Hamburg. Essstörungen wie Magersucht und Bulimie nehmen vor allem bei älteren Menschen zwischen 51 und 60 Jahren zu. Anstieg von 114 Prozent.
In Hamburg und Schleswig-Holstein stellen die Ärzte immer mehr Essstörungen fest. Die Zahl der wegen Magersucht (Anorexie), Ess-Brech-Sucht (Bulimie) und psychogener Esssucht (Binge-Eating) behandelten Versicherten der Barmer GEK stieg in Hamburg innerhalb von fünf Jahren um mehr als 26 Prozent, teilte die Krankenkasse mit. In Schleswig-Holstein ist die Zahl der behandlungsbedürftigen Menschen im selben Zeitraum um nahezu 30 Prozent gestiegen.
Die Barmer GEK hatte zuvor entsprechende Behandlungsdaten ihrer Versicherten ausgewertet. Im Jahr 2009 wurden demnach 1120 Versicherte wegen einer Essstörung ärztlich behandelt, im Jahr 2014 waren es schon 1417 Personen. Dabei war besonders auffällig: Die meisten Fälle verzeichnet die Krankenkasse in der Altersgruppe der 19- bis 30-Jährigen, den prozentual höchsten Anstieg aber bei den 51- bis 60-Jährigen.
Im Norden sind die Zahlen ähnlich: Während im Jahr 2009 bei 1780 Versicherten aus Schleswig-Holstein eine Essstörung angegeben wurde, waren es im Jahr 2014 mehr als 2300. Bundesweit nahm die Zahl in diesem Zeitraum um 18 Prozent zu.
Frank Liedtke, Landesgeschäftsführer der BARMER GEK Hamburg, ist besorgt. „Wer magersüchtig ist, braucht professionelle Hilfe. Die Ursachen für Magersucht können zum Beispiel Schwierigkeiten in der Familie sein, nicht verarbeitete Trauer oder Leistungsdruck, der auch auf den eigenen Körper übertragen wird“, sagt er.
Mehr Fälle auch im höheren Alter
Deshalb seien Essstörungen nicht nur ein Problem junger Menschen, sie kommen in jedem Alter vor. In der Gruppe der 51- bis 60-Jährigen stieg die Fallzahl in Hamburg innerhalb von fünf Jahren um mehr als 114 Prozent, von 83 auf 178 Patienten. Bei den 13- bis 18-Jährigen beträgt die Steigerungsrate knapp 43 Prozent.
Essstörungen treten vor allem in der Pubertät auf, aber es gibt auch Ersterkrankungen nach dem 25. Lebensjahr. „Bei Magersucht spricht man dann von einer Spätanorexie“, erklärt Liedtke. „Auslöser können schwere Lebenskrisen, der veränderte Körper nach einer Geburt, jahrelange Diäten oder die Angst vor dem Älterwerden sein. In einer jungendfixierten Gesellschaft wächst mit dem Älterwerden die Angst vor dem Verlust von Erfolg, Anerkennung und Konkurrenzfähigkeit.“
Auch Thomas Wortmann, Landesgeschäftsführer in Schleswig-Holstein, stufte die Entwicklung als bedenklich ein. So nahm die Zahl der diagnostizierten Essstörungen insbesondere bei Jugendlichen im Alter von 13 bis 18 Jahren deutlich zu (75,9 Prozent seit 2009). Essstörungen sind entgegen dem verbreiteten Klischee kein Problem nur junger Frauen, sondern in jedem Alter anzutreffen, sagte Wortmann. Besonders häufig kommen sie zwar im Alter von 19 bis 30 Jahren vor, doch auch bei den 51 bis 60-jährigen Versicherten der Barmer GEK wurden im vergangenen Jahr 332 Versicherte deshalb ärztlich behandelt, 85 Prozent mehr als 2009. Bei den über 60-Jährigen betrug das Plus 37 Prozent.
Wortmann verwies auf Frankreich, wo das Parlament ein Gesetz gegen magersüchtige Models auf den Laufstegen verabschiedet hat. „Es kann zwar sein, dass die schlechte Vorbildwirkung von Magermodels bei Jugendlichen ein falsches Körpergefühl vermittelt, doch die Ursachen für Magersucht und andere Essstörungen liegen zumeist woanders“, sagte er. Oftmals würden eher unspektakuläre Bemerkungen von Bezugspersonen und abwertende Kommentare zur Figur das Gefühl der Unzulänglichkeit begünstigen.