Hamburg. Bekommt die Stadt neben dem besetzten ehemaligen Theater in der Schanze Probleme mit einem zweiten Areal?

Die Formulierung im Behördendeutsch klingt nüchtern. Doch der Inhalt hat es in sich. „Mittlerweile kann gesagt werden, dass sich mit dem koZe neben der Roten Flora ein zweites autonomes Zentrum in besetzten Räumen in Hamburg zu etablieren droht.“ Diese Einschätzung geht aus einer internen Analyse der Staatsschutzabteilung (LKA 7) hervor. koZe steht für Kollektives Zentrum, dessen Aktivisten ein Kita-Gebäude auf dem Gelände der ehemaligen Gehörlosenschule im Münzviertel seit Monaten besetzt haben. Eine Räumung des Gebäudes in Hammerbrook, so die Einschätzung der Experten, ist mittlerweile nicht ohne erhebliche Krawalle zu realisieren. „Durch Zulauf insbesondere aus dem linksextremistischen Spektrum muss davon ausgegangen werden, dass sich die autonome Szene zu solidarischen Aktionen formieren wird“, heißt es in der internen LKA-Analyse weiter.

Das koZe hat das gesamte zweistöckige Kita-Gebäude samt Schulhof an der Norderstraße eingenommen. Ohne Mietvertrag. Den gibt es nur für eine 70 Quadratmeter große Fläche im Erdgeschoss der Kita – für eine symbolische Miete von 70 Euro im Monat. Den Mietvertrag zum 1. September 2014 hatte der Landesbetrieb Immobilienmanagement und Grundvermögen (LIG) nicht mit dem koZe abgeschlossen, sondern mit dem Verein Kunstlabor naher Gegenden (KuNaGe), dessen Vorstand der im Münzviertel sehr engagierte Künstler Günter Westphal ist.

Der Eingang des
Kommunalen
Zentrums an
der Norderstraße
ist deutlich
gekennzeichnet
Der Eingang des Kommunalen Zentrums an der Norderstraße ist deutlich gekennzeichnet © Roland Magunia

Auch ohne offizieller Mieter zu sein, tauschte das koZe zunächst die Schlüssel aus. „Das ist ein ganz normaler Vorgang, wenn man etwas mietet“, findet Stefan. Der junge Mann heißt wohl anders, nennt sich aber so. Er ist der Sprecher des koZe und erklärt die Situation so: „Wir nutzen jetzt das komplette Gebäude, weil wir den Platz einfach benötigen. Das haben wir der Stadt auch mehrfach mitgeteilt, die die Verhandlungen darüber aber ins Leere laufen ließ. Da haben wir unsere Fläche in dem Kita-Gebäude dann selbstständig erweitert, denn die Türen standen offen“, sagt Stefan.

Der Vertrag mit dem KuNaGe ist monatlich kündbar

Die Zwischennutzung der 70-Quadratmeter-Fläche durch das KuNaGe hatte die Hamburger Bezirkspolitik ursprünglich sogar gefordert. Wohl um für Ruhe zu sorgen, nachdem die Gehörlosenschule im Juli 2014 kurzfristig besetzt und von der Polizei geräumt worden war. Doch mittlerweile ist die Stimmung umgeschlagen. „Die Besetzung des Gebäudes muss beendet werden. Die Stadt muss zudem die ursprünglich vermietete Fläche sofort kündigen“, fordert CDU-Fraktionschef Gunter Böttcher. Auch die Grünen sind mit dem Treiben der koZe-Macher nicht einverstanden: „Wir haben die Zwischennutzung einer Teilfläche in der Kita unterstützt. Aber dass nun das koZe das gesamte Gebäude in Beschlag nimmt, kann so nicht hingenommen werden“, sagte Fraktionschef Michael Osterburg.

Der Landesbetrieb Immobilienmanagement und Grundvermögen könnte sofort handeln: Der Vertrag mit dem KuNaGe ist monatlich kündbar. Doch die Stadt setzt offensichtlich auf De­eskalation, denn die Einschätzung des LKA stammt bereits aus dem Februar und dürfte auch der LIG bekannt sein. Der LIG hat den KuNaGe dann auch lediglich in einem Schreiben vom 26. Mai aufgefordert, „die beiden oberen Stockwerke zu räumen und die alten Schlösser wieder einzubauen“.

Das koZe droht seinerseits in einem offenen Brief: „Wir haben kein Interesse an einer Eskalation, doch wenn sich die Behörden dazu entschließen sollten, Nachbarschaftsinitiativen, Flüchtlingsgruppen, Volksküchen und vieles mehr auf die Straße zu setzen, dann wird sich dort die Trauer und Wut über den Verlust des politischen Zuhauses Luft verschaffen.“

Was passieren würde, wenn die Stadt handelt, ist auch der internen Analyse der Staatsschutzabteilung zu entnehmen. Darin heißt es: „Im Zusammenhang mit einer Räumung erwartet man „eine militante Kampagne“, bei der politische und wirtschaftliche Entscheidungsträger Ziel von Angriffen werden. Wochenlang, so die Prognose der Staatsschützer, würden Protestaktionen stattfinden. Besonders im Visier seien dabei der Finanzsenator und leitende Mitarbeiter der HBK (Hanseatische Bau Konzept GmbH).

Die HBK hat Pläne mit dem Grundstück der alten Gehörlosenschule: Etwa 400 Wohnungen will HBK-Geschäftsführer Dietrich von Stemm auf dem rund 8000 Quadratmeter großen Areal bauen. Der Gebäudekomplex inklusive der Kita soll weitgehend abgerissen werden. Das Grundstück hatte von Stemm bereits im Mai 2013 durch die Stadt zur Entwicklung an die Hand gegeben bekommen.

Die offizielle Übergabe durch die Stadt an den Investor HBK sollte dann ursprünglich am 23. März 2015 erfolgen. Doch bei dem Termin kam heraus, dass die Schlösser in der Kita ausgetauscht wurden. „Es kam deshalb zu keiner Übergabe“, bestätigte von Stemm dem Abendblatt. Der Kaufvertrag für das Grundstück hatten Stadt und HBK zwar bereits Ende 2014 besiegelt. Noch befindet sich das Areal allerdings formell im Eigentum der Stadt: „Erst nach der Übergabe geht es in unseren Besitz über“, sagte von Stemm.

Organisation im
Inneren: Material
zum koZe wird
gesammelt und
ausgehängt
Organisation im Inneren: Material zum koZe wird gesammelt und ausgehängt © Roland Magunia

Mit der jetzigen Entwicklung ist der Investor nicht zufrieden, möchte sich jedoch dazu nicht detaillierter äußern. Nach Abendblatt-Informationen ist sein Firmensitz bereits mehrfach von Sympathisanten des koZe aufgesucht worden: „Da war einiges los. Das möchten meine Mitarbeiter nicht noch einmal erleben“, sagte von Stemm auf Nachfrage. Eines sei für ihn klar: „Ich erwarte, dass die Stadt uns in Kürze das gesamte Areal übergibt – und zwar in einem vertragsgemäßen Zustand.“ Das heißt: mit einer nicht besetzten Kita.

Dass die HBK das Grundstück entwickelt, wollen die koZe-Macher verhindern: „Wir wollen nicht, dass HBK hier baut. Das sollen kleine, teure Wohnungen werden. Hier wird aber bezahlbarer Wohnraum für Familien und obdachlose Jugendliche benötigt“, sagt Stefan.

Die Planungen der HBK für das Grundstück sehen laut von Stemm so aus: 60 Prozent der Wohnungen werden öffentlich gefördert, weitere 40 Prozent frei finanziert. Von den frei finanzierten Wohnungen sind 70 Prozent Studentenappartements und 30 Prozent kleinere Wohnungen.

Der Architektenwettbewerb für die Fläche soll im Juli starten und noch in diesem Jahr entschieden werden. Wenn der Siegerentwurf fest steht, sollen die Bauarbeiten laut von Stemm „so schnell wie möglich beginnen“.

Fahrradwerkstatt, Umsonstladen, Bar – die Angebote ständen allen offen

Demgegenüber stehen derzeit die Aktivitäten des koZe. „Die Angebote unseres Kollektiven Zentrums sind vielfältig und stehen allen offen. Die Räume werden von verschiedenen Initiativen genutzt. Es gibt eine Fahrradwerkstatt, regelmäßige Sportangebote wie Kickboxen oder Yoga und auch ein Fotolabor“, sagt Stefan. Auch Nähkurse oder gemeinsame Kochabende stünden auf dem Programm. Ein Umsonstladen und die Food-Coop „Tante Münze“ seien hier ebenfalls angesiedelt, erzählt der koZe-Sprecher.

Zudem seien eine Bibliothek und ein Barraum eingerichtet worden. „Hier gibt es Konzerte, Infoveranstaltungen, Vorträge und Kneipenabende. Außerdem wird auch viel diskutiert, zum Beispiel über politische Themen.“

Und auch auf den ehemaligen Schulhof samt Bolzplatz und Spielplatz hat sich das Kollektive Zentrum ausgedehnt. Hier gibt es ein Gewächshaus, in dem Tomaten angebaut werden. „Zu uns kommen viele Familien aus dem Stadtteil. Hier kann man einfach chillen oder auch Tischtennis spielen. Außerdem eignet sich der Schulhof für Konzerte“, sagt Stefan.

Für den heutigen Dienstag ist ein Gespräch aller Beteiligter geplant

Das sich in ihren Reihen auch gewaltbereite Linksautonome befinden sollen, verneint Stefan: „Das trifft nicht zu. Wir positionieren uns zwar links, aber mehr auch nicht. Aber das ist typisch, die Stadt streut solche Gerücht, um uns zu kriminalisieren.“

Interessant ist, wer laut LKA zum Unterstützerkreis des koZe gehört: Neben der „Initiative Esso-Häuser“, die „Interventionistische Linke“ (IL), die laut Verfassungsschutz eine extremistische Ausrichtung hat, der „Dachverband autonomer Wohnprojekte“ oder „Turbine Münzviertel“, eine „leistungsbefreite Fußballmannschaft“.

An diesem Dienstag soll es im Bezirksamt Mitte am Klosterwall ein Gespräch mit Vertretern des koZe, der Stadt und der Politik geben. Dabei sollen die koZe-Verantwortlichen wohl zu einem Rückzug aus der Kita bewegt werden. Die Aussage von koZe-Sprecher Stefan im Abendblatt-Gespräch dazu ist allerdings eindeutig: „Wir werden dieses Gebäude weiterhin nutzen und es nicht wegen fadenscheiniger Gründe räumen.“

Das sieht Bezirksamtsleiter Andy Grote (SPD) offensichtlich anders: „Der Bezirk hat eine Zwischennutzung befürwortet. Aber was nicht geht, ist, dass die Fläche eigenmächtig und entgegen dem Mietvertrag ausgeweitet wird.“ Grote stellt klar: „Eine solche rechtswidrige Handlung können wir nicht unterstützen.“