
Nur Chor und Turm blieben übrig
Im Krieg schwer getroffen und der Gemeinde beraubt, trugen die Hamburger 1951 die Kirche endgültig ab. Übrig blieben nur der Chor und der Turm – als Mahnmal gegen Krieg und Gewalt. Vom Turm lässt sich die Hansestadt bis heute wunderbar überblicken. Doch auch vieles, was nach dem Brand entstand, ist längst dahin: im Krieg zerstört, im Wiederaufbau – oder schon im 19. Jahrhundert.
Ein besonders beeindruckendes Gebäude überlebte nur 38 Jahre: Sillem’s Bazar. Ein wenig erinnern die Bilder des längst verschwundenen Prachtbaus zwischen Jungfernstieg und Poststraße an die Galleria Vittorio Emanuele II in Mailand: Die großzügige Einkaufspassage Sillem’s Bazar mit poliertem Marmor, französischen Spiegeln und bronzeverzierten Türen, mit Glasdächern und einem mehrgeschossigen Glasoktogon in der Mitte wurde hymnisch gefeiert. „Nach Hamburg fahren, und den Bazar nicht sehen, ist wie Rom ohne den Papst“, jubelten Zeitgenossen. Die „Leipziger Illustrirte“ schwärmte, diese Ladenstraße übertreffe ihre Vorbilder in Paris oder London an „Schönheit im allgemeinen und geschmackvoller Ausführung aller Einzelteile“. Weniger begeistert waren die Hamburger – die 34 Geschäfte litten unter Mangel an Kundschaft, sodass ab 1881 an der Stelle der Sandsteinbau entstand, der heute den Hamburger Hof beheimatet.
Zur selben Zeit wurde auch das Hamburger Rathaus in Angriff genommen. Es komplettierte, als es endlich fertig war, mit den Türmen der Hauptkirchen die Silhouette von der Alster aus gesehen, die bis heute das Kunstwerk Hamburg prägt. „Die Form des Thurmhelms, das Product jahrelanger architektonischer Studien, lässt das weltliche Gebäude, schon aus der Ferne gesehen, sich wirksam von unsern zahlreichen Kirchen unterscheiden. Dass der Fernblick von der Lombardsbrücke aus unter dem Zusammenfallen des Rathhausthurms mit demjenigen der Nicolaikirche leidet, ist vielleicht der einzige Vorwurf, welchen man jenen umsichtigen Männern machen kann, die s. Z. den schönen Plan zum Wiederaufbau der Stadt nach dem grossen Brande entwarfen“, hielt Rathaus-Architekt Martin Haller bei der Fertigstellung fest. Wer wollte ihm widersprechen? Mit der Elbphilharmonie wagt nun nach 120 Jahren erstmals eine neue Kathedrale der Kunst, sich in die Skyline zu schieben.
Aber bevor der erste Stein des Rathauses gesetzt werden konnte, vollzog sich ein jahrzehntelanges Ringen darum, wie es aussehen sollte. Gleich mehrere Wettbewerbe brachten zwar viele Vorschläge, aber keiner vermochte die Stadtväter so recht zu überzeugen. Sowohl die 43 Entwürfe eines Wettbewerbs 1854 als auch die 128 Entwürfe 22 Jahre später blieben bloße Bleistiftzeichnungen. Spektakuläre und skurrile Pläne finden sich: Wilhelm von Löw zeichnet einen neogotischen Bau mit zwei Türmen, auch Baudirektor Carl Johann Christian Zimmermann, der Architekt des Justizforums, steuerte einen Vorschlag, geprägt vom Historismus, bei. Gottfried Semper schlug ein Rathaus im venezianischen Stil mit einem schlanken Turm und Kuppel vor. Aber immer kam den Hamburgern etwas dazwischen: erst die Revolution von 1848/49, dann die Wirtschaftskrise 1857 und der Deutsch-Französische Krieg 1870/71.
Erst der Neorenaissance-Entwurf des Rathausbaumeisterbundes um Martin Haller fand Gnade und wurde ab Mai 1886 umgesetzt. Damit wurden Rathaus und Börse wieder zum Ensemble und Machtzentrum der Handelsrepublik Hamburg vereint. 1892 – und damit genau 50 Jahre nach dem verheerenden Brand – konnte die Stadt Richtfest feiern. Eine große Phönix-Figur auf dem Turmschaft erinnert an Hamburgs Urkatastrophe. Über einem Bild des abgebrannten Rathauses ist bis heute das lateinische Verb „Resurgam“ zu lesen, „Ich werde wieder auferstehen“.
Das Rathaus wurde zu einem Bürgerschloss mit 647 Zimmern
Im Oktober 1897 war es so weit. Der Turm ragt 112 Meter in die Höhe, hinter der 111 Meter langen Hauptfassade fanden auf der einen Seite die Bürgerschaft, auf der anderen der Senat ihr Zuhause. Rasch wurde das Rathaus zum steinernen Bürgerstolz Hamburgs. Da passte es, dass man ohne Schwellen oder Treppen ebenerdig in die Rathausdiele gelangt. Prächtige Wandgemälde, aufwendige Ledertapeten und kunstvolle Schmiedearbeiten machen das Rathaus zu einem Juwel, ja Bürgerschloss, das in jedem seiner 647 Zimmer Entdeckungen bereithält. Politische Inkorrektheiten inklusive: So mussten Waisenkinder die Schnitzereien im „Waisenzimmer“ anfertigen.
Es war eine Zeit des Aufbruchs. Für die Entwicklung der Stadt war der Neujahrstag 1861 ein eminent wichtiger: In dieser Nacht wurde die Torsperre aufgehoben – bis dahin konnte man die Stadt abends oder nachts nur durch Zahlung einer Gebühr betreten. In der Neujahrsnacht sollen unzählige Menschen durch die Tore in die Stadt geströmt sein; unmittelbar danach konnten sich nicht nur die Viertel außerhalb der alten Stadtmauern rasant entwickeln, auch der öffentliche Personennahverkehr – zunächst mit Pferdeomnibussen – konnte sich ausdehnen. Nach und nach wurden immer neue Streckenabschnitte eröffnet.
Besonders wichtig wurde die Verbindungsbahn zwischen dem damals noch dänischen Altona und der Hansestadt. 1860 hatten sich Dänemark und Hamburg nach langem Ringen darauf geeinigt, die beiden bereits existierenden Bahnhöfe zu verbinden: den Bahnhof der Berliner Bahn und den Altonaer Bahnhof der Ostseebahn. Dafür wurden die alten Wallanlagen durchschnitten.
Binnen kurzer Zeit wuchs Hamburg von 200.000 auf 700.000 Einwohner
Wirtschaftsaufschwung, Industrialisierung und Fortschrittseuphorie prägten Land und Stadt. Auch im Hamburger Hafen wurden wichtige Weichen gestellt, die den Aufstieg zum drittgrößten Hafen des Kontinents erst ermöglichten: Lange Zeit diskutierten die Stadtväter den Bau eines Dockhafens nach Londoner Vorbild. Dann hätten große Schleusen zwar die Hafenbecken gegen Ebbe und Flut geschützt, aber die Löschung der Ladung verlangsamt.
Die Wasserbauingenieure Heinrich Hübbe und Johannes Dalmann setzten sich, flankiert von der Handelskammer, mit einem Tidehafen durch. Dafür wurde Wasser aus der Süderelbe, dem ehemaligen Hauptstrom, in die Norderelbe umgeleitet, bei Moorwerder die Bunthäuser Spitze geschaffen, die Billwerder Insel abgeschnitten und die Mündung der Dove Elbe verschoben. Damals waren derlei Umbaumaßnahmen noch ohne Widerstand durchsetzbar. Mit dem Sandtor- und dem Kaiserquay entstanden in den 60er-Jahren moderne Hafenbecken dort, wo heute die HafenCity wächst.
Für Hamburg waren es ungemein schöpferische und wegweisende Jahre. Egbert Kossak schreibt in seinem Buch „1100 Jahre Stadtbild“: „Es kann keinen Zweifel daran geben, dass sich Hamburg nach Abzug der Armeen Bonapartes bis weit in das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts durch eine bisher nie gekannte Höhe seiner Baukultur auszeichnete.“ Sie sollte die Stadt prägen – in diesen Jahren veränderte Hamburg sein Gesicht nachhaltiger als zuvor. Die Stadt häutete sich und wuchs rasanter als je zuvor: In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts explodierte die Bevölkerungszahl von knapp 200.000 auf mehr als 700.000. Hamburg war auf dem Weg zur Millionenstadt.