Mit Blumen, Kerzen und Fotos vor dem Rathaus und in Langenhorn nehmen die Hamburger Abschied. Kondolenzbücher ab 10 Uhr im Rathaus.

Es war der friedliche, sanfte und letztlich harmonische Ausklang eines erfüllten Lebens – zu Hause im geliebten Langenhorner Doppelhaus und im kleinen Kreis vertrauter Menschen. Wenn schon Abschied nehmen, hatte er es sich früher gewünscht, dann so.

Als die Nachricht vom Tod Helmut Schmidts am gestrigen Dienstag um 15.20 Uhr im Rathaus eintraf, wurden die Flaggen unverzüglich auf halbmast gesetzt. Sieben Tage wird dies so bleiben, als Zeichen der Ehrerbietung und Wertschätzung. Dieses fröstelnde Gefühl, dass die Hansestadt einen ihrer hervorragendsten Bürger verloren hat, wird weit länger anhalten. Hamburg trägt Trauer, öffentlich, aber auch in den Herzen vieler Menschen. Irgendwie passt es, dass November ist.

Bewegende Videos – so trauern die Hamburger

Passanten verharrten für einen Moment und gedachten eines wahrhaftig großen Hanseaten: in Langenhorn, rund ums Rathaus und anderswo. Am Neubergerweg legten Menschen Blumen nieder und zündeten Kerzen an. „Helmut Schmidt war ein Politiker, der entschieden und zugepackt hat“, sagte Anwohnerin Gudrun Schuch-Nehrke. Und mit Bedacht fügte die 77-Jährige hinzu: „Er hatte Rückgrat und war für viele ein Vorbild.“

Kondolenzbuch

 

Mittwoch ab 10 Uhr liegt in der Rathausdiele ein Kondolenzbuch für Altkanzler Helmut Schmidt aus.

 

 Um 10 Uhr tragen sich zunächst die Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD) und die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) ein – Fegebank vertritt den Senat, da Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) zurzeit auf China-Reise ist.

 

Im Anschluss an Veit und Fegebank haben alle Hamburger die Möglichkeit, ihre Verbundenheit mit dem verstorbenen Ehrenbürger in dem Kondolenzbuch zum Ausdruck zu bringen.

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Gegenüber dem schmidtschen Doppelhaus mit dem kleinen Garten und der zur Polizeistation umgebauten Garage hatten sich Fernsehteams und Fotografen positioniert. Viele Sender änderten ihr Programm und boten Sondersendungen an. Ein bisschen war es so wie früher, als Langenhorn die heimliche Hauptstadt Deutschlands war.

Auch das ist vorbei. Man hatte Helmut Schmidts Tod kommen sehen, keine Frage, und besonders nach den dramatisch schlechten Nachrichten der vergangenen Tage. Die Gewissheit vom Ableben Helmut Schmidts indes hat eine andere Dimension des inneren Schmerzes. Sogar wer ihn vielleicht nicht unbedingt mochte, achtete und respektierte doch den charismatischen, eigenwilligen Mann mit der Mütze. Fünf Jahre nach seiner Hannelore und rund sechs Wochen vor seinem 97. Geburtstag am 23. Dezember ging nun auch er.

Den Inhalt seiner Trauerfeier hatte er vor langer Zeit mit Vertrauten besprochen

Vom heutigen Mittwoch an werden in der Rathausdiele Kondolenzbücher ausgelegt. Als Erste wollen sich um 10 Uhr Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit und die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank eintragen. Zu Beginn der Plenarsitzung um 15 Uhr werden sich die Abgeordneten zu einer Schweigeminute erheben.

Die Hamburger Staatsflagge mit Trauerflor am Rathaus
Die Hamburger Staatsflagge mit Trauerflor am Rathaus © dpa

„Helmut Schmidt war ein bedeutender Hamburger“, sagte Bürgermeister Olaf Scholz – spürbar betroffen – während seiner einwöchigen Dienstreise in Peking. Er bezeichnete den ehemaligen Bundeskanzler und Hamburger Innensenator als „richtigen Staatsmann, den heute noch immer viele Menschen verehren“.

Hinter den Kulissen laufen längst Vorbereitungen für eine Trauerfeier in St. Michaelis. Dieser Ort ist Schmidts ausdrücklicher Wunsch. Zu diesem Staatsakt, gewiss dem größten der vergangenen Jahrzehnte, werden Regenten und Weggefährten aus der ganzen Welt erwartet. Mit Rücksicht auf die Trauer der Familie wurde noch kein Termin festgesetzt. Spätestens bis zum Wochenende wird das Datum bekannt sein.

„Er ist sanft und friedlich eingeschlafen“, sagte Professor Heiner Greten dem Hamburger Abendblatt. Der „Leibarzt“, Vertraute und Freund des früheren Bundeskanzlers stand seinem Patienten in den letzten Minuten zur Seite – wie auch Schmidts Tochter Susanne, Lebensgefährtin Ruth Loah und ein polnisches Ehepaar als Pfleger. Ein Pastor war nicht präsent.

Susanne Schmidt-Kennedy und Ruth Loah befanden sich in der Sekunde des Ablebens nicht am Sterbebett, sondern im Nebenraum. Sie wurden sofort hereingerufen, um in Stille hochachtungsvoll Abschied zu nehmen.

„Es herrschte eine sehr bewusste, andächtige Atmosphäre“, berichtete Professor Greten. Alle Anwesenden seien gefasst gewesen, auch weil sich das Ende seit der dramatischen Verschlechterung des Gesundheitszustands am Sonnabend angebahnt hatte. „Im Moment des Todeseintritts spürte ich sogar so etwas wie eine Erleichterung“, verriet der Internist, „weil es für Herrn Schmidt so gut und letztlich schmerzfrei ausgeklungen ist.“ Anschließend habe dann die Trauer eingesetzt. Sie wird anhalten. Dieses schmerzfreie, friedliche Hinübergleiten in eine andere Ebene war der große Wunsch des Verstorbenen gewesen.

Und wenn die Glocken von St. Michaelis in ein paar Tagen zum letzten Geleit läuten, wird sich die politische Welt vor einem Menschen und Staatsmann verneigen, der sich selbst vor allem als leitender Angestellter der Bundesrepublik Deutschland begriff. Die da oben hegten Respekt, die Bürger schätzten ihren „Schmidt Schnauze“. Sie mochten ihn ganz einfach. Auch weil er bis zum Ende auf dem Boden blieb, Rückgrat wahrte und ein anständiger Mann war. Durch und durch.

Helmut Schmidt wurde alt. Er war Senior, aber niemals Greis. Er hatte eine scharfe Zunge und konnte in jüngeren Jahren durchaus flegelhaft sein, aber er achtete den Gegner. Und selbst bei seinen wortgewaltigsten Reden s-tolperte er so wunderbar über den s-pitzen S-tein. Mit der Heimat im Tonfall und im Herzen die Welt umfassen – auch auf diesem Gebiet war der gebürtige Barmbeker Spitzenklasse. Hinzu kam ein Geschenk des Himmels: Helmut Schmidt blieb sich selbst treu. Bis zum letzten Atemzug.

Und er bewies: Charisma kann man nicht kaufen. Natürlich kannte ein Pragmatiker wie Schmidt das Schicksal und wusste, was eines Tages kommen musste. Nun ist es so weit. „Ihr habt den Nachruf über mich doch schon in der Schublade“, scherzte er bei einem Besuch des Autors dieser Zeilen in seinem Büro am Speersort. Drei Jahre ist das her. Und Helmut Schmidt musste erleben, wie vertraute Weggefährten vor ihm gingen: Egon Bahr, Siegfried Lenz und Peter Schulz zum Beispiel.

Eine Menge ist vorbereitet. Nicht nur die Grabstelle in Ohlsdorf, in der auch Ehefrau Hannelore nach ihrem Tod am 21. Oktober 2010 bestattet wurde. Mit Vertrauten wurde der Inhalt der Trauerfeier abgesprochen. Auch hier wusste Helmut Schmidt ganz genau, was er wollte. Es tat seiner Seele gut, dass Tochter Susanne vor ein paar Tagen aus dem Südosten Englands in ihre Heimatstadt reiste, um ihrem Vater zur Seite zu stehen.

Die politische Erbschaft wurde gleichfalls bis ins Detail geregelt. Die Loki und Helmut Schmidt Stiftung ist hervorragend ausgestattet. Der frühere Kanzler verdiente gut mit seinen Büchern und Vorträgen. Da er jedoch selbst ein bescheidenes Leben führte, ist ein ansehnliches Vermögen zusammengekommen. Die Stiftung, so ist es Helmut Schmidts letzter Wille, wird nicht nur das Archiv im Anbau des Privathauses am Neubergerweg am Leben erhalten. Zum Vermächtnis zählt der Wunsch, das berühmte Doppelhaus in Langenhorn als Museum fortzuführen.

Wo einst die Staatsoberhäupter der Welt einkehrten, um große Politik zu machen, dürfen sich fortan die Hamburger und auswärtige Besucher ein Bild machen vom Lebensumfeld eines Mannes, der auf manche arrogant wirkte, der indes seine Nase niemals hoch trug. „Warum sollte ich?“, pflegte er bei entsprechenden Nachfragen so herrlich kiebig zu knurren. Und warum, Herr Schmidt, behielten Sie lebenslang Bodenhaftung? „Wat mutt, dat mutt“, sagte er dann. Typisch. Was auch für die Anrede galt. Bundeskanzler verbat er sich. „Herr Schmidt“, so sollte es sein und nicht anders.

Bis zuletzt konnte er sich wie ein Kind über eine Uhr von Kurt Körber freuen

Viele werden jetzt voller Wehmut an Zeiten zurückdenken, in denen ein Freigeist mit weißem Haar im Fernsehstudio saß, sich eine Mentholzigarette nach der anderen anzündete und von Qualm eingehüllt dann das Wort ergriff. Bevor er eine Prise Schnupftabak nahm. Wie sagte sein langjähriger Freund und Weggefährte Henry Kissinger, selbst inzwischen 92, bei Schmidts 90. Geburtstag im Dezember 2008 so treffend: „Kettenrauchen und Cola-Trinken sind anscheinend Schlüssel zur Langlebigkeit.“ Sei’s drum.

Wer das Politorakel daheim besuchte, stieß auf einen sanften, bedächtigen und warmherzigen Menschen. „Altersmilde“ nannte er diese Charakterzüge selbst. Auch wenn das Hören immer schwerer fiel und zum Schluss nur noch mit massiver technischer Hilfe gelang, setzte sich der Hausherr im Wohnzimmer mit Vorliebe an den schwarzen Flügel und ließ die Finger tanzen. „Das ist keine Frage der Ohren, sondern des Gefühls“, meinte er.

Auch den Stock, den Gehwagen oder seinen Rollstuhl benutzte Schmidt mit Gelassenheit. „Werdet ihr erst mal über 90“, sagte er bei einem Besuch. Schenkte sich Tee ein, nahm reichlich Zucker und griff zum versilberten Zigarettendöschen. Dann erzählte er von früher. Keinesfalls langatmig, sondern fesselnd und von einem erstaunlichen Gedächtnis geprägt. Selbst Details hatte er noch nach Jahrzehnten in bester Erinnerung.

Zwar wurde die von ihm begründete berühmte Freitagsgesellschaft – auch mangels Nachfolger – nach drei Jahrzehnten intensiver Diskussion vor sechs Monaten eingestellt, dennoch erstaunte Schmidt Besucher mit brillantem Gedächtnis und einem famosen Erinnerungsvermögen. Auch nach Lokis Tod blieb sein Umfeld liebevoll: Ruth Loah, seine neue Lebensgefährtin, letztlich mehr Gesellschaftsdame und ruhender Pol, stützte ihren Helmut auf den letzten Metern eines sehr, sehr langen Lebens und gab ihm Kraft.

Bücher von ihm und über ihn gibt es viele, eine Autobiografie jedoch nicht. „Wenn jemand über sein eigenes Leben schreibt, ist er der Versuchung ausgesetzt, sich ein bisschen schöner zu malen, als er in Wirklichkeit ist“, sagte Schmidt einmal. „Deswegen halte ich von Autobiografien nicht sehr viel. Die letzte, die ich sorgfältig studiert habe, war die von Bismarck.“ Und da war der Mann 20 Jahre alt.

Über den Tod hatte er sich immer wieder Gedanken gemacht – nicht nur als Soldat im Zweiten Weltkrieg. „Ich finde das Alter von 96 Jahren ziemlich lästig“, philosophierte er auf seine typische Art, „aber verhindern kann ich es nicht.“ Trost im Jenseits brauche er nicht, und ein Leben nach dem Tod schließe er aus. Er sinnierte auch über die Wirkung seiner Worte auf die Nachwelt: „Das, was man eines Tages vermutlich über dich denken, sagen oder schreiben wird, darf das, was du heute zu tun hast, nicht beeinflussen.“ Auch an dieses Prinzip hat sich Helmut Schmidt gehalten.

Was unter dem Strich bleibt, ist die Erinnerung an ein Jahrhundert voller Höhen und Tiefen. Was hat dieser Mann nicht alles erleben müssen und dürfen. Unvergessen ist ein Besuch in seinem Privathaus in Langenhorn. Da saß der Kanzler a. D. im Trainingsanzug und mit Sportlatschen, paffte wie ein Schlot und strahlte eine Gelassenheit und Würde aus, von der andere nur träumen können.

Dann deutete er auf einen goldfarbenen Kasten im zweiten Regalfach von unten, direkt neben seinem Schreibtisch. Eine Uhr stand darin, ein Geschenk des weit vor Schmidt verstorbenen Industriellen und Mäzens Kurt Körber. Das gute Stück ist alt und geht auf die Sekunde pünktlich. Nach wie vor. Ein kleines Wunderwerk aus Genf. Die Kunstfertigkeit begeisterte ihn wie ein Kind, ebenso die Mechanik und die Zuverlässigkeit. Praktisch immer im Dienst, das gefiel ihm.

Diese Präzisionsuhr im Hause Schmidt wird weiterticken. Und sie ist wahrlich nicht das Einzige, das bleibt.