Hamburg. Altkanzler Gerhard Schröder sprach beim vierten Außenpolitischen Salon in Hamburg über Russland, die Türkei und die Flüchtlingskrise.

„Wenn ein armer Niedersachse nach Hamburg kommt, zieht er immer seinen besten Anzug an – meistens seinen Konfirmationsanzug“. Der „arme Niedersachse“ – das war der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder, der gestern auf Einladung des Hamburger Abendblattes und der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in die Hansestadt kam und dabei, dem Einladungstext brav Folge leistend, im dunklen Anzug erschien. Der frühere deutsche Regierungschef sprach im Hotel Atlantic an der Außenalster vor 150 Gästen aus Politik, Wirtschaft und Konsularischem Korps zum Thema „Perspektiven und Herausforderungen für die internationale und die europäische Politik“.

Es war der vierte „Außenpolitische Salon“ von Abendblatt und DGAP. Das erfolgreiche Format soll die Außenpolitik aus den Hinterzimmern der Politik in die Öffentlichkeit tragen. Nach einer Begrüßung durch Christian Jacobs, den Vorsitzenden DGAP Forum Hansestädte, und einleitenden Worten von Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz, der einen Bogen von der Lage im Dreißigjährigen Krieg zu jener in Syrien schlug, folgte Gerhard Schröders politische Tour d’Horizont.

Und seinem launigem Einstieg folgte ein druckvoll-ernsthafter Vortrag, denn die Probleme für Europa sind mit Flüchtlingskrise, kaum bewältigter Währungskrise und Verstimmung mit Russland gravierend. Die europäische Krise sei gekennzeichnet von Misstrauen zwischen einzelnen EU-Mitgliedern, legte der frühere Bundeskanzler dar, der von Oktober 1998 bis November 2005 amtierte. Den „Kräften der Disintegration“ in Europa müsse widerstanden werden: „Wir müssen alles daran setzen, dass die europäische Integration nicht zurückgedreht wird.“ Es sei wichtiger denn je, dass Europa im Kampf gegen die Krisen und den Terrorismus mit einer Stimme spreche. Ohne eine enge Partnerschaft in Europa, aber auch mit Russland, sei dies aber nicht machbar, sagte Gerhard Schröder.

Das Desaster im Nahen Osten sei auch durch westliches Verhalten entstanden, sagte der frühere Regierungschef mit Blick auf den Irak-Krieg der USA, aus dem er Deutschland herausgehalten hatte. Dieser Kriegseinsatz sei ein „Katalysator für Destabilisierung in der Region“ gewesen. Und die Folge sei die größte Flüchtlingswelle seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Öffnung der Grenzen für die Flüchtlinge sei „ein Akt der Humanität und damit richtig“ gewesen. Doch diese Öffnung habe sich aus einer kurzfristigen zu einer Dauermaßnahme entwickelt – „und nun erleben wir eine schwer zu beherrschende Situation“.

Eine Politik der Abschottung werde jedoch ebenso wenig funktionieren wie eine dauerhafte Öffnung der Grenzen. Notwendig seien nun eine Kontingentlösung mit einer gerechten Verteilung der Flüchtlinge und eine Steuerung des Zustromes. Schröder sagte, er hoffe noch auf eine Einigung in Europa, sonst werde das Motto der Kanzlerin „Wir schaffen das“ leiser zu hören sein.

Das Verhältnis zur Türkei liegt Schröder besonders am Herzen

Es gehe um Solidarität, Sicherheit und Stabilität in Europa. Deutschland könne die Lasten allerdings nicht allein schultern, sagte Schröder mit Blick auf widerstrebenden EU-Staaten wie Polen. Entscheidend sei die Stärkung der deutsch-französischen Kooperation. Hier habe es in letzter Zeit zu wenig Abstimmung gegeben. Die Sicherheit Europas müsse in erster Linie an den Außengrenzen der Union gewährleistet sein, forderte Schröder. Doch dazu sei eine enge Kooperation mit der Türkei nötig. Das Verhältnis zu Ankara liegt Schröder besonders am Herzen - wie jenes zu Moskau. Beide seien Schlüsselstaaten für das Schicksal Europas. „Es war falsch, die Türkei so lange hängen zu lassen“, sagte er, „das rächt sich jetzt.“

Man müsse der Türkei „eine echte Beitrittsperspektive geben“. Allerdings solle man Ankara dann auch auf die Prinzipien der Europäischen Union verpflichten. „Dass so viele Menschen nach Deutschland kommen, ist aber auch ein Riesenkompliment für unser Land“.

Europa brauche die Türkei und Russland - was allerdings auch umgekehrt gelte. Für die USA sei das Verhältnis zu Russland ein globales Problem - doch für Europa gehe es dabei um Sicherheit und Stabilität.

Man müsse mit Moskau wieder zu einem partnerschaftlichen Verhalten gelangen - „und zwar unabhängig davon, ob die USA das auch wollen“, forderte der frühere Bundeskanzler. Das sei auch aus wirtschaftlichen Gründen sinnvoll, sagte Schröder und verwies darauf, dass zum Beispiel der Containerverkehr im Hamburger Hafen mit Russland um ein Drittel eingebrochen sei. Die Sanktionen passten nicht in eine Zeit, „in der wir uns gegenseitig brauchen“. Europa müsse sich entscheiden, ob es in der Welt des 21. Jahrhunderts noch eine Rolle spielen wolle. Es müsse zusammenstehen – selbst starke Nationalstaaten wie Deutschland seien alleine zu schwach.

Der Hamburger SPD-Bundestagsabgeordnete Niels Annen erwiderte auf Schröders Rede und schilderte die depressive Stimmung auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Die Publikumsdiskussion moderierte Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider; das Schlusswort des vierten „Außenpolitischen Salons“ sprach der Hamburger CDU-Abgeordnete Jürgen Klimke.