Neustadt. 42-Jähriger wollte viel Geld von der Sängerin. Jetzt wurde der Hartz-IV-Empfänger wegen versuchter Erpressung verurteilt.
Weil der Angeklagte so lange geredet hat, schafft es Annett Louisan, bürgerlich Annett B., erst mit einstündiger Verspätung in den Gerichtssaal. Über ihre Anwälte hatte die Hamburger Sängerin, 38 („Das Spiel“), noch versucht, die Öffentlichkeit vom Prozess ausschließen zu lassen – ohne Erfolg. Antrag abgelehnt.
Sie kommt mit einem eigenen Juristen. Eine kleine, zierliche fast elfenhafte Frau in Turnschuhen und Steppjacke. Auf der Bühne hat die Sängerin eine Stimme, vor Gericht hat sie nur ein Stimmchen, vermutlich weil sie nun doch, bei ihrer Premiere als Zeugin, ein bisschen nervös ist.
Zwei Armlängen von ihr entfernt sitzt Bilgehan Y., ihr Ex-Freund. Ausgerechnet der 42-Jährige hat versucht, von der Sängerin via Facebook Geld zu erpressen. Auf einer Metaebene geht es am Freitag vor dem Amtsgericht deshalb auch um das Standard-Sujet der Balladen-Sängerin: um enttäuschte, um gescheiterte Liebe.
Es waren verstörende Nachrichten, die Annett Louisan im April von ihrem Ex-Freund erhielt. Elf Jahre waren seit der Trennung vergangen, neun seit ihrer letzten Begegnung. 20 Prozent ihrer Einnahmen seit 2004 forderte der 42-Jährige, dazu eine exakte Auflistung ihrer Einkünfte. Denn, so der Tenor der E-Mails, habe er, Bilgehan Y., doch maßgeblich zu ihrem musikalischem Erfolg, ihrer Karriere, beigetragen. Sollte sie der Forderung nicht nachkommen, werde er ihre Schuld auf „persönliche, immaterielle Weise“ regeln. Was sie darunter zu verstehen hatte, wusste die Sängerin selbst nicht so genau, sie fühlte sich aber massiv bedroht. Vor allem, als sie eine weitere E-Mail erreichte, in der Bilgehan Y. andeutete, er habe „lose Bekannte“, die seine Ansprüche auch dann durchsetzen würden, wenn es ihm „gesundheitlich nicht mehr gut“ ginge.
„Als ich seine Nachrichten las, war ich erschrocken, ja geschockt“, sagt die 38-Jährige. „Ich dachte, er hat seinen Verstand verloren. Die Mails waren so herablassend und so voller Hass, dass ich richtig Angst hatte.“ Sie habe sich kaum noch aus dem Haus getraut. „Es gab eine gehörige Portion Kopfkino für mich.“
Völlig verängstigt wandte sich die Sängerin an die Polizei. Obgleich die Beamten Bilgehan Y. dann bei einer „Gefährderansprache“ ins Gewissen geredet hatten, folgte noch eine weitere Droh-Mail, Wortlaut: „Wow, eben hat mich die Kripo besucht. Wie beeindruckend! Damit habe ich deine Antwort zur Kenntnis genommen.“
Bilgehan Y. legt Wert auf ein kultiviertes Äußeres und ein eloquentes Auftreten. Annett Louisan spricht später von „narzistischen Zügen“, die sie bei ihrem Ex-Freund schon damals festgestellt haben will. Gleich zu Beginn räumt der 42-Jährige die Tat ein: Dass er die Mails geschrieben habe und dass sie durch die bewusst offen gehaltenen Formulierungen bedrohlich gewirkt haben könnten. Ihm sei es aber immer um Gerechtigkeit gegangen. „Ich habe nur geblufft und wollte ihrer Erinnerung auf die Sprünge helfen.“
Erinnerung an das, was für Bilgehan Y. ein Fakt, für Louisan hingegen „totaler Quatsch“ ist. Anfang 2003, behauptet der Angeklagte, habe er eine Art maßgeschneidertes „Konzept“ für die bis dato recht erfolglose Sängerin entwickelt, eine Vision. Er habe ihre Talente herausgearbeitet und ihr geholfen, ihre Defizite zu erkennen.
„Annett hat bis dahin auf Englisch gesungen und so Eurodance-Nummern gemacht. Aber ihre Talente bezogen sich nicht auf das Tanzen, dazu hatte sie überhaupt gar nicht die Fitness, ihr Talent ist das Singen.“ Er sei es gewesen, der ihr geraten habe, mit deutschen Balladen und einer Zielgruppe diesseits der 30 Jahre ins Rennen zu gehen. Annett habe ihm daraufhin eine Beteiligung von 20 Prozent an ihren Einnahmen zugesagt – einen schriftlichen Vertrag habe es indes nie gegeben.
Louisans Debütalbum „Boheme“ war 2004 in Deutschland ein voller Erfolg, belegte Platz 3 der Album-Charts. Nach der Trennung im Frühjahr 2004 habe er Anfang 2005 am Telefon mit ihr über die Vereinbarung gesprochen – nur habe sich Louisan nicht mehr daran erinnern wollen. „Das war echt eine Riesensauerei“, sagt Bilgehan Y. Nach einem weiteren Versuch Anfang 2006 habe ihm die Sängerin ein Kuvert mit 1000 Euro gebracht. „Das war viel zu wenig, für das was ich geleistet habe“, sagt der Angeklagte. „20.000 bis 25.000 Euro wären gut gewesen.“ Die ganze Episode habe ihn „schwer verletzt“. Als er sich im April 2015 an einem finanziellen und emotionalen Tiefpunkt befunden habe, „kam alles wieder hoch.“
Immer wieder muss der Vorsitzende Richter den Angeklagten unterbrechen, um seine Aussage in halbwegs vernünftige Bahnen zu lenken. Bilgehan Y. driftet ab vom Kerngeschehen, verliert sich in Monologen über das Wesen der Musikbranche, vielleicht auch ein bisschen im Wohlklang der eigenen Worte. Zu dem, was der Angeklagte, so wortreich wie weitschweifig über seine vermeintlichen Ansprüche zu Protokoll gegeben hat, fällt Louisan bei ihrer Zeugenvernehmung indes nur eins ein: „Totaler Quatsch“.
Klar, habe sie sich Ratschläge geholt, von ihrem Freund genauso wie von ihrer Mutter und anderen Bekannten. Mit Bilgehan Y. habe sie damals schlicht „Alltagsgespräche“ über ihre Kunst geführt, „aber nichts darüber hinaus“, so die Sängerin. „Ich schulde Herrn Y. gar nichts.“
Dafür schuldet Bilgehan Y. der Staatskasse nun 480 Euro, der Amtsrichter verurteilt den bisher unbestraften Angeklagten, der zurzeit von Hartz IV lebt, zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätze à acht Euro. In seinem Schlusswort beteuert der Mann: „Ich wollte Annett nie Unheil antun.“ Ihm sei es um Gerechtigkeit gegangen. Am meisten offenbar für sich selbst.