Hamburg. Bericht der Jugendhilfeinspektion zum Tod des 13 Monate alten Babys dokumentiert Fehler und Versäumnisse der Behörden in Altona.

Zwei Monate nach dem gewaltsamen Tod des 13 Monate alten Tayler werden schwere Versäumnisse des Jugendamts Altona sowie des privaten Jugendhilfeträgers Rauhes Haus bekannt. Danach hat die zuständige Fachkraft im Jugendamt viele Entscheidungen im Alleingang getroffen und damit gegen Vorschriften ver­stoßen. Eine Mitarbeiterin des Rauhen Hauses gab sogar zu, dass ihr der „notwendige Sachverstand“ gefehlt habe, Misshandlungen zu erkennen. Das geht aus dem Bericht der Jugendhilfe­inspektion hervor, der heute vorgestellt wird und dem Abendblatt vorliegt.

Der Fall: Tayler starb am 19. Dezember 2015 an den Folgen eines Schütteltraumas. Er hatte sich zu diesem Zeitpunkt unter der Aufsicht des Jugendamts Altona befunden, da er im August mit einem Schlüsselbeinbruch im Krankenhaus behandelt wurde. Weil das Institut für Rechtsmedizin eine Kindeswohlgefährdung festgestellt hatte, wurde Tayler zunächst zu seiner Großmutter und anschließend in eine Pflegefamilie gegeben. Schon nach sechs Wochen jedoch kam er zurück zu seiner leiblichen Mutter und deren Lebensgefährten.

Die Prüfer schreiben, es sei „nicht nachvollziehbar, dass angesichts eines (...) dokumentierten Misshandlungsverdachts von einer Rückführung gesprochen wird, ohne ein tieferes Verständnis der Familie und ihrer Lebensbedingungen erhalten zu haben“. Demnach gab es offenbar keine weitere Prüfung, ob der kleine Tayler nach dem im Sommer 2015 festgestellten Schlüsselbeinbruch wieder in seine Familie hätte zurückkehren dürfen. Die zuständige Fachkraft im Jugendamt sei nicht davon ausgegangen, dass die Mutter oder ihr Lebensgefährte für die Verletzungen verantwortlich seien. „Unklar bleibt, wie sie zu der Einschätzung kam“, schreiben die Prüfer. Es müsse davon ausgegangen werden, dass die Fachkraft die Rückführungsentscheidung allein getroffen habe, was im Widerspruch zu den Vorschriften stehe.

Grundsätzlich kritisieren die staatlichen Prüfer zudem, dass das Jugendamt vor der Rückführung die Hilfsmaßnahmen an das Rauhe Haus ausgelagert hat. Die Fall führende Fachkraft des Jugendamts habe das „staatliche Wächteramt inne“ und sei damit „für die Sicherheit des Kindeswohles zuständig“, heißt es weiter. „Dieser Auftrag kann nicht an einen Träger abgegeben werden.“

Die Mitarbeiter des Rauhen Hauses attestierten sich selbst ein Fehlen des „notwendigen Sachverstandes“, um körperliche Merkmale des Kindes beurteilen zu können. Allein sechsmal sind Verletzungen bei Tayler festgestellt worden. Etwa „Beulen, Kratzer, blaue Flecken und Striemen am Kopf“. Jedes Mal hätten die Mitarbeiter des Rauhen Hauses die Erklärungen der Mutter übernommen, anstatt die Verletzungen dem Jugendamt oder dem Institut für Rechtsmedizin zu melden.

Mit deutlichen Worten wird die Arbeit des Jugendamts kritisiert. Danach sei die Mutter zu wenig kontrolliert worden. Stattdessen habe man sich auf ihre Aussagen verlassen. „Der positive Eindruck, den die Mutter in Gesprächen machte, hat offensichtlich das gesamte professionelle Handeln beeinflusst“, schreibt die Jugendhilfeinspektion. „So wurde mehrfach betont, dass die Mutter kooperativ erscheint. Dies bezieht sich auf Willensäußerungen der Mutter, nicht auf tatsächliche Erfahrungen.“ Die Herausforderung bei der Arbeit im Jugendamt bestehe aber „im Spannungsfeld zwischen Hilfe und Kontrolle“. In diesem Fall, so der Bericht, lag der Schwerpunkt des Jugendamts „eindeutig auf dem Aspekt der Hilfe. Damit rückte die Mutter mehr in den Mittelpunkt als das Kleinkind“.

Das Verhalten der Mutter aber sei ambivalent. Es wird mal als liebevoll, dann wieder als ruppig und wild beschrieben. Vor allem die Beziehung der Mutter zu ihrem älteren Sohn sei „wenig empathisch“. Es werde deutlich, dass sie „nicht auf dessen emotionalen Bedürfnisse eingehen kann“. Die Mutter habe eine „geringe Erziehungskompetenz“. Vorschläge zur Stärkung werden „angesprochen, jedoch im Hilfeverlauf nicht umgesetzt“. Bei der Mutter sei „wenig Veränderungsbereitschaft“ zu erkennen. Sie lasse sich nicht gerne in ihr Verhalten reinreden mit dem Hinweis, „sie würde ihre Kinder am besten kennen und mit ihnen umzugehen wissen“.

Die Fachkraft des Jugendamts hat im Alleingang entschieden

Zu dem schweren Vorwurf des Alleingangs bei der Rückführung von Tayler zur Mutter schreiben die Inspekteure: Eine Rückführungsentscheidung müsse grundsätzlich „mit Ruhe, Sorgfalt und genauer Beobachtung der Bindungen und Beziehungen erfolgen“. Dazu gehörten auch ein Austausch mit den Beteiligten des Falls, die sogenannte kollegiale Beratung, sowie eine fachlich fundierte Dokumentation. All das fehlte. Dieser fachliche Austausch ist vor allem dann dringend geboten, wenn es darum geht, ob das Kind in die Familie zurückgeführt werden soll.

Die Prüfer kritisieren zudem, dass die Fachkraft „zu wenig persönlichen Kontakt zur Familie“ gehabt habe. So habe es keine Zusammenkunft mit der Familie bei der Vorbereitung der Rückführung gegeben. Nur ganze vier Mal habe es überhaupt einen persönlichen Kontakt mit der Mutter gegeben. Den letzten am 4. September 2015.

Immer wieder monieren die Prüfer, dass hastig und ohne zeitliche Not entschieden worden sei. Es gebe zwar keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Handeln des Jugendamts und dem Tod des Jungen. Dennoch hätte eine sorgfältige Risikobewertung „andere Bedingungen für die Sicherheit des Kleinkindes geboten“.

Der Obduktionsbericht soll Ende des Monats vorliegen. Durch ihn hoffen die Ermittler, die genaue Tatzeit und damit den Täter zu identifizieren. Gegen die Mutter und ihren Freund wird wegen eines Tötungsdelikts ermittelt. Beide sind derzeit auf freiem Fuß.