Altstadt.

Was ist er für ein Mann? Was müssen wir anziehen? Dürfen wir wirklich alles fragen? Verständlich, dass die fünf Flüchtlingsreporter des Hamburger Abendblatts ein wenig nervös sind, bevor sie das Interview mit dem mächtigsten Mann der Stadt führen: Olaf Scholz.

Die Idee war in einer Redaktionskonferenz aufgekommen: Statt ein „normales“ Interview mit dem Bürgermeister über die Flüchtlingssituation zu führen, könnte man es doch die Flüchtlinge selbst führen lassen. Könnte? Nein: Sollte man unbedingt.

Und Olaf Scholz? Der wird doch hoffentlich auch wollen? Anruf bei Senatssprecher Jörg Schmoll. „Das klingt wirklich interessant“, sagt er spontan. „Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass der Bürgermeister die Idee gut findet.“ Er sollte recht behalten. Schwieriger war es erwartungsgemäß, einen Termin zu finden. Doch auch das Problem ließ sich natürlich lösen – Dienstag, 29. September, 16 Uhr.

Einen Tag vorher kommen die Reporter zur Vorbesprechung zusammen: Mays Albeer, 37, Ärztin aus dem Irak; Mohammed Shoaib Rezayi, 22, Fotograf aus Afghanistan; Michael Meng­steab, 44-jähriger Taxifahrer aus Eri­trea; Sahar Raza, 28, Politikwissenschaftlerin aus Afghanistan, und Berj Baghdee Sar, 31-jähriger Bankkaufmann aus Syrien. Die erste Frage ist, in welcher Sprache wir das Interview führen wollen, denn sie alle lernen zwar mit großem Eifer Deutsch, können es nach so kurzer Zeit in Hamburg aber natürlich noch nicht perfekt. „Wir sollten es auf Deutsch versuchen“, schlägt Peter Ulrich Meyer, Chef des Landespolitik-Ressorts, vor. „Und im Zweifel wechseln wir ins Englische, das ist für Olaf Scholz kein Problem.“

Rasch entsteht eine Liste mit Fragen, die die Flüchtlinge stellen wollen

Und dann geht es um das Wichtigste: die Fragen. Die Themen, die den fünf Reportern am wichtigsten sind, sind auch für die Redakteure durchaus überraschend: ihre Angst, dass religiöse Fanatiker als Flüchtlinge getarnt nach Deutschland kommen; ihre Sorge, dass junge, beschäftigungslose Männer in den Unterkünften besonders empfänglich für radikale Botschaften sein könnten; ihr Unverständnis, dass IS und Taliban so viele Waffen aus dem Westen haben; aber auch ihr Erstaunen darüber, dass entgegen dem weltweit tief verankerten Ruf auch in deutschen Behörden nicht immer alles schnell und perfekt funktioniert. So entsteht rasch eine ansehnliche Liste mit Fragen.

Am Dienstag, um 15.45 Uhr, gehen die fünf, begleitet von den Redakteuren Peter Ulrich Meyer und Sven Kummereincke, vom Großen Burstah rüber zum Rathaus. Der Weg führt in den Senatsflügel, über den roten Teppich der großen Treppe ins Bürgermeisteramtszimmer. Der Marmor, die alten Gemälde, die Lederstühle – das Rathaus kann schon einschüchternd wirken, wenn man zum ersten Mal da ist.

„Wie sprechen wir ihn eigentlich an? Herr Bürgermeister? Oder Herr Scholz?“, fragt Berj Bagdhee Sar. Beides sei gleichermaßen höflich, klären die Redakteure ihn auf.

Und dann geht es los. Olaf Scholz kommt herein, begrüßt alle mit Handschlag, man setzt sich, das Aufnahmegerät läuft – und Mays Albeer stellt die erste Frage.

Bald legen die Reporter ihre Nervosität ab, fast alle Fragen stellen sie auf Deutsch, nur manchmal, wenn es kompliziert wird, wechseln einige ins Englische. Scholz bemüht sich, besonders langsam und deutlich zu sprechen, und schon bald ist die Atmosphäre fast so wie bei jedem anderen Interview mit ihm auch. Nur, dass dem Bürgermeister normalerweise nicht so viele Gesprächspartner gegenübersitzen.

Zum Schluss, nach fast genau einer Stunde, wird noch ein Gruppenbild gemacht, dann verabschiedet Scholz sich mit einem Lächeln.

Die fünf Reporter sind irgendetwas zwischen erleichtert, zufrieden und unsicher. „War das in Ordnung?“, fragt Mohammed Shoaib Rezayi. Nein, war es nicht. Das war richtig gut.