16,2 Milliarden Euro sollen die Parlamentarier gewähren umd die HSH Nordband am Leben zu erhalten. Fast ein Déjà-vu aus 2009.

Die Bedeutung dieser Entscheidung war an diesem Tag im ganzen Rathaus zu spüren, die Spannung reichte vom Plenum bis hoch in die Besucherränge. Dort oben, in der Senatsloge, verfolgte der Vorstandschef der HSH Nordbank demütig das Urteil über sein Unternehmen. Unten, auf der Senatsbank, gewährte der Bürgermeister mit ernster Miene seinem Finanzsenator in der Debatte Rückendeckung. Es sprachen fast ausschließlich die Fraktionsvorsitzenden, und alle erwähnten die Last der Verantwortung. Sogar der Oppositionsführer signalisierte staatstragend Zustimmung in dieser für die Stadt lebenswichtigen Frage.

So war das, an jenem 1. April 2009, als die Bürgerschaft letztmals ein gigantisches Rettungspaket für die HSH Nordbank beschließen musste. Um 13 Milliarden Euro ging es damals.

Die Entwicklung der Staatsbank verlief danach bekanntermaßen nicht ganz so, wie es sich Hamburg und Schleswig-Holstein als ihre Eigentümer erhofft hatten. Und so stand an diesem Mittwoch erneut eine Entscheidung schwindelerregenden Ausmaßes an: Kreditlinien über insgesamt 16,2 Milliarden Euro sollten die Parlamentarier in Hamburg – und kommende Woche in Kiel – gewähren, um die HSH noch einmal zwei Jahre am Leben zu erhalten und sie dann zu verkaufen oder abzuwickeln.

Trotz der enormen Bedeutung des Themas war die Szenerie in der Bürgerschaft jedoch eine völlig andere als 2009: Große Spannung? Ging so. Im Rathaus herrschte eher geschäftsmäßige Routine. Ein HSH-Vertreter in der Senatsloge wie seinerzeit Vorstandschef Dirk Jens Nonnenmacher? Fehlanzeige. Der Bürgermeister? Schon auf dem Weg nach Berlin, zum SPD-Parteitag. Auch vom restlichen Senat war, abgesehen von Finanzsenator natürlich, kaum jemand anwesend. Die Debatte bestritten die Haushaltsexperten, die Fraktionschefs blieben (mit Ausnahme der Grünen) im Hintergrund.

Ist die Bürgerschaft etwa abgestumpft? „Beim Thema HSH hat sich in der Tat eine gewisse gruselige Gewöhnung eingestellt“, sagte ein langjähriger Abgeordneter. Das Thema habe man so oft debattiert, außerdem habe es an diesem Mittwoch ja noch weitere Highlights gegeben, etwa die Olympia-„Abrechnung“ oder die 5600 Wohnungen für Flüchtlinge, die auf den Weg gebracht wurden. Und so unterschieden sich Debatte und Abstimmung über 16,2 Milliarden Euro im Prinzip nicht von der davor über die P+R-Gebühren von zwei Euro pro Tag.

Eine Entscheidung über 2,3 Milliarden Euro blieb sogar nahezu unbeachtet

Im Windschatten der HSH-Entscheidung wurde ein anderes wichtiges Thema sogar komplett unter dem Radar der Öffentlichkeit abgehandelt: der Beschluss von Rot-Grün, 2,3 Milliarden Euro mehr ausgeben zu können als bislang geplant. Dieser Vorgang hätte durchaus mehr Aufmerksamkeit verdient gehabt, denn abgesehen von der großen Summe hat er auch eine spannende Vorgeschichte.

Schon 2012 hatte die damals allein regierende SPD ein Finanzrahmengesetz beschlossen, das dem Senat auf Jahre hinaus auferlegt, wie viel Geld er maximal ausgeben darf. Diese Obergrenze hat mit dazu geführt, dass schon 2014, und damit viel früher als geplant, ein Haushaltsüberschuss von 400 Millionen Euro stand. Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD) hatte zwar immer mal wieder dezent angedeutet, dass man diesen Finanzrahmen beizeiten mal anpassen müsse, aber lange Zeit fasste die SPD das Thema nicht an. Der Grund lag auf der Hand: Ihre Finanzpolitik stieß bei maßgeblichen Akteuren wie der Handelskammer, dem Rechnungshof und dem Steuerzahlerbund auf Zustimmung, und das wollte man nicht durch eine Botschaft gefährden, die bei schlichter Betrachtung auf die Formel „SPD genehmigt sich mehr Geld“ hätte reduziert werden können.

Die Grünen wollten schon im März mehr Geld ausgeben, blitzten aber ab

Und so waren es die Grünen, die in den Koalitionsverhandlungen im März darauf drängten, diese Ausgabeobergrenzen anzuheben. Das Geld sei doch da, und Verwendung fände sich dafür auch, zum Beispiel für Tausende Flüchtlinge. Doch Bürgermeister Olaf Scholz ließ seinen Partner in spe damals abblitzen: Im Grundsatz sei der Gedanke ja richtig, aber der Zeitpunkt sei völlig falsch. Das sähe ja so aus, als wenn man Rot-Grün nur mit mehr Geld möglich machen könne.

Die Grünen waren schlau genug, schnell beizudrehen. Denn bei dem Thema hatten sie sich schon einmal eine blutige Nase geholt. 2008 hatten sie bei der Bildung der schwarz-grünen Koalition hohe Mehrausgaben durchgesetzt, wobei der größere Partner allerdings kaum Widerstand geleistet hatte. „Wir haben eher gefragt, ob es noch ein bisschen mehr sein darf“, erinnert sich ein CDU-Akteur von damals. Als kurz darauf die Finanzkrise einsetzte und die bis dahin hohen Steuereinnahmen wegbrachen, stand Schwarz-Grün vor einem haushaltspolitischen Scherbenhaufen.

SPD und Grüne hatten im März also gute Gründe, diesen Weg vorerst nicht zu gehen, legten das Thema aber auf Wiedervorlage. Konkret wurde es im Herbst, und zwar aus drei Gründen: Die Steuereinnahmen lagen weiterhin deutlich über den Planungen, die Ausgaben für Flüchtlinge hatten sich erneut verdoppelt, und dann gab es noch Finanzhilfen des Bundes für das Flüchtlingsthema, die Hamburg absurderweise nicht ausgeben durfte, weil es damit seinen Finanzrahmen überschritten hätte. Mitte November beschloss der Senat daher, diesen Rahmen für 2016 bis 2020 um 400 bis 500 Millionen Euro pro Jahr anzuheben – insgesamt jene 2,3 Milliarden Euro.

Das ließ sich zwar durchaus begründen, aber das Interesse bei Rot-Grün, das Thema allzu offensiv zu verkaufen, war weiterhin gering. Sowohl im Haushaltsausschuss als auch in der Bürgerschaft war das Thema der letzte Tagesordnungspunkt, und das Parlament verzichtete am Mittwoch um 22.30 Uhr sogar ermattet auf eine Debatte. Auch die finale Abstimmung am späten Donnerstagabend erzeugte kaum noch Interesse. CDU und FDP, die die höheren Ausgaben kritisch sehen und Rot-Grün nur zu gern Maßlosigkeit vorwerfen würden, müssen auf eine neue Chance warten.

Die kommt wohl bald mit der neuen Finanzplanung, der Konkretisierung des Finanzrahmens. Beschließen will der Senat diese kurz vor oder kurz nach Weihnachten. Schöne Bescherung.