Hamburg. Mit durchschnittlich 8,4 Grad liegt der Monat auf April-Niveau. Der Klimawandel ist mit voller Kraft in Hamburg angekommen.
Vor den Cafés saßen die Menschen unter funkelnder Festbeleuchtung, für Glühwein war es eigentlich nie kalt genug, und der Weihnachtsbummel um die Alster glich eher einem Frühlingsspaziergang – mit einem normalen Wintermonat hatte dieser Dezember wirklich wenig zu tun.
Tatsächlich sind die Temperaturen der vergangenen vier Wochen für Frank Böttcher vom Institut für Wetter- und Klimakommunikation in Tonndorf der endgültige Beweis dafür, dass der Klimawandel in Hamburg angekommen ist. Und zwar nicht schleichend, sondern mit voller Kraft. „Acht Temperaturrekorde zwischen dem 17. und dem 27. Dezember: Deutlicher kann das Signal kaum ausfallen“, sagt er. Zwischen 10,2 und 13 Grad lagen die Tagesmitteltemperaturen an den Rekordtagen in Fuhlsbüttel. „In einem stabilen Klimasystem läge die Wahrscheinlichkeit dafür, dass es in nur elf Tagen gleich acht Temperaturrekorde gibt, bei unter eins zu 10.000 Jahren.“
Die Blumen des Jahres seit 1980
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Generell lag der Dezember in Hamburg mit 8,4 Grad auf April-Niveau und damit rund 6,5 Grad über den für Dezember üblichen Werten. Ähnliche Differenzen gab es in der Hansestadt nur in den Dezembermonaten 2006 (+4,8 Grad) und 1974 (+4,1 Grad). Bundesweit lagen die Temperaturen in diesem Dezember um 5,7 Grad höher als die üblichen Mittelwerte und damit höher als alle Werte, die in diesem Monat zuvor gemessen wurden. Die höchsten Anomalien gab es bislang im Februar 1990 und im Januar 2007 mit je + 5,3 Grad und im Juli 2006 mit + 5,1 Grad. „Der Dezember 2015 ist also der Monat mit der bisher höchsten positiven Abweichung überhaupt“, sagt Böttcher. Nicht nur der Dezember, das ganze Jahr 2015 fiel bundesweit zu warm aus. Im Mittel lag die Temperatur etwa 1,8 Grad über den Normalwerten. Damit wurde direkt nach dem Rekordjahr 2014 nun das zweitwärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen 1861 in Deutschland registriert.
Wärmste Jahr in Hamburg seit 60 Jahren
In Hamburg war das Jahr 2014 jedoch „nur“ das wärmste seit 60 Jahren. Den Zahlen und Prognosen des Deutschen Wetterdiensts (DWD) zufolge ist die Jahresdurchschnittstemperatur in der Hansestadt allein in den Jahren 1971 bis 2000 um gut ein Grad angestiegen. Der Höhepunkt ist damit allerdings noch längst nicht erreicht: Dem DWD zufolge könnte die Durchschnittstemperatur in Hamburg bis 2050 um weitere 1,2 Grad steigen.
Schneeballschlachten und Schlittschuhlaufen auf der zugefrorenen Alster dürften damit noch seltener werden – und für viele eine fröhliche Erinnerung aus Kindertagen bleiben. So wie für Mojib Latif, Ozeanograf der Universität Kiel. Während seiner Kindheit sei es in Hamburg im Winter fast immer kalt gewesen, sagt er. „Es gab viel Schnee und Eis.“ Damals, in den 1950er- und 1960er-Jahren, hätten sich auf der Elbe oft dicke Eisschollen gebildet, und Hafenbecken seien zugefroren. „Wenn das heute geschieht, wundern sich die Leute, und es gibt eine Sondersendung im NDR“, sagt Latif. Seit drei Jahrzehnten beschäftigt er sich als Forscher mit dem Klima; er kann Indizien mit wissenschaftlichen Daten abgleichen. Und das macht den Professor sicher: „Dass die Erwärmung auch in Norddeutschland zunimmt, ist nicht nur eine gefühlte Entwicklung – es ist mit Messungen eindeutig belegt. Der Klimawandel ist bei uns angekommen.“
Den extremen Temperaturanstieg am Nordpol, wo die Temperaturen gerade mit 0 Grad mehr als 30 Grad höher liegen als sonst, hält der Klimaforscher jedoch für eine Ausnahme. „Das ist ein kurzfristiges Wetterphänomen“, sagte er. Man müsse sich aber darauf einstellen, dass solche Wetterphänomene in Zukunft häufiger auftreten.
Für Frank Böttcher beeinflusst neben der globalen Erderwärmung, die zu den derzeit milden Temperaturen über Westeuropa führe, auch das Klimaphänomen „El Niño“ unser Wetter. Das hat gerade über dem pazifischen Raum seinen Höhepunkt erreicht, wo es die zu dieser Jahreszeit übliche Temperatur des Ozeans um 2,8 Grad hat ansteigen lassen. „Dieser El Niño ist der stärkste, den wir je hatten“, so Böttcher. Eine Auswertung habe gezeigt, dass der Dezember bei sehr starken El-Niño-Ereignissen bei uns in 70 Prozent aller Fälle zu warm ausgefallen sei. Der Januar lasse der Statistik nach dann wieder etwas kältere, Februar und März voraussichtlich mildere Temperaturen erwarten.
Tatsächlich soll es gleich nach Silvester kalt werden. „Nachdem Orkantief ,Eckhart’ seine milden Luftmassen zum Nordpol geschoben hat, kommt die so verdrängte Arktiskälte nun zu uns“, so Böttcher. Zunächst gelange kalte Luft nach Osteuropa. Auf den Bergen Kretas dürfte es daher heute mit null Grad ebenso kalt sein wie am Nordpol. In Hamburg erwartet Böttcher im Verlauf des Sonnabends einen Temperaturabfall von +2 auf -3 Grad. Eisiger Ostwind bringe Tiefsttemperaturen um -7 Grad. Zwischen Montag und Mittwoch soll es schneien – mit der Option, den Rekord von Anfang 2015 (zwei Zentimeter) zu brechen.
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