64 Jugendliche sind im Ernst Deutsch Theater für ihr Eintreten gegen das Vergessen von Unrecht und für ein friedliches Miteinander ausgezeichnet worden

Zwei Begriffe prägten die gestrige Verleihung des Bertini-Preises im Ernst Deutsch Theater, sie waren in den Festreden zu hören und in den Projekten der Preisträger zu erleben: Erinnerung und Empathie.

Erinnerung an die Verbrechen der Nationalsozialisten und Empathie, die Fähigkeit sich hineinzuversetzen, in die Schicksale der Menschen, die den Gräueltaten in der NS-Zeit zum Opfer fielen.

Zum 18. Mal wurden junge Hamburgerinnen und Hamburger am gestrigen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus mit dem Bertini-Preis ausgezeichnet. Der Preis, benannt nach dem Roman „Die Bertinis“ des Schriftstellers Ralph Giordano, würdigt Projekte, in denen Jugendliche Spuren vergangener Unmenschlichkeit in Hamburg sichtbar machen oder Zivilcourage bewiesen haben, um Unrecht, Ausgrenzung und Gewalt gegen Menschen zu verhindern.

Mit 25 Projekten hatten sich Jugendliche im vergangenen Jahr um die Auszeichnung beworben. Für fünf Projekte votierte die Jury des Bertini-Vereins. Und so wurden 64 Jugendliche an diesem Nachmittag mit einer Urkunde und einem Preisgeld in Höhe von 1250 Euro pro Gruppe geehrt. Doch bevor es zur Preisverleihung kam, begrüßte die Intendantin des Ernst Deutsch Theaters Isabella Vértes-Schütter die Gäste, darunter auch Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD), die Abgeordneten der Hamburgischen Bürgerschaft sowie Peggy Parnass, 82, die langjährige Wegbegleiterin von Ralph Giordano.

Und in Worten war auch er anwesend: der 2014 verstorbene Ralph Giordano, Ehrenmitglied des Bertini-Kuratoriums. Der Hamburger, Sohn eines Sizilianers und einer Jüdin, hatte die Verfolgung der Nazis überlebt und seine bitteren Erfahrungen in dem Roman „Die Bertinis“ verarbeitet. „Es muss an die Verbrechen gegen die Menschlichkeit erinnert werden, weil nur die Erinnerung davor schützt, dass ähnliche Verbrechen geschehen“, zitierte Schulsenator Ties Rabe (SPD) in seiner Grußrede den großen Publizisten. Und in diesem Sinne lobte er den Mut der Jugendlichen, sich couragiert gegen das Vergessen einzusetzen, auch wenn es anderen „uncool“ erscheine. Und dankte ihnen für die Empathie, ihre Anteilnahme an den Schicksalen, die sie zu ihren Arbeiten bewegten. Daran knüpfte auch Festredner Patrick Abo­zen an. Der Hamburger Schauspieler, bekannt aus TV-Serien wie „Tatort“, war vor drei Jahren selbst an einem mit dem Bertini-Preis gewürdigten Theaterprojekt der beruflichen Schulen H 20 beteiligt. In Zeiten, in denen es immer weniger Zeitzeugen gibt, sei die Erinnerungsarbeit umso wichtiger, auch um das „Böse zu entlarven und zu handeln“, sagte er. Denn „das ist unsere Aufgabe als Menschen, alles andere wäre unmenschlich“, sagte der Schauspieler. Er lobte die Preisträger: „Ihr habt euch menschlich eingesetzt.“

Nach jazzigen Musik-Einlagen der Gruppe Funky Fish, moderierte Jan Frenzel, Redakteur des NDR „Hamburg Journals“, auf lockere Art die anschließende Auszeichnung der fünf Projektgruppen. Kurze Einspielfilme des NDR stellten die jeweiligen Projekte vor. Förderer des Bertini-Preises übernahmen die Laudatio für die jungen Preisträger. So würdigte Patin Gabriele Kroch von der Howard und Gabriele Kroch-Stiftung in ihrer Preisrede die Schülerinnen des Gymnasiums Finkenwerder. Sie hatten sich mit dem kurzen Leben des behinderten Jungen Hermann Quast aus Finkenwerder befasst. Er fiel dem Euthanasieprogramm der Nazis zum Opfer. Die Schülerinnen erinnerten an sein Leben mit einer Dokumentation und der Verlegung eines Stolpersteins, dem ersten auf Finkenwerder. „Mit dem Gedenkstein für den kleinen Hermann habt ihr dem Anderssein eine Stimme gegeben“, sagte Gabriele Kroch.

Keine Scheu vor anderen bewiesen auch die Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Bondenwald in Niendorf. Als in ihrem Stadtteil eine Zentrale Erstaufnahme für Flüchtlinge eröffnet wurde, organisierten sie in ihrer Schule ein Angebot für Flüchtlinge. Gemeinsam treiben sie regelmäßig Sport und fördern so eine bessere Integration. Diese konsequente und nachhaltige Umsetzung der Idee, anderen Menschen, die Hand zu reichen, war der Jury einen Preis wert.

Beharrlichkeit und eine brisante Aktualität zeichnete das Projekt von Schülern des Ludwig-Meyn-Gymnasiums in Uetersen aus. Mit ihrer Frage „Ist Adolf Hitler noch Ehrenbürger von Uetersen?“ deckten die Jugendlichen nicht nur einen bis dahin laschen Umgang ihrer Stadt mit der eigenen Geschichte auf, sondern brachten ein verdrängtes Thema auch auf die Tagesordnung der Ratsversammlung. „Eure Aktion schlug erhebliche Wellen, auch weit über Uetersen hinaus, viele Zeitungen griffen das Thema auf“, lobte Hans-Juergen Fink, früherer Kulturchef des Hamburger Abendblatts.

Auch zwei kreative Projekte wurden ausgezeichnet. In selbst getexteten und komponierten Songs wandten sich Schüler der Stadtteilschule Wilhelmsburg gegen Rassismus und religiöse Verblendung. Auf einer mit Musikprofis produzierten CD vermitteln sie ihre Botschaft von Toleranz und Frieden, wie sie sie selber in ihrer Schule mit vielen Einwanderern leben.

Eine tief bewegende szenische Lesung über das Überleben von Holocaust-Opfern haben Schüler des Johanneums auf die Bühne gebracht. Sie zeigten, wie die Extremsituation der Verfolgung und Deportation die Menschen noch nach dem Holocaust prägten, und „machten die Erinnerung fühlbar“, sagte der Musiker Axel Zwingenberger.