Neugraben-Fischbek. Am Aschenland sollen 4000 Asylbewerber unterkommen. Die ersten Interessenten für Neubaugebiet sind von Reservierungen zurückgetreten.

Im Vogelkamp, dem größten Neubaugebiet südlich der Elbe, sind die Menschen in Sorge. Seit der Senat Ende September verkündet hat, dass Am Aschenland das mit 4000 Plätzen größte Flüchtlingsquartier der Stadt entstehen soll, befürchten viele Neusiedler einen massiven Werteverlust ihrer Grundstücke und Häuser. „Die Sorgen sind berechtigt. Die Preise waren schon vor der Senatsankündigung überhöht, jetzt sind sie erst recht nicht mehr angemessen“, sagt Harburgs CDU-Fraktionschef Ralf-Dieter Fischer dem Abendblatt. Aus Sicht des Juristen sind die bislang noch nicht verkauften Grundstücke auf dem zweiten und dritten Baufeld jetzt kaum noch vermarktbar und das gesamte Neubaugebiet nicht mehr wettbewerbsfähig. Fischer: „Es droht eine Wohnungsbaubrache, wenn der Senat hier nicht regulierend eingreift.“ Die Grundstückspreise müssten nicht nur gesenkt, sondern auch finanzielle Erleichterungen für jene Kunden erwogen werden, die bereits gekauft haben. Zumal die reale Gefahr bestehe, dass finanzierende Banken nun deutlich höhere Sicherheiten für einen drohenden Rückzahlungsausfall verlangen.

Momentan kosten die Grundstücke im direkt an das geplante Flüchtlingsquartier angrenzenden Bauabschnitt III zwischen 180 und 220 Euro pro Quadratmeter. Das momentan teuerste noch verfügbare Grundstück schlägt aktuell mit 136.789 Euro zu Buche. Für ein Reihenmittelhaus werden letztlich bis zu 350.000 Euro fällig.

Laut Karen Pein, Geschäftsführerin der IBA Hamburg GmbH, ist derzeit weder eine Neubewertung der Grundstückspreise geplant, noch gebe es Signale seitens der Stadt, Nachlässe beim Grundstückserwerb zu gewähren. „Grundsätzlich ist die Nachfrage nach Baugrundstücken für Einfamilien- und Reihenhäuser im Süden der Stadt Hamburg hoch, zumal sie im Vogelkamp unter Bodenrichtwert veräußert werden“, so Pein. Im Bauabschnitt II seien schon 29 Einfamilienhausgrundstücke verkauft und 21 reserviert worden, für den Bauabschnitt IIIa lägen 20 Reservierungen vor. Überdies seien für beide Bauabschnitte Mitte Oktober neue Bewerbungen eingegangen.

Nach IBA-Informationen hat es im Vogelkamp bislang zwar keine Rück­abwicklungsbegehren von geschlossenen Kaufverträgen gegeben. Allerdings seien drei Reservierungen storniert worden, die immerhin je 3000 Euro kosten. Und sechs Kunden planen einen Wechsel ins Neubaugebiet Fischbeker Heidbrook auf dem Gelände der ehemaligen Röttiger-Kaserne, südlich der B 73. Unterdessen haben sich 28 Familien zu einer Streitgemeinschaft zusammengeschlossen, um gegen die Größe des geplanten Flüchtlingsquartiers zu klagen. Vertreten werden sie durch den Verwaltungsrechtler Gero Tuttlewski von der Kanzlei Klemm & Partner, der bereits im Falle des Streits um die Flüchtlingsunterbringung an den Sophienterrassen eine Reduzierung der Platzzahl und in Klein Borstel einen Baustopp erwirkt hat.

3000 Menschen, die vor Krieg und Gewalt, wirtschaftlicher Not und Verfolgung aus ihren Heimatländern geflohen sind, sollen in Neugraben in knapp 100 Holzhäusern Obdach finden. Hinzu kommt eine Unterkunft mit weiteren 460 Plätzen auf der Südseite der Straße Am Aschenland. Gleich neben einer Dependance der Zentralen Erstaufnahme mit bis zu 740 Plätzen in einem stillgelegten Obi-Baumarkt. So summiert sich die Zahl der Asylsuchenden an diesem einen Standort auf 4200. In einem Stadtteil, der gerade 27.000 Einwohner zählt. Die Straße Am Aschenland ist deshalb längst zum Synonym für den zunehmenden Widerstand von Bürgern gegen Flüchtlingsunterkünfte dieser Größenordnung geworden. Weil mit ihnen die Zweifel wachsen, ob so viele fremde Menschen überhaupt integrierbar sind.

Diese Sorge treibt auch Thomas Völsch um. Der Leiter des Bezirksamts Harburg (SPD) wohnt selbst in Neugraben, kennt den Stadtteil und seine Menschen genau. „Wenn ich die Zahl 4200 höre, hole ich schon tief Luft“, gibt Harburgs Bürgermeister unumwunden zu. Es gebe zwar ein großes ehrenamtliches Engagement in Süder­elbe, aber man müsse auch die Sorgen, Ängste und Befürchtungen der Neugrabener ernst nehmen. „Es ist eine schwierige Aufgabe, die nicht mit links zu bewältigen ist. Da kann man viel falsch machen.“

Noch deutlicher hat das CDU-Fraktionschef Fischer formuliert. „Nicht nur Willkommenskultur ist wichtig, wir haben auch eine Verantwortung für Anwohner und Nachbarn“, sagte er. Würden sie überfordert, könne der Wille zur Integration der Flüchtlinge schnell in „innere Immigration und unkontrollierten Protest“ münden.

Protest hat sich in Neugraben-Fischbek längst formiert. Und er wächst mit jedem Tag seit jener denkwürdigen Informationsveranstaltung am 23. September in der CU-Arena am S-Bahnhof Neugraben. Sie ist zum Lehrbeispiel dafür geworden, wie unsensible, unbedachte Aussagen Vertrauen zerstören und Widerstand provozieren können. Es war vor allem dieser eine Satz des Hamburger Innen-staats­rats Bernd Krösser, der die Neugrabener aufgebracht und letztlich auf die Straße gebracht hat: Wenn die Integration hier scheitere, liege das auch am Umfeld.

„Viele haben das als unglaublichen Affront, als Abwälzen von Verantwortung empfunden. Krösser war der Elefant im Porzellanladen, arrogant und von oben herab“, sagt Uwe Schröer, ein 39 Jahre alter Maler und Lackierer. Um ihn herum formierte sich noch am selben Abend eine Gruppe von Aktivisten. Umgehend wurde eine Bürgerinitiative gegründet, die sich über eine Homepage (binf-online.de) und eine Facebook-Gruppe organisiert. Sie zählte innerhalb von 24 Stunden 60 Mitglieder, am Wochenende lautete die Zahl 1195. Zu einer Demonstration, zu der die Initiative aufgerufen hatte, kamen vor zwei Wochen 1000 Menschen.

Im Kern fordert die Initiative eine verbindliche Obergrenze von 1500 Flüchtlingen für den Stadtteil, eine gerechtere Verteilung der Asylbewerber auf alle Stadtteile, einen raschen Ausbau der Infrastruktur im Hinblick auf Schulen und Kitas sowie eine stärkere Einbindung der Neugrabener in Entscheidungen und Gestaltungsprozesse.

„Wir sind nicht die, die mit Steinen auf Polizisten werfen, die Flüchtlingsheime abfackeln und ihre Ziele mit körperlicher Gewalt durchsetzen wollen“, sagt Uwe Schröer. „Wir sind die, die sich aktiv einbringen wollen in diesen schwierigen Prozess. Deshalb sagen wir auch Ja zu Hilfe, aber Nein zu dieserart Flüchtlingspolitik. Die zwar kurzfristige Lösungen forciert, damit aber neue Probleme und sozialen Sprengstoff schafft.“

Auch Manfred Schulz (SPD), Vorsitzender der Bezirksversammlung, hält nichts davon, die Mitglieder der Initiative als Wutbürger und Besitzstandswahrer abzustempeln. „Die absolute Mehrzahl ist bürgerlich, bodenständig und sozial gefestigt. Sie repräsentiert im besten Sinne die Mitte der Gesellschaft.“

Für kommenden Sonntag plant die Bürgerinitiative die nächste Demon­stration. Daran werden sich Ehrenamtliche der Initiative „Willkommen in Süderelbe“beteiligen. Wolfgang Heide engagiert sich in beiden Initiativen: „Auch das beweist, dass es den Bürgern hier nie um eine Nulllösung ging.“