Hamburg. Nach dem Wegfall der Quotenregelung kämpfen viele Landwirte um ihre Existenz. Einnahmen decken oft nicht die Kosten.
Matthias Steffens steht im Gang seines Stalles am Neuengammer Hausdeich. Draußen zwitschern die Vögel, die Sonne scheint auf die Wiesen, die sich sattgrün zwischen Kanälen durch die flache Landschaft ziehen. So herrlich die Sommeridylle eine halbe Stunde von der Hamburger City entfernt erscheint, so schlecht ist die Stimmung im Betrieb. Steffens ist Landwirt, er steht jeden Morgen in aller Frühe auf, um sich um die Tiere zu kümmern, er mäht die Wiesen, um Futter für den Winter zu haben. Urlaub gönnt sich die Familie nur selten und kurz, schließlich müssen die 170 Kühe ständig versorgt werden.
Pro Liter Milch, die er produziert, muss Steffens draufzahlen
Doch so viel Aufwand Steffens mit seinem Betrieb auch hat, die viele Arbeit lohnt sich nicht. „Ich bekomme zurzeit 25,50 Cent pro Kilo Milch und 0,51 Cent Qualitätszuschlag“, sagt Steffens. „Aber meine Vollkosten liegen bei 35 Cent.“ Kraftfutter, Strom, Diesel, Handwerkerrechnungen, das alles geht zusätzlich ins Geld, sodass Steffens seine Kosten nicht mehr decken kann. Pro Liter Milch, den er an die Molkereien liefert, zahlt er drauf.
Steffens ist ein Leidtragender unter Tausenden Landwirten, die derzeit unter niedrigen Marktpreisen stöhnen. Selten zuvor hat der Verfall der Zahlungen an die Milchbauern die Branche so sehr in Rage gebracht, in Europa sogar grenzüberschreitend. Auch in Frankreich, Großbritannien und Spanien gab es schon Proteste.
Derartig niedrige Preise hatte es zwar schon einmal vor sechs und vor drei Jahren gegeben, damals waren die Zahlungen an die Bauern ebenfalls auf unter 30 Cent gefallen. Jetzt aber ist die Situation noch einmal dramatischer: Etliche Betriebe haben mit Blick auf den Wegfall der Milchquote, die ihre Produktionsmenge bislang begrenzte, in größere Ställe mit mehr Kühen investiert. Um den Hof fit für die nächste Generation zu machen. Um ihre Fixkosten auf eine größere Milchmenge zu verteilen, denn es schien realistisch, dass die Nachfrage nach Joghurt oder Käse steigt: Verbände und Molkereien hatten den Landwirten zuletzt immer wieder scheinbar riesige Chancen auf Exporte schmackhaft gemacht. Sie hatten mit der wachsenden Weltbevölkerung argumentiert. Und in Deutschland immer wieder den guten Ruf hiesiger Milchprodukte ins Feld geführt. Etwa in Russland oder China könnten die Lebensmittelsicherheit und die Erfahrung in der Branche mit deutschem Know-how nicht mithalten.
Doch der Plan schlug fehl. Die internationale Nachfrage bricht ein. Der Grund sind das Russland-Embargo und das nur schwache Wirtschaftswachstum in China. „Der Milchmarkt ist übersättigt und Abnehmer der letzten Jahre haben ihre Abnahmemenge auf die Hälfte reduziert, etwa China“, sagt Steffens. Gleichzeitig haben die Investitionen die Bauern in die Abhängigkeit teurer Kredite getrieben. Auch der Hamburger hat noch 2014 in seinen Betrieb investiert. Eine Herzensentscheidung. „Meinen Schritt, in den Hof und mehr Kühe zu investieren, bereue ich nicht, da ich leidenschaftlicher Milchviehhalter bin und meine Kinder großes Interesse an unserem Hof haben“, sagt Steffens. Immerhin hat er sein Risiko gestreut: Durch den Ausbau von Betriebszweigen wie Photovoltaik und Ackerbau kann er die Einbußen in der Kuhhaltung teilweise ausgleichen. Steffens ist studierter Agrarbetriebswirt, in Verbänden organisiert und bildet sich regelmäßig weiter. Er plant vorausschauend, nutzt neue Technologien.
In der Branche, die bisher unter einer staatlichen Käseglocke agierte, ist das keine Selbstverständlichkeit. Denn früher kümmerten sich die Hersteller nicht wirklich um den Weltmarktpreis. Kaufte der Staat seit der Einführung der Milchquote 1984 doch die überschüssige Produktion von den Bauern auf. So türmten sich in der Vergangenheit Butterberge auf, wuchsen Milchseen. Doch im März ist die Milchquote abgeschafft worden. In der Branche vollzieht sich ein Wandel: Der freie Markt macht Melker zu Managern. Bauern müssen agieren wie Banker, und einige sind damit überfordert.
Die Discounter spielen die Molkereien untereinander aus
Sobald ein Überangebot wie in diesem Jahr besteht, verbessert sich zudem die Verhandlungsposition wichtiger einheimischer Abnehmer wie Aldi oder Lidl. Sie drückten die Preise zuletzt kräftig, indem sie die Molkereien gegeneinander ausspielten. Die Folge: Für Milch bezahlen die Kunden heute gerade mal ein Drittel des Preises wie für Bier. Laut dem jüngsten Bericht des Bundesbauernverbandes steigen die Preise für Lebensmittel in Deutschland zudem seit Langem weniger stark als die Verbraucherpreise insgesamt. Die Deutschen stecken ihre Gehaltssteigerungen lieber in höhere Standards bei Wohnen, Freizeit oder Verkehr – und weniger in Lebensmittel.
Die Probleme treffen die Landwirte unabhängig von ihrer Größe und ihrer Herkunft. Zwar sitzt der Großteil der Milchbauern im Norden mit 4000 Betrieben in Schleswig-Holstein und mit 10.000 Höfen in Niedersachsen, aber auch in Hamburg arbeiten 14 Landwirte in der Milchwirtschaft. Sie alle sind von den Preisen abhängig, die ihnen die Molkereien zahlen.
Die Milch-, aber auch die Schweinebauern sehen sich in einer Zwickmühle aus steigenden Kosten und sinkenden Umsätzen für ihre Produkte. „Alle neuen Gesetze und Verordnungen bewirken für unsere Landwirte höhere Kosten. Leider finden wir aber keinen Adressaten, der zumindest einen Teil des zusätzlichen Aufwandes über höhere Erlöse ausgleichen würde“, klagte jetzt Niedersachsens Landvolk-Vizepräsident Heinz Korte. Der Trend zu mehr Nachhaltigkeit – etwa beim Düngen der Felder oder den Aufbau der Ställe – gehe immer stärker ins Geld. Doch die Bauern könnten diese Zusatzkosten nicht an Abnehmer wie Molkereien oder Schlachtereien weitergeben. Im Einzelhandel und am Ende auch in der Einkaufsroutine der Verbraucher gelte das Diktat niedriger Preise.
Auch für Landwirt Steffens gibt es kaum Alternativen, seine Milch teurer zu verkaufen. „Aus eigener Initiative ist es schwer, mehr für die Milch zu bekommen, da für eine Direktvermarktung erst einmal hohe Investitionen getätigt werden müssten“, sagt Steffens über die Möglichkeit, Milchprodukte direkt an Kunden zu liefern, wie es etwa der Milchhof Reitbrook den Hamburgern anbietet.
Die Aussichten sind düster: „Die Milchpreise fallen jetzt seit über einem Jahr. Und im Moment ist keine Erholung absehbar“, sagt Steffens, der als Familienvater nicht nur die Verantwortung für den Hof trägt. Die gegenwärtige Entwicklung sei so nicht von den Marktanalysten vorhergesagt worden.
Auch die Konkurrenz schläft nicht. China baut gerade einen Stall für hunderttausend Milchkühe. Der Betrieb unter Führung eines Staatskonzerns wird der größte Milchkuhstall der Welt.