Bergedorf. SPD stellt Idee mit bis zu 7000 Wohnungen in Oberbillwerder vor. Gebiet ist umstritten. Die CDU befürchtet „Ballermöhe III“

Mit einem neuen großen Wohngebiet will der Bezirk Bergedorf junge Familien in den Hamburger Osten locken. In „Oberbillwerder“, einem 120 Hektar großen Marschland nördlich der S-Bahn-Haltestelle Allermöhe, könnten bis zum Jahr 2030 etwa 5000 bis 7000 Wohnungen entstehen. Entsprechende Pläne stellten am Donnerstag der Bergedorfer SPD-Vorsitzende Ties Rabe und der Vorsitzende der SPD-Bezirksfraktion, Paul Kleszcz, vor. Insgesamt war von 10.000 bis 15.000 möglichen neuen Bewohnern die Rede. Damit handele es sich um eines der größten Hamburger Neubauvorhaben des kommenden Jahrzehnts.

Wenn es nach den Sozialdemokraten geht, soll das riesige Neubaugebiet zwischen Billwerder Billdeich und S-Bahngleisen „auf der grünen Wiese“ entstehen. Der Schwerpunkt dürfte auf Einfamilien-, Doppel- und Reihenhäusern liegen, sagte Rabe. „Unser Ziel ist eine gesunde Mischung.“ Deshalb sollen auch Geschoss- und Sozialwohnungen verwirklicht werden. Im Blick haben die Sozialdemokraten aber vor allem junge Familien, die beabsichtigen, Eigentum zu bilden. Ihnen soll eine Abwanderung ins Umland erspart werden, wie Rabe es formulierte.

„Wir wollen einen schönen Stadtteil“, sagte Paul Kleszcz. „Deshalb soll der Raum ansprechend mit viel Grün gestaltet werden.“ Man verfolge das Konzept Wohnen am Wasser. Die Infrastruktur mit Straßen, Einkaufsmöglichkeiten, Kitas und Schulen werde gleich „mitgedacht“. Auch die Ansiedlung von Gewerbe sei zu prüfen.

Bis diese Vision im Zeitraum der „nächsten 15 Jahre“ Wirklichkeit werde, seien allerdings noch politische Diskussionen nötig, Stadtentwicklungs­experten sollen gehört werden, und auch wissenschaftliche Expertise werde in Betracht gezogen. Bisher handele es sich ausdrücklich um eine Idee, die als Grundlage mit Bürgern und Politik weiterentwickelt werden soll.

Grüne bewerten die Pläne verhalten, die CDU spricht von einer „Farce“

Hintergrund dieser Vorsicht ist die seit Jahren umstrittene Bebauung des Areals. Schon lange ist Oberbillwerder ein Politikum im Bezirk Bergedorf. Viele Bewohner und Politiker befürchten, dass bei einer großflächigen Bebauung die Planungsfehler des benachbarten Stadtteils Allermöhe-West noch einmal gemacht werden. Dieser wurde in den 90er/2000er-Jahren realisiert und ist inzwischen vor allem Heimstätte vieler osteuropäischer Zuwanderer.

Zeitweise gab es aufgrund dieser Tatsache Vermarktungsschwierigkeiten. Noch heute wird der dort umgesetzte Sozialwohnungsanteil von 50 Prozent als zu hoch empfunden. Doch sowohl Rabe als auch Paul Kleszcz betonten, dass diese Fehler im nun vorgestellten Gebiet nicht wiederholt werden sollen. Die Sozialdemokraten im Bezirk seien jedenfalls zuversichtlich. Paul Kleszcz: „Mit den Grünen haben wir bereits gesprochen, da gab es vorsichtig positive Signale.“

Thorsten Scharnke ist jemand, der solche Signale sendet. Der stadtentwicklungspolitische Sprecher der Grünen-Bezirksfraktion sagt, es sei grundsätzlich sinnvoll, über das Gebiet Oberbillwerder nachzudenken. „Wenn es darum geht, größere Wohnungsbaupotenziale im Bezirk zu erschließen, drängt sich dieses Gebiet auf.“ Allerdings kenne er den genauen Plan der SPD nicht, aus Sicht der Grünen müsse aber eine sozial- und umweltverträgliche Entwicklung das Ziel sein. „Innerhalb der Grünen gibt es durchaus Sympathien für einen Bebauungsplan, aber auch etliche Gegenstimmen“, sagt Scharnke.

Wesentlich kritischer sieht das die CDU im Bezirk. Fraktionschef Sven Noetzel nennt den Vorstoß der SPD „eine Farce“. In Bergedorf gibt es bekanntlich keine feste Koalition, die SPD ist stärkste Fraktion, Beschlüsse werden mit wechselnden Mehrheiten und Partnern gefasst. Vor diesem Hintergrund sei erst vor einer Woche ein bezirklicher Entwicklungsplan beschlossen worden, bei dem sich alle Parteien über einen offenen Beteiligungsprozess bei neuen Vorhaben einig waren. „Was die SPD jetzt allerdings macht, ist ein Tabubruch“, schimpft Noetzel. Der sozialdemokratische Alleingang widerspreche dem beschlossenen Prinzip und sei „an Arroganz kaum zu überbieten“. Noetzel: „Das ist das Gegenteil von Beteiligungsprozess.“

Aus städtebaulicher Sicht müsse man den SPD-Plan ohnehin als „fragwürdig“ einstufen. Noetzel mache dieser sogar „Angst“. In der Vergangenheit habe die SPD mit Allermöhe I und II bewiesen, dass sie keinen Städtebau könne. „Und jetzt bekommen wir Ballermöhe III“, sorgt sich Noetzel. Grundsätzlich sehe auch er Chancen für das nun diskutierte Gebiet. „Aber das geht nur behutsam – mit den Bürgern und der Politik.“ Billwerder sei schließlich eines der letzten intakten Straßendörfer der Stadt.

Der enorme Bevölkerungszuwachs erfordere auch große neue Siedlungen

„Bergedorf hat mehrfach große Stadtprojekte vernünftig und gut geplant“, erwidert Ties Rabe. Paul Kleszcz sieht in großen Projekten zudem den Zeitgeist. In München, Wien und Kopenhagen entstünden ähnliche neue Viertel. Angesichts steigender Bevölkerungszahlen reiche das Verdichten nicht mehr aus. Auch große Flächen wie Oberbillwerder müssten für den Wohnungsbau wieder ins Visier genommen werden. Schon der Senat habe das Potenzial des Ostens erkannt, die Handelskammer blies erst im Sommer zum Aufbau Ost. Seinerzeit noch begleitet von SPD-Kritik.

Indes sorgte sich die CDU-Fraktion in der Bergedorfer Bezirksversammlung schon 2011 um die Nutzung der Fläche Oberbillwerder. Damals sollte ein Beschluss gefasst werden, der die Bebauung ausschließt, weil die SPD bereits vor vier Jahren mit einer Bebauung liebäugelte. Noch weit vor dieser Zeit kursierte sogar der Plan, aus Oberbillwerder eine Großwohnsiedlung zu machen.

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