Nur eine Frau sitzt bei Hamburgs 14 wichtigsten börsennotierten Firmen im Vorstand: Claudia Hoyer von der TAG Immobilien AG.

Oft bewegt sie sich in einer Männerwelt, aber sie hat damit kein Problem, sagt sie: Seit drei Jahren führt Claudia Hoyer als Vorstand gemeinsam mit zwei männlichen Kollegen die Geschicke der TAG Immobilien AG. Unter den in den vier wichtigsten Indizes vertretenen, börsennotierten Firmen mit Hauptsitz in Hamburg ist die 43-jährige Diplom-Kauffrau ein Unikat. Selbst wenn die Belegschaft mehrheitlich weiblich ist, sitzen in den Vorständen ausschließlich Männer – insgesamt sind es 49. Und auch die Aufsichtsräte sind von Männern dominiert. Als große Hindernisse für weiblichere Führungsstrukturen gelten die Unvereinbarkeit von Familie und Karriere, aber auch ein Mangel an hochqualifizierten Bewerberinnen – zumindest in technisch orientierten Unternehmen. Das zeigt auch eine Abendblatt-Umfrage.

Börsennotierte Unternehmen sollten sich bis Ende September Ziele für Frauenquoten in ihren Aufsichtsräten, Vorständen und oberen Führungsebenen setzen. So will es das im Mai beschlossene Gleichstellungsgesetz. Großunternehmen müssen bei Neubesetzungen ihres Aufsichtsrates verbindlich eine Frauenquote von 30 Prozent einhalten. Vier der 14 befragten Unternehmen im DAX, MDAX, SDAX oder TecDAX erreichen – unabhängig von ihrer Größe – diesen Anteil. Bei einer Rangliste zu weiblichen Führungskräften in Unternehmen vom Verein FidAR (Frauen in die Aufsichtsräte) liegen Beiersdorf und Deutsche Euroshop (investiert bundesweit in Shoppingcenter) mit jeweils drei Aufsichtsräten gemeinsam auf den siebten Platz (Stand Juni 2015). Gelistet wurden 114 börsennotierte Unternehmen in Deutschland, die mindestens eine Frau in ihrem Aufsichtsrat haben.

„Die Förderung von Frauen ist seit je her in unserer Firmenphilosophie verankert“, sagt Beiersdorf-Sprecherin Daniela Zastrow. „Bereits der Nivea-Erfinder Oskar Troplowitz führte vor rund 100 Jahren erste Stillgruppen ein. Heute führen wir diese Idee – natürlich deutlich moderner – weiter.“ Jobsharing-Modelle und andere flexible Arbeitszeitmodelle böten bei Beiersdorf Rahmenbedingungen, „die es Müttern und Vätern ermöglichen, weiterhin im Berufsleben zu stehen und auch Karriere zu machen“, so Zastrow. 2014 sei so der Frauenanteil in Führungspositionen um fünf Prozentpunkte auf 27,5 Prozent gesteigert worden.

Es gelte, den kulturellen Wandel im Unternehmen voranzutreiben, sagt die Sprecherin. Auch Väter sollten sich um ihre Kinder kümmern können, ohne einen Karriereknick befürchten zu müssen – „auch sie können entsprechende Angebote nutzen, in Teilzeit arbeiten oder länger in Elternzeit gehen. Wir brauchen mutige Vorbilder, die mit gutem Beispiel vorangehen.“

Mutige Vorbilder eines gesellschaftlichen Umdenkens wünscht sich auch Professor Michel Domsch, Leiter des Instituts für Personal und Arbeit an der Helmut-Schmidt-Universität in Jenfeld. Er denkt eher an die männlich dominierten Führungsstrukturen: „Was hindert Männer daran, Frauen in Führungspositionen zu bringen? Es gibt genügend hochmotivierte, hochqualifizierte Frauen, die Karriere machen wollen. Doch Manager sind es nicht gewöhnt, Frauen auf Augenhöhe zu begegnen. Ihnen sind gemischte Führungsriegen fremd. Sie wollen ihre Macht nicht mit einer neuen Zielgruppe, den Frauen, teilen.“

Ein Anreizsystem könnte Manager veranlassen, Frauen zu fördern

Der Wirtschaftswissenschaftler schlägt Anreizsysteme und Zielvereinbarungen für männliche Führungskräfte vor, um diese zu bewegen, Frauenkarrieren zu fördern. „Männer reagieren auf Ansehen und auf Geld. Wenn man das durch ein Anreizsystem unterstützt, lassen sich Manager eher dazu bewegen, Frauen zu fördern.“ Ansonsten drohe das wichtige Thema im hektischen Tagesgeschäft unterzugehen, sagt Domsch.

Vorstandsfrau Claudia Hoyer sieht die Situation positiver: „Bei den börsennotierten Unternehmen sind Frauen noch eine seltene Ausnahme. Aber in vielen Unternehmen wird es langsam normal, dass Frauen auch Führungspositionen einnehmen.“ Ein wichtiger Faktor sei die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, sagt die Immobilienexpertin, „aber auch die Tatsache, dass man sich die Übernahme dieser Verantwortung auch selber zutrauen muss“. Ihr sei der Vorstandsposten angeboten worden. Hoyer: „Ich habe mich dafür entschieden, weil ich selbst gern mitgestalte, Verantwortung übernehme und entscheide.“

Technisch orientierte Unternehmen beklagen den Mangel an hochqualifizierten Anwärterinnen, der ein Hindernis für mehr Frauen in Führungspositionen darstelle. „In unserem Vorstand sind nur Männer vertreten, wie es im Anlagenbau wohl üblich ist“, sagt Ralf Peters, Sprecher vom Windenergie-Anlagenbauer Nordex. „Sehr wenige Frauen nehmen in diesem Sektor eine Karriere an und können sich qualifizieren – die kleine Grundgesamtheit ist das Problem.“ Im sechsköpfigen Aufsichtsrat von Nordex sitzt eine Frau. Bei Jungheinrich, Hersteller von Gabelstaplern, ist die Situation ähnlich. Derzeit seien zwei von zwölf Aufsichtsräten weiblich, sagt Pressesprecher Alexander de Grahl. Bei den nächsten Aufsichtsratswahlen im kommenden Jahr werde sich ihre Zahl voraussichtlich verdoppeln. Sein Unternehmen setzt, wie auch der Waggonvermieter VTG, stark auf die hauseigene Fortbildung von weiblichen Mitarbeitern, um den Frauenanteil in Führungspositionen allmählich zu erhöhen – im Traineeprogramm von Jungheinrich, aus dem traditionell viele Führungskräfte hervorgingen, liege die Quote bei 40 Prozent.

Noch gebe es einen deutlichen Mangel an qualifizierten Managerinnen, so de Grahl. In den Führungspositionen seines Unternehmens seien ein hohes technisches Wissen oder auch langjährige, internationale Erfahrungen im technischen Vertrieb gefragt – „im Regelfall sind weniger als zehn Prozent der Bewerbungen von weiblichen Kandidatinnen. Nach unserer Erfahrung gibt es nur wenige Frauen, die die nötige Qualifikation aufweisen.“ In asiatischen Ländern, in denen Jungheinrich vertreten ist, beispielsweise Thailand und Malaysia, sei dies ganz anders, erzählt de Grahl. Dort gebe es deutlich mehr Bewerberinnen auf Führungspositionen in dem Maschinenbau-Unternehmen.

Fielmann punktet mit sechs weiblichen Aufsichtsräten

Aber selbst in Unternehmen mit überwiegend weiblicher Belegschaft wie dem Modekonzern Tom Tailor, der Pharmazietechnikfirma Evotec oder dem Brillenhersteller Fielmann hat noch keine Frau den Aufstieg in den Vorstand geschafft. Fielmann punktet jedoch seit Juli dieses Jahres mit sechs weiblichen Aufsichtsräten (von 16), während die Tom Tailor Group mit Carrie Liu nur eine Aufsichtsrätin hat. Sie arbeitet als Geschäftsführerin bei Tom Tailors Großaktionär, der Fosun Group. Immerhin besteht in dem Modeunternehmen die erste Führungsebene zu 43 Prozent aus Frauen.

Dass auch heute noch von klein auf geschlechtsstereotype Rollenbilder üblich sind, zeigten gerade Wissenschaftler der Technischen Universität Berlin auf. Sie untersuchten 500 Sprüche auf Kinder-T-Shirts und fanden bei allen elf Marken und in allen Preisklassen entsprechende Stereotypen: Adjektive wie little, sweet, lovely fanden sich nur auf Mädchen-Shirts, crazy, cool und wild nur auf T-Shirts für Jungen. Zumindest hatte der Hamburger Otto-Versand 2013 sein Mädchen-T-Shirt mit der Aufschrift „in Mathe bin ich Deko“ nach Protesten aus dem Sortiment genommen.