Hamburg. Familie Matthiesen vertreibt und entwickelt Spirituosenmarken. Mit neuen Produkten und im Ausland will die Firma Borco expandieren.

Das Markenzeichen rutscht eine Metallschiene herunter, landet auf einer Drehscheibe, wird von einem Greifer gepackt und auf den Verschluss gedrückt. Der rote Plastikhut ist drauf. Die Flasche läuft auf dem Förderband weiter, bekommt erst per Pinsel Leim auf den Bauch geschmiert und dann das rote Etikett mit dem Schriftzug „Sierra Tequila“ aufgeklebt.

Der Geruch des Agavenbrands liegt in der Luft der Bahrenfelder Produktionshalle am Winsbergring. Zwischen 3000 und 10.000 Flaschen in der Stunde wirft eine der drei Produktions­linien des Hamburger Unternehmens Borco aus. 46.140 Flaschen mit 0,7 Liter des silbernen Tequilas füllen die 20 Mitarbeiter in der Produktion an diesem Tag ab. Ein Getränk, das wohl jeder mit Mexiko verbindet – und von dem wahrscheinlich nur wenige wissen: „Die Idee für Sierra Tequila kommt aus Hamburg“, sagt Geschäftsführerin Tina Ingwersen-Matthiesen: „Meine Familie wollte eine Tequilamarke kreieren und gehörte zu den Ersten, die den Tequila nach Europa geholt und damit einen Trend begründet haben.“

Die Marken Helbing Kümmel und Finsbury Gin kaufte Borco

Die Matthiesens schufen ein Erfolgsprodukt. Mehr als zwei Millionen Flaschen verkauft der Spirituosenhersteller pro Jahr allein in Deutschland. Marktanteil 85 Prozent. Hinzu kommt noch der Auslands­absatz. In 70 Länder wird die Spirituose exportiert. Die Marke ist die Nummer eins in Europa. „Sierra Tequila ist unser Flaggschiff“, sagt die 42-Jährige über die Firma, mit der sie groß geworden ist und die mit ihren riesigen Hallen für sie als Kind ein wunderbarer Spielplatz war. „Die Firma ist zu 100 Prozent in Familienhand – und das soll auch so bleiben.“

Ihr Großvater Bernhard gründete das Unternehmen im Jahr 1948 ursprünglich als Händler und Hersteller von Spirituosen. Obstbrände und Rumverschnitte sollten an den Einzelhandel verkauft werden. 1972 bauten ihre Eltern Jutta und Uwe zusammen mit ihrem Onkel Bernd dann Borco Marken Import auf. Die Geschäftsidee: Spirituosen aus anderen Ländern einführen. „Mit den Produkten holen wir ein Stück Urlaubsgefühl in die Bundesrepublik, das Land der Reiseweltmeister“, sagt die promovierte Psychologin.

Mittlerweile hat Borco mehr als 75 Marken im Portfolio. Label wie Canario Cachaca, Cassissée Crème de Cassis, Old Pascas Rum, Alpha Noble Vodka und Lagonda Sambuca entwickelte die Familie selbst. Die bekannte Hamburger Spirituosenmarke Helbing Kümmel wurde 1974 gekauft. Den britischen Traditionsgin Finsbury – 1740 in London gegründet – und seine Destillerie übernahm Borco 1994.

Zudem werden Liköre von De Kuyper, Ouzo von Tsantali, Bitter von Fernet Branca, Teeling-Whiskey und Lanson-Champagner vertrieben, insgesamt werden die Marken aus mehr als 30 Ländern importiert. In den vergangenen Jahren kamen der Wodka Russian Standard und Raki von Yeni hinzu. Das verbreiterte Angebot sorgte dafür, dass die Erlöse – 70 Prozent stammen aus dem Lebensmittelhandel, der Rest aus dem Restaurantbereich – kontinuierlich stiegen. „Pro Jahr setzen wir rund 300 Millionen Euro inklusive Branntweinsteuer um“, sagt Ingwersen-Mat­thiesen, die sich zum Gewinn des Familienunternehmens nicht äußert. Der siebenköpfigen Geschäftsführung gehören drei familienfremde Manager um den CEO Markus Kramer an sowie ihre Eltern und ihr Onkel, die auch heute im höheren Alter noch häufig im Büro sind.

Neue Produkte sollen für Wachstum sorgen und weitere Zielgruppen erschließen. Im Sommer kam Helbings Feiner Aquavit auf den Markt. Seit Oktober steht Sierra Café (Tequila mit Kaffeegeschmack) im Handel, es gibt zudem eine limitierte Edition von Sierra Spiced mit Zimtgeschmack. Vier Destillateure, darunter ein Auszubildender, unter den insgesamt 179 Mitarbeitern sorgen für die Innovationen. Großes Potenzial sieht die Geschäftsführerin und Mutter von vier Kindern vor allem im Reich der Mitte. Da passt es gut, dass sich ihr ältester Sohn zum einen fürs Geschäft interessiert und zum anderen internationales Management mit Schwerpunkt China studiert.

Selbst für die lokale Hamburger Marke Helbing, von der pro Jahr eine Million Flaschen verkauft werden, erwartet sie im Ausland eine Absatzausweitung. Starke regionale Marken seien auch international ein Trend. Der Kümmel schaffte es sogar schon in eine Hollywoodproduktion. In Philip Seymour Hoffmans letztem Kinofilm „A most wanted man“ taucht die Flasche auf – sehr zur Freude von Ingwersen-Matthiesen: „Die Filmcrew hat uns gefragt und baute Helbing ein.“

Seit drei Jahren stellt das Unternehmen auch Alkoholfreies her – Limonaden

Auch wenn die Idee für Sierra Tequila aus der Hansestadt stammt, produziert wird natürlich in Mexiko. Die Agaven werden im an der Pazifikküste liegenden Bundesstaat Jalisco angebaut. Nach der Ernte werden sie 48 Stunden im Ofen gebacken, um den Zucker zu lösen. Sie werden fermentiert, zu Agavenwein vergoren und destilliert. Dann reift der Tequila in Fässern. Einige Sorten kommen in 22.000 Liter fassende Tankcontainer, werden mit dem Schiff nach Hamburg transportiert und dann in Bahrenfeld abgefüllt – als Flaschengeist mit Hut.

Übrigens sind nicht alle Getränke aus dem Hause Borco hochprozentig. Seit drei Jahren stellt das Unternehmen auch Limonaden her – alkoholfrei. Lupina ist eine Ingwer-Honig-Limonen-Sorte, Paloma besteht aus Grapefruit, Agavensirup, Limettensaft und Salz. Beide können pur getrunken werden – oder als Mischgetränk mit Gin oder Tequila. Ingwersen-Matthiesen trinkt übrigens am liebsten Champagner oder eine Margarita als Aperitif und die von Borco vertriebenen Douro-Weine zum Essen. „Ich genieße unsere Produkte sehr – aber alles in Maßen.“