Hamburg. Nach Ärzte-Klage über volle Kliniken: Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen und lässt Leser zu Wort kommen

Die Ärzte mahnen, die Patienten klagen, doch die Notaufnahmen der Hamburger Krankenhäuser füllen sich weiter. Nach den Abendblatt-Berichten über Tausende Patienten, die mit mutmaßlichen Bagatell-Erkrankungen in Kliniken gehen, ist ein heftiger Streit entbrannt. Kranke fühlen sich angegriffen. Von „Patienten-Bashing“ ist die Rede. Dabei, so der Vizevorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung (KV), Stephan Hofmeister, war genau das nicht die Absicht. Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen zur Notfalldebatte:

Warum kommen so viele Hamburger
in die Notaufnahmen?
Die Notaufnahmen von Asklepios, Albertinen, UKE und anderen Häusern sind schnell erreichbar und bieten trotz langer Wartezeiten auch Soforthilfe. Ärzte unken oft, dass vor allem sonntags die Schwarzarbeiter und Hobby-Fußballer mit ihren Verletzungen kommen. Tatsächlich aber kommen am Wochenende auch deshalb so viele Patienten, weil manche Arbeitnehmer nicht in der Woche zum Arzt gehen. Abendblatt-Leserin Anke Petersen gibt zu bedenken: „Der Druck auf die Arbeitnehmer hat sich verstärkt, und daraus resultieren auch Ängste, durch krankheitsbedingtes Fehlen berufliche Nachteile in Kauf nehmen zu müssen.“ Abendblatt-Leser Gerd Weldert: „Niemand setzt sich stundenlang in die wenig ansprechenden Notaufnahmen mit gestresstem und dementsprechend eher unfreundlichem Personal, wenn nicht individuelle Ängste vorhanden sind oder um sich einen Hausarztbesuch am Montag zu ersparen.“


Locken manche Krankenhäuser bewusst Patienten an, die kein „Notfall“ sind?

Gesundheitsexperte Christoph Kranich (Verbraucherzentrale) sagt über die Werbung von Asklepios und Marienkrankenhaus („Wir sind 24 Stunden am Tag für Sie da“): Das seien Anreize für Patienten, die deutlich teurere Krankenhausbehandlung der Arztpraxis vorzuziehen. Das Marienkrankenhaus bietet eine Hausärztliche Notfallpraxis an (Sa/So 9–21 Uhr).


Was ist mit den Notfallambulanzen der Kassenärztlichen Vereinigung?
Die KV bietet einen mobilen Notarzt an, der unter der bundesweiten Telefonnummer 116 117 oder in Hamburg unter 040/22 80 22 zu erreichen ist. Dieser Notarzt macht Haus- und Heimbesuche. Wochentags von 19 bis 24 Uhr (mittwochs ab 13 Uhr) sowie am Wochenende von 7 bis 24 Uhr sind die Notfallambulanzen in Altona (Stresemannstraße 54 und Farmsen (Berner Heerweg 124) geöffnet. Abendblatt-Leser Rolf Schmidt sagt aber, das sei zu wenig für 1,8 Millionen Hamburger.

Warum öffnen Praxisärzte nicht jeden Tag von 8 bis 18 Uhr?
Anders als angenommen, verdienen Ärzte nicht automatisch mehr, wenn sie mehr Patienten behandeln. Viele niedergelassene Ärzte haben mindestens eine 60-Stunden-Woche. Die Zeit, in der sie nicht behandeln, widmen sie unter anderem der Bürokratie, der Abrechnung, Gutachten für Patienten und der Fortbildung. Abendblatt-Leserin Susanne Adrian bemängelt: „Warum ist es nicht möglich, dass sich mehrere Praxen zusammentun und umschichtig eine Notfallsprechstunde anbieten? Vielleicht sogar am Sonnabend?“

Können die neuen Terminservicestellen Abhilfe schaffen?
Dieser neue Service der Kassenärztlichen Vereinigungen soll Patienten binnen vier Wochen einen Termin bei einem Facharzt besorgen, wenn sie selbst bei ihrem Wunscharzt in dieser Frist keinen erhalten. Doch die Terminservicestellen bringen nach Expertenmeinung gar nichts. Patientenschützer Wolfram-Arnim Candidus (Bürger Initiative Gesundheit) spricht von „bürokratischem Irrsinn“ und „Verdummung“ der Bürger. Außerdem würden die Ärzte diffamiert. Abendblatt-Leser Wolfgang Schulz schreibt, er habe einen neuen Hausarzt gesucht und sei fünfmal abgewiesen worden.

Wie lässt sich der Patientenstrom
lenken?

Eine „Eintrittsgebühr“ für die Notaufnahme lässt sich kaum durchsetzen. Abendblatt-Leser Rolf Schmidt schlägt vor: Wer als Notfall komme, solle zunächst selbst bezahlen und das Geld von der Krankenkasse erstattet bekommen, wenn das Krankenhaus den Notfall bestätigt. „Da diese Regelung für die Krankenhäuser die Gefahr beinhaltet, auf den Kosten sitzen zu bleiben, wird es die Diagnostik auch auf ein vernünftiges Maß reduzieren.“ Kritiker sagen: Die Krankenhäuser machen zu viele kostspielige Untersuchungen an ihren Notfällen. Das liege auch daran, dass in den Notaufnahmen oft junge, unerfahrene Ärzte seien. „Manche Kollegen können nicht mal richtig sonografieren“, bemängelt ein Arzt.


Gibt es einen „Google-Effekt“?

Ja. Patienten kommen mit vorgefertigten „Diagnosen“ aus dem Internet, sagen Ärzte. Ein „verändertes Körperbewusstsein“ bei Jüngeren hat KV-Vize Hofmeister festgestellt. Die Allverfügbarkeit von medizinischen Informationen und angeblichen Experten- sowie Betroffenen-Foren führt zu einer Verunsicherung, die viele Patienten gerne in der Notaufnahme abklären wollen.