Hamburg . Viele Organisationen stecken in Schwierigkeiten, weil sich fast alles auf Flüchtlinge konzentriert. Die Sorge ist offenbar groß.
Beinahe wären die bunten Teller leer geblieben. Erstmals. „Ich habe nette Menschen angerufen, die ich kenne“, sagt Margot Glunz. „Die haben kurzfristig Kekse und Stollen gebacken, damit wir für unsere Weihnachtsfeier vor einer Woche wenigstens ein paar Leckereien hatten.“ Für Musik war immerhin gesorgt. Die Hamburger Symphoniker hatten eine kleine Bläserabordnung ins CaFée mit Herz auf St. Pauli geschickt, dort, wo seit sechs Jahren Obdachlose und andere Bedürftige mit Essen, Kleidung sowie menschlicher Nähe versorgt werden. Auch und besonders zu Weihnachten.
Doch diesmal ist alles anders. Nicht nur die üblichen Backwaren fehlten. Der Verein, der sich ausschließlich aus Spenden finanziert, steht vor dem finanziellen Kollaps. „Wir haben zwei Monate lang nichts, aber auch gar nichts an Spenden bekommen“, sagt die Geschäftsführerin. „Das war noch nie so. Wenn das so weitergeht, müssen wir im Sommer schließen.“
Die Fokussierung auf die einen führt zur Vernachlässigung der anderen
Vorweihnachtszeit ist Spendenzeit. Was von Oktober bis Dezember an Geldzuwendungen hereinkommt, muss bis zum nächsten Fest ausreichen. „Ich habe keine Ahnung wie ich im kommenden Jahr meine Betriebskosten bezahlen soll“, sagt Glunz. Ihre Analyse: „Die Flüchtlingsströme haben die Situation verändert. Alles rennt in die Messehallen, um dort zu helfen. Bei der NDR-Benefiz-Gala kamen 2,25 Millionen Euro an Spenden für Flüchtlinge zusammen. Wenn das so weitergeht, ist der soziale Frieden in Gefahr. Flüchtlingshilfe ist ein Gebot der Stunde, aber darüber darf man nicht die Not der anderen vergessen.“
Klare Worte einer Frau, die sich traut, ein Problem anzusprechen, von dem zunehmend soziale Einrichtungen, vor allem aber kleine, gemeinnützige Vereine und private Organisationen betroffen sind. Das Elend der Menschen aus den Kriegsgebieten hat zwar zu einer beeindruckenden Welle der Hilfsbereitschaft geführt. Doch die Fokussierung darauf verschärft die Not der ebenfalls auf Spenden angewiesenen anderen Bedürftigen in der Stadt. Kinder-, Gefangenen- und Obdachlosenhilfe, Hospize, Plattformen für Ehrenamtliche, Hilfsprojekt-Vermittler fehlen zunehmend finanzielle Unterstützung sowie ehrenamtliche Helfer.
Betroffene Vereine halten sich mit Äußerungen derzeit zurück
Das Dilemma dabei: Niemand will in Konkurrenz zu den Flüchtlingen treten. „Es hätte den Charakter von gegenseitigem Ausspielen. In diesen Ruf möchte niemand geraten“, sagt Kai Puhlmann, Geschäftsführer im Hamburger Hospiz sowie Vorsitzender im Landesverband Hospiz- und Palliativarbeit. Er ist noch zuversichtlich, dass Finanzierung und Ehrenamt-Engagement auf einem guten Niveau bleiben. Obwohl auf der letzten Verbandstagung schon erste Befürchtungen laut wurden. „Genau wissen wird man es erst Anfang kommenden Jahres, wenn wir unseren Finanzabschluss machen.“
Wer zugibt, finanziell nicht mehr stabil zu sein, verunsichert und vergrault möglicherweise seine Spender. Auch deshalb halten sich Betroffene derzeit noch zurück mit ihren Zukunftsängsten. Raymund Pothmann, Vorstandsvorsitzender des Vereins Kinderpact, dessen Mitarbeiter Eltern beim Sterben ihrer Kinder zu Hause zur Seite stehen, bringt seine Sorgen dennoch auf den Punkt. „Wir müssen dafür sensibilisieren, dass eine Schieflage droht“, sagt der Kinderarzt mit dem Schwerpunkt Schmerztherapie. „Unser Spendenaufkommen ist schon jetzt signifikant geringer geworden. Wir bezahlen damit Leistungen, die die Kassen nicht übernehmen, also psychologische Betreuung oder auch mal eine Musiktherapie, wenn Worte nicht mehr helfen. Auch das Hospiz Sternenbrücke, mit dem wir kooperieren, sowie der Familienhafen, ebenfalls ein ambulanter Kinderhospizdienst, sind alarmiert. Das ist eine beunruhigende Situation.“
Pothmann gehört zu einer Gruppe von 15 Ärzten, die sich ehrenamtlich um die Flüchtlinge in Klein Borstel kümmern. Erst kürzlich begleitete er ein Flüchtlingskind beim Sterben in der Sternenbrücke. Sein Lösungsvorschlag: „Wir brauchen dringend einen Paradigmenwechsel. Weg von ,entweder oder‘, hin zu ,sowohl als auch‘.“
Das betrifft auch das ehrenamtliche Engagement. Der Tafel, aber auch anderen sozialen Einrichtungen gehen die Helfer aus, um die gestiegenen Anforderungen zu bewältigen. Werner Schimming, Schatzmeister des Spendenparlaments, stellt diesen Trend seit zwei Jahren fest. „Wenn aus unserem Stamm an Freiwilligen jemand ausfällt, ist es inzwischen problematisch, Ersatz zu finden.“ Finanziell sei man noch guten Mutes. „Aber es wird langfristig sicherlich schwieriger, dieses Niveau zu halten.“
Spender verhalten sich meist wie ein Schwarm, belegen Studien
Auch Theresa Senk, Geschäftsführerin von „Tatkräftig – Hände für Hamburg“, eine Initiative für projektorientiertes Freiwilligen-Engagement, stellt eine vermehrte Nachfrage nach Hilfsmöglichkeiten für Flüchtlinge fest: „Viele unserer Teilnehmer wollen in die Flüchtlingshilfe. Das ist auffällig.“ Zudem höre sie zunehmend Klagen darüber, dass private Sponsoren, aber auch Firmen ihre Spendengelder umdirigieren und in die Flüchtlingshilfe geben. „Natürlich kann man das nicht steuern. Aber ein ungutes Gefühl hat man schon dabei.“
Dass sich Spender schwarmhaft verhalten, ist wissenschaftlich belegt. Auch die Ursachen dafür. Jürgen Schupp, der als Sozialwissenschaftler die Psychologie des Spendens untersucht hat, erklärte das Phänomen am Beispiel des Tsunamis 2005: „In dem Moment, wenn das Leid in die Wohnstuben kommt, beginnen Menschen zu spenden.“ Es geht um die Macht der Bilder. Flüchtlinge in Not an Grenzen und in Lagern erwecken Mitgefühl und das Gefühl, helfen zu wollen. Dagegen haben es Bedürftige ohne Öffentlichkeitslobby schwer.