Hamburg. Kirsten Boie hat über den schwierigen Weg eines syrischen Geschwisterpaars nach Hamburg geschrieben – auf Deutsch und auf Arabisch.
Es muss nicht immer bullerbümäßig zugehen in Kinderbüchern. Klar, die heile Welt liegt Kirsten Boie auch. In ihren Geschichten in der „Möwenweg“-Serie ist Kindheit, wie sie sein soll – unbeschwert und sorglos. Aber Hamburgs erfolgreiche Kinder- und Jugendbuchautorin („Der kleine Ritter Trenk“, „Seeräubermoses“) kann auch anders, Gesellschaftlich relevante Probleme geht sie ebenso an. Jetzt hat Kirsten Boie ein neues Kinderbuch geschrieben – zum Thema Flüchtlinge. Und zwar auf Deutsch und Arabisch – damit auch Flüchtlingskinder die Geschichte lesen können.
Gleich zu Beginn der Flüchtlingsströme hatten sich Kirsten Boie und ihr Mann Gerhard um die Menschen aus Syrien, Afghanistan und anderen Ländern gekümmert, die in die Flüchtlingsunterkünfte im Kreis Stormarn untergekommen waren. In kleineren Orten sei solch ein Engagement ganz leicht. „Jeder Flüchtling hat einen Paten bekommen“, sagt Boie. Sie hat verschiedene Familien begleitet und mit ihnen über ihre Flucht gesprochen. Besonders intensiv ist der Kontakt zu zwei syrischen Kindern, die ihr von der Flucht erzählt haben, von ihrem Leben davor und dann in Deutschland. „Ich musste diese Geschichte nur noch aufschreiben“, sagt sie.
Es ist eine wahre Geschichte von Rahaf, die jetzt zehn Jahre alt ist, und von ihrem Bruder Hassan, der jetzt neun ist. „Die beiden möchten aber nicht immer darauf angesprochen werden und anonym bleiben“, sagt Boie. Deshalb durften sich die Kinder anders nennen und sich arabische Namen ausdenken.
„Rahaf hat am liebsten mit ihrer Cousine Aycha gespielt. Manchmal haben Rahaf und Aycha mit ihren Puppen gespielt. Rahafs Lieblingspuppe hieß Lulla. Mit den anderen haben Rahaf und Hassan oft Verstecken gespielt, auf der Straße. Das ging natürlich immer nur, bis die Flugzeuge kamen. Dann sind alle Kinder ganz schnell ins Haus gerannt. Wenn die Flugzeuge über das Haus geflogen sind, haben die Fenster gescheppert. Mama hat: ,Alles gut, alles gut!‘, gesagt und sie auf den Arm genommen, ein Kind rechts und ein Kind links. Manche Straßen waren hinterher Trümmer. Manche Menschen sind nicht mehr aufgestanden“, liest Kirsten Boie. In Kooperation mit dem Verein Seiteneinsteiger hat sie 700 Grundschülern in der katholischen Akademie aus „Bestimmt wird alles gut“ vorgelesen und mit den Dritt- und Viertklässlern über Flucht, fremde Kulturen und wie man den Menschen, die vor Kriegen fliehen, helfen kann, gesprochen. Zu Beginn der Geschichte leben Rahaf und Hassan mit ihrer Familie zu Hause in Homs, ihr Weg wird sie im Laufe der 42-seitigen-Geschichte über Ägypten führen, mit dem Boot und einem Schlepper übers Meer nach Italien, nach Frankreich und schließlich nach Deutschland.
Die jungen Zuhörer wollen wissen, wie man Flüchtlingen helfen kann
Es gibt dramatische Flüchtlingsgeschichten, die sie gehört hat, sagt Kirsten Boie. „Für Kinder sollten Geschichten zu verarbeiten sein.“ Was heißt es, seine Heimat, Familienangehörige und Freunde zu verlassen, seinen Besitz hinter sich zu lassen? Als Kinder- und Jugendbuchautorin ging Boie der Frage nach, wie man den Kindern hier vermittelt, was da um uns herum gerade passiert und was diese Menschen erlebt haben. Die jungen Zuhörer an diesem Vormittag wollen vor allem wissen, wie sie Flüchtlingskindern helfen können, ob man einfach so in eine Flüchtlingsunterkunft gehen könne. Das ginge leider nicht so leicht, aber wenn man dort einen Freund hat, dann schon.
Für Kirsten Boie war es überraschend, was ihren Kindern aus Syrien besonders in Erinnerung blieb: „Für Rahaf waren nicht die Bomben zu Hause das Schlimmste, sondern dass sie auf der Flucht ihre Puppe verloren hat.“ Die Überfahrt in dem mit 300 Menschen überfüllten Boot ist natürlich auch beschrieben: „Das Schiff hat so fürchterlich geschwankt, und es war kalt und sie hatten Hunger. Zweimal am Tag haben die Schlepper Wasser verteilt, aber es war viel zu wenig. Immer hatten Rahaf und Hassan Durst. Und zu essen gab es nur ein winziges bisschen Reis für die Kinder. Für die Erwachsenen gab es vom fünften Tag an gar nichts mehr zu essen. Rahaf hat gedacht, dass sie nun alle verhungern und verdursten müssen. Hassan hat geweint und gesagt, dass er nach Hause will. Aber das ging ja nicht.“
Die Geschichten, die die ehemalige Deutsch- und Englischlehrerin seit 30 Jahren schreibt, sind eben nicht immer nur einfach unterhaltend, sie erklären auch ein wenig die Welt. Boie schreibt nicht nur über vieles, sondern sie engagiert sich in etlichen Projekten. Zu Hause vor ihrer Tür um Flüchtlinge, als Schirmherrin von „Buchstart“ macht sie sich stark dafür, dass alle Einjährigen in Hamburg mit einem Buchstartpaket versorgt werden, und mit ihrem Mann hat sie gerade die Möwenweg-Stiftung gegründet. Dafür geht es im April nach Swasiland. Dort unterstützt Kirsten Boie ein Aidswaisenprojekt für rund 5000 Kinder.
Und Rahaf und Hassan? Zwei Jahre nach ihrer Flucht leben sie mit ihren Eltern und Geschwistern in einer Wohnung, gehen zur Schule und sprechen Deutsch. Noch immer unternimmt Kirsten Boie mit ihnen regelmäßig etwas. am liebsten gehen sie ins Kino.