Neustadt. Eine 47-Jährige soll ein Handy gestohlen haben. Für ihre Erklärung vergibt ihr der Richter den Preis für die „unglaublichste Geschichte“.

Einmal Diebin, immer Diebin? So läuft das nicht bei ihr. Das Vorstrafenregister der Hamburgerin ist zwar üppig gefüllt. Seit mehr als 20 Jahren kommen bei Sabine A. (Name geändert) immer wieder neue Einträge dazu, meist weil sie gestohlen oder betrogen hatte. Doch trotz dieses Makels sieht sich die kräftig gebaute 47-Jährige zu Unrecht in eine Schublade gesteckt. „Ich bin vorbestraft, da ist man gleich abgestempelt“, mault sie. Aber eine Diebin, versichert sie, sei sie mitnichten. Dieses Mal nicht.

Die Staatsanwaltschaft ist da anderer Ansicht. Sie wirft der Angeklagten im Prozess vor dem Amtsgericht vor, während deren Tätigkeit als Reinigungskraft in einer Schule ein Handy gestohlen zu haben. „Ich habe nur das gemacht, was ich machen soll, also sauber gemacht“, wehrt sich Sabine A. indes gegen die Anschuldigungen. Der Auftritt vor Gericht ist für sie Routine, die Haltung entsprechend entspannt. Und ihre Stimmlage pendelt irgendwo zwischen Langeweile und Resignation. An besagtes Mobiltelefon sei sie auf gänzlich unschuldige Weise gelangt, versichert sie. „Neben mir in der U-Bahn war eine Gruppe Jugendlicher, und einem von ihnen fiel ein Handy aus der Tasche. Das habe ich dann an mich genommen, aus Reflex.“

Der Amtsrichter hat in seiner langjährigen Berufserfahrung schon viele Storys aufgetischt bekommen. Doch angesichts dieser Einlassung staunt auch er: „Sie bekommen den ersten Preis heute für die unglaublichste Geschichte!“, sagt er. „Genau das Handy, das in dem Raum weggekommen ist, in dem Sie geputzt haben, fällt also in Ihrer Gegenwart einem Jugendlichen aus der Tasche!“ Sie habe doch bereits ein Mobiltelefon, zuckt die Angeklagte mit den Schultern. „Warum sollte ich ein zweites klauen?“ „Weil Sie Geld brauchen zum Beispiel“, schlägt der Richter vor. Nicht schönzureden ist jedenfalls, dass das Gerät in der Wohnung der 47-Jährigen sichergestellt wurde. „Versetzen Sie sich mal in die Position des Richters: Würden Sie so eine Geschichte glauben?“ Sabine A. zögert nur eine Sekunde. „Ja, es kommt darauf an, wie sie rüberkommt. Aber, wie gesagt: Wer vorbestraft ist, wird abgestempelt.“

Davon ist die Schulleiterin, der das Smartphone aus ihrem Büro gestohlen wurde, indes weit entfernt. Sie berichtet als Zeugin lediglich von „eigenartigen Zufällen“. Anders als sonst, wenn sie ihre Tür sorgfältig verschließt, habe sie sie in diesem Fall offen gelassen, „weil ich notfallmäßig rausgerufen wurde“. Bei ihrer Rückkehr sei sie von der Putzkraft angesprochen worden: „Sie haben nicht zugeschlossen, das ist unvorsichtig.“ Dann habe die Frau erzählt, „sie wolle sich ein Handy kaufen, genau so eins, wie ich es habe.“ Und eine andere Lehrerin schildert, die Putzhilfe habe sie auf den Diebstahl angesprochen und auch erzählt, dass sie sich am Hauptbahnhof nach Handypreisen erkundigt habe. Beide Frauen berichteten diese verdächtigen Dialoge der Polizei, die darauf die Wohnung von Sabine A. durchsuchte. Dort fanden die Beamten das gestohlene Gerät.

Für die Staatsanwältin ist der Fall eindeutig: „Die Angaben der Angeklagten waren unschlüssig und lebensfremd.“ Die bestohlene Frau sei nur „ganz kurz“ nicht in ihrem Büro gewesen. „Und als sie wiederkam, standen Sie im Raum“, betont die Anklägerin. Zudem habe Sabine A. sich auffällig verhalten. „Gelegenheit macht Diebe, sagt man. Sie konnten nicht die Finger stillhalten und haben Ihre Position als Putzkraft ausgenutzt.“ Auch für den Amtsrichter steht außer Zweifel, dass Sabine A. die Täterin ist. Er verhängt eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu sieben Euro. „Die Beweislage ist eindeutig.“ Die Angeklagte weiß, wann sie verloren hat. Nach all dem Leugnen akzeptiert sie ohne zu zögern das Urteil, hievt sich von der Anklagebank hoch und schlendert gelassen aus dem Saal.