Hamburg. Wie wird der Bürgermeister den Senat umbilden?Sucht er nur einen Nachfolger für den amtsmüden Innensenator Michael Neumann (SPD) oder wählt er die große Rochade, bei der auch die Ressorts Wirtschaft und Kultur eine Rolle spielen?

Stolz ist keine Kategorie in der persönlichen Leistungsbilanz des Sozialdemokraten Olaf Scholz. Jedenfalls würde der Erste Bürgermeister öffentlich nie sagen, dass er auf Erreichtes stolz sei. Aber es bedeutete doch mehr als nur Genugtuung für ihn, dass alle seine Senatoren und Senatorinnen in der vergangenen Legislaturperiode über die vollen vier Jahre im Amt blieben. Keine Skandale, keine politischen Verwerfungen und folglich keine Rücktritte – das war eine Facette des scholzschen Leitbildes vom „ordentlichen Regieren“.

Und man muss schon ziemlich weit zurückblättern in der Chronik des politisch stets turbulenten Stadtstaats, um einen Vorläufer zu finden: Paul Nevermann, Sozialdemokrat wie Scholz, war der letzte, der sein Senatsteam unverändert über die volle Distanz von vier Jahren brachte – und das war immerhin schon von 1961 bis 1965. Wie wichtig Scholz die personelle Kontinuität war, zeigte sich auch im Bürgerschaftswahlkampf 2015. „Never change a winning team – keine Auswechslungen bei einer siegreichen Mannschaft“, lautete seine Entgegnung auf alle Spekulationen auf eine Senatsumbildung nach einem möglichen Wahlerfolg.

Dann bescherten die Hamburger Wähler Scholz den Verlust der absoluten Mehrheit und eine rot-grüne Koalition mit der zwangsläufigen Folge einer Senatsumbildung. Dass Stadtentwicklungssenatorin Jutta Blankau und Justizsenatorin Jana Schiedek (beide SPD) dem neuen Senat nicht mehr angehören wollten, war gewissermaßen noch regelkonform. Als aber Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) im Oktober – nur ein halbes Jahr nach dem Start des rot-grünen Bündnisses – die Brocken hinwarf und in den Vorstand der Nürnberger Bundesagentur für Arbeit wechselte, war der alte Nimbus dahin.

Nun ist Scholz in erster Linie Realpolitiker und pflegt verlorenen Schlachten nicht hinterherzutrauern. Den flotten Spruch vom Nichtauswechseln der Senatoren hat er einfach schnell eingemottet. Es kommt ja ohnehin noch dicker: Nach dem Verlust des politischen Schwergewichts Scheele ist ein zweiter Abgang absehbar: Innen- und Sportsenator Michael Neumann (SPD) ist amtsmüde – erst recht nach dem Olympia-Aus beim Referendum am 29. November.

Der Job in der Innenbehörde am Johanniswall gilt nicht nur als Schleudersitz, er ist auch sehr verzehrend. Neumann ist seit März 2011 dabei und hat mit fast fünf Jahren eine längere Amtszeit als die weitaus meisten seiner Vorgänger aufzuweisen. Dass er lieber heute als morgen aufhören würde, hat er mehr als einmal durchblicken lassen. Aus dem Senat heißt es, dass der Ressortchef Inneres nur noch sporadisch an den wöchentlichen Sitzungen der Landesregierung teilnimmt. Dass Neumann auf seine Art Distanz zum Amt gewinnt, zeigt auch, dass der Berufssoldat gerade an einer längeren Wehrübung teilgenommen hat. Der Einsatzort war praktischerweise die Helmut-Schmidt-Universität in Marienthal und nicht ein ferner Truppenübungsplatz.

Neumann war also ortsanwesend und konnte unproblematisch wichtige politische Termine wahrnehmen. So verschaffte sich der Senator am vergangenen Sonnabend nachts ein Bild von der Sicherheitslage auf St. Pauli, wo es in der Silvesternacht zu massiven sexuellen Übergriffen auf Frauen vermutlich durch Männer mit nordafrikanischer und arabischer Herkunft gekommen war. Und in derselben Sache gab Neumann Interviews und stand am Donnerstag dem Innenausschuss der Bürgerschaft Rede und Antwort.

Dass der Innensenator nach wie vor im Amt ist, liegt offensichtlich daran, dass Scholz ihn (noch) nicht gehen lässt. Da ist einmal die nahe liegende, aber schwer zu beantwortende Frage, wer auf Neumann folgen könnte. Für Scholz ist gerade dieser Posten extrem wichtig: Das Trauma des Machtverlusts 2001 wirkt unverändert nach. Damals musste die SPD in die Opposition, weil die Wähler ihr nicht mehr zutrauten, die Sicherheitslage in den Griff zu bekommen. Aus Sicht des Bürgermeisters hat Neumann diese gefährliche Flanke für die SPD seit 2011 gesichert. Anders ausgedrückt: Im Innenressort liegt die Latte besonders hoch.

Fachlich kompetent ist zweifellos SPD-Bürgerschaftsfraktionschef An­dre­as Dressel, der sich als innenpolitischer Sprecher der Fraktion einst einen Namen gemacht hat. Aber Dressel ist mit seinem ausgleichenden Charakter gerade in Zeiten einer Koalition mit den Grünen an der Fraktionsspitze eigentlich unverzichtbar. Und: Dressel ist in politischer Gestaltung und politischem Gewicht als Fraktionschef viel unabhängiger. Schließlich würde sein Abgang aus der Fraktion eine wiederum schwer zu schließende Lücke an der zentralen Nahtstelle der Regierungsarchitektur reißen.

Bisweilen fällt auch der Name des Eimsbütteler Bezirksamtsleiters Torsten Sevecke, dem Interesse an dem Job nachgesagt wird. Der Verwaltungsjurist ist ein Freund klarer Worte und könnte so gesehen überzeugend den „roten Sheriff“ geben. Allerdings müsste der Bürgermeister seinen Grundsatz über Bord werfen, leitende Beamte und Staatsräte nicht in die operative politische Verantwortung, sprich in den Senat, zu berufen. Nicht einfacher wird die Sache für Scholz dadurch, dass mit Neumann der letzte Sozialdemokrat des Kreisverbands Mitte den Senat verlassen würde. Weder Dressel noch Sevecke haben dort ihre politische Heimat. Der machtbewusste SPD-Mitte-Chef Johannes Kahrs hat aber schon deutlich gemacht, dass ein SPD-geführter Senat ohne einen Mitte-Genossen für ihn nicht vorstellbar ist.

Es könnte noch einen weiteren Grund geben, warum Scholz Neumann weiterhin im Senat zu halten versucht. Im Umfeld des Bürgermeisters wird der Gedanke diskutiert, die jetzige Situation zu einem größeren Revirement im Senat zu nutzen. Die Lage ist derzeit insgesamt ja eher schwierig, Stichworte sind die fortdauernden Probleme bei der Unterbringung und Integration der Flüchtlinge oder auch die Hafenkrise. Fünf Jahre nach der Regierungsübernahme und vier Jahre vor der nächsten regulären Bürgerschaftswahl könnte der richtige Zeitpunkt für einen Neustart sein. Solange das Personaltableau insgesamt aber nicht steht, so die Lesart, müsse Neumann durchhalten.

Zwei Namen fallen bei Diskussionen innerhalb der regierenden Sozialdemokraten in diesem Zusammenhang: Wirtschafts- und Verkehrssenator Frank Horch und Kultursenatorin Barbara Kisseler, beide parteilos. Horch ist verantwortlich für zwei Behörden, die jede für sich eigentlich die volle Aufmerksamkeit verlangen. Der dramatische Rückgang des Containerumschlags im Hafen und dessen zunehmende Verschlickung sind allein schon große Baustellen. Zusätzlich bedroht wird die Entwicklung des Hafens als dem wirtschaftlichen Zentrum der Stadt durch die nach wie vor ausstehende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts über die seit zehn Jahren geplante Elbvertiefung.

In Horchs Gestaltungsbereich fällt auch die kleinteilige Umsetzung des Busbeschleunigungsprogramms und der ehrgeizige Ausbau Hamburgs zur Radfahrmetropole. Für die negativen Entwicklungen des China- und Russland-Handels, die sich massiv auf den Hafen auswirken, kann Horch ebenso wenig wie für die unersprießliche juristische Hängepartie in Sachen Elbvertiefung. Allenfalls die vielen Nickeligkeiten in der Verkehrspolitik können ihm angelastet werden. Der frühere Handelskammer-Präses hat allerdings Amtsmüdigkeit bislang nicht zu erkennen gegeben. Und ins Gewicht fällt auch, dass Scholz Horch nach der Bürgerschaftswahl 2015 ausdrücklich gebeten hat, weiterzumachen.

Das gilt auch für Kultursenatorin Kisseler, deren größtes Projekt – die Elbphilharmonie – mit der Eröffnung in einem Jahr der Vollendung entgegengeht. Sollte sich Scholz zu einem größerem Revirement entschließen, dann wäre das sicherlich nicht Folge mangelnder politischer Fortune der Amtsinhaber und würde nur mit deren Einverständnis geschehen. Es wäre ein Signal des Aufbruchs über den nächsten Wahltag hinaus.