Hamburg . 131 Koran-Verteilaktionen bedeuten neuen Höchststand. Der Verfassungsschutz zählt 270 gewaltbereite Salafisten.
Mit seinen Versuchen, den radikalislamischen Salafismus durch Prävention und Aufklärung einzudämmen, ist der Hamburger Senat bisher offenbar wenig erfolgreich. Die Zahl der Koran-Verteilaktionen radikaler Gruppen an Infoständen in der Hansestadt jedenfalls ist in diesem Jahr auf einen neuen Höchststand gestiegen. Bereits 131 solcher Stände hat es im noch laufenden Jahr in Hamburg bis Mitte Dezember gegeben, im gesamten Jahr 2014 waren es dagegen lediglich 56. Hinzu kommen zahlreiche mobile Aktionen, bei denen Salafisten Korane und Informationsmaterial aus Rucksäcken heraus verteilen. Wie viele solcher Aktionen es in Hamburg zuletzt gegeben hat, vermag der Senat nicht zu sagen. Schwerpunkt der Aktionen ist der Bezirk Mitte. Das geht aus der Antwort des Senats auf eine Kleine Anfrage der FDP-Justizpolitikerin Anna von Treuenfels hervor.
Dem Senat sind teilweise die Hände gebunden
Organisiert werden die Rekrutierungs- und Verteilaktionen von den Gruppen „LIES!“, „Hamburg Dawah Movement“ und „Siegel des Propheten“. Dem Senat ist zwar bekannt, dass sich aus diesen Gruppen auch Kämpfer für die Islamisten in Syrien oder im Irak rekrutieren. So sind allein 14 Mitglieder einer dieser Gruppen bekannt, die von Hamburg aus in diese Länder gereist sind. Gleichwohl sieht der Senat keine Möglichkeiten, die Werbeaktionen dieser Gruppen oder die Gruppen selbst zu verbieten. Die Organisatoren achteten peinlich genau auf die Einhaltung des Wegerechts und begingen bei den Aktionen keinerlei Straftaten, heißt es aus den Behörden. Und in der Senatsantwort auf die FDP-Anfrage heißt es: „Die Beurteilung eines Verbots von Informationsständen, auch von Informationsständen salafistischer Gruppierungen, muss sich auf die konkrete Situation der einzelnen Informationsstände beziehen. Die allgemeine Bedrohungslage an sich vermag daher ein Verbot eines Informationsstandes nicht zu begründen.“
460 Salafisten leben in Hamburg, 270 sind gewaltbereit
Insgesamt zählt der Verfassungsschutz in Hamburg derzeit 460 Salafisten, von denen 270 zu den gewaltbereiten Dschihadisten gerechnet werden. Damit hat sich ihre Zahl seit 2012 fast versiebenfacht, als die Verfassungsschützer lediglich von 40 in Hamburg lebenden Dschihadisten wussten. Der Salafismus sei die derzeit dynamischste Bewegung in der extremistischen Szene, sagt der Sprecher des Hamburger Verfassungsschutzes, Marco Haase.
Für FDP-Politikerin von Treuenfels ist die Situation nicht länger hinnehmbar. „Die Zahl der potenziell gewaltbereiten Salafisten steigt weiter deutlich, die Zahl ihrer Werbekoranstände explodiert geradezu, und unter der großen Zahl der Flüchtlinge suchen die Salafisten offenbar intensiv nach weiteren Gefolgsleuten. Trotzdem ignoriert der rot-grüne Senat diese Gefahr auch nach den Anschlägen von Paris weiter“, so von Treuenfels. „Erst eineinhalb Jahre Trödelei beim Aufbau des von der FDP durchgesetzten Präventionsprojekts mit gerade gut drei Stellen, jetzt die Ablehnung unseres Vorschlags zur Verdopplung der Kapazitäten.“ Auch die Verlagerung der Verantwortung in die Innenbehörde zwecks engerer Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz habe Rot-Grün abgelehnt. „Das ist verantwortungslos gegenüber der inneren Sicherheit, das gefährdet unsere Bürger unmittelbar.“
Debatte über Verbot der Koran-Verteilungen
Treuenfels fordert nun aktive Gegenwehr der demokratischen Gesellschaft und will dafür die Landeszentrale für politische Bildung einsetzen. Die solle mit einer „mobilen Einsatztruppe“ aktiv werden. „Jedes Mal, wenn ein salafistischer Koranstand beim Bezirksamt angemeldet wird, sollte das der Landeszentrale gemeldet werden, damit die ausschwärmen und dort direkt das Grundgesetz verteilen kann“, so von Treuenfels. Der SPD-Abgeordnete Kazim Abaci ist von der Idee nicht begeistert. Damit würde man den Salafisten nur zusätzliche Aufmerksamkeit verschaffen, glaubt er. Ein Verbot der Verteilaktionen hält auch Abaci für unmöglich – und setzt stattdessen weiter auf Prävention, etwa durch die neue Beratungsstelle Legato.
Keinen Überblick hat der Senat derweil über mögliche Werbeaktionen der Islamisten vor Schulen, Gefängnissen oder Flüchtlingsunterkünften. „Zu Verteil- oder Informationsaktionen salafistischer Gruppierungen vor Schulen und Haftanstalten liegen dem Senat keine Erkenntnisse vor“, heißt es in der Antwort auf die FDP-Anfrage. Der Verfassungsschutz habe jedoch „vereinzelt Hinweise über Koranverteilungen an Flüchtlingsunterkünften“, von denen aber nicht bekannt sei, ob sie einen salafistischen Hintergrund hätten.
Die CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Karin Prien hat jetzt darauf hingewiesen, dass in Europa immer wieder Gefängnisinsassen für den Dschihad und den Kampf in Syrien oder im Irak angeworben worden seien. Dem Senat aber liegen laut seiner Antwort auf eine Kleine Anfrage Priens „keine Erkenntnisse über eine Radikalisierung von Personen im Justizvollzug vor“. Im Hamburger Justizvollzug befänden sich derzeit lediglich zwei mutmaßliche Islamisten. Zudem gebe es Schulungen für das Personal, und die Gefängnisse arbeiteten eng mit Verfassungs- und Staatsschutz zusammen. Im Jugendvollzug gebe es zahlreiche Gesprächsangebote für die Gefangenen, etwa mit Integrationscoaches. Auch soll es künftig in Zusammenarbeit mit dem Rat der islamischen Gemeinden Gespräche mit ausgesuchten Imamen geben.
Der CDU reicht all das nicht. Hamburg drohe zu einem deutschen Zentrum des Salafismus zu werden, warnt Karin Prien. „Der Senat hat offensichtlich die Gefängnisse als Ort der Rekrutierung noch nicht hinreichend im Blick. Mehr Prävention und koordinierte Beobachtung ist notwendig“, so Prien. „Hamburgs Anti-Salafismus-Strategie muss auf den Prüfstand.“