Altona. Der Stadthistoriker Lars Amenda hat den „Altonaer-Bicycle-Club“ von 1869/80 wieder zum Leben erweckt
Hochräder, Einräder, Tandems, Arbeits- und Lastenfahrräder bis hin zu Alltagsrädern wie Holland- oder Rennrädern: Die Geschichte des Fahrrads ist schillernd, doch nicht nur in der Vergangenheit. „Der Drahtesel wird immer beliebter“, sagt Stadthistoriker Lars Amenda, 44. Er hat den Altonaer-Bicycle-Club (ABC) von 1869/80 wieder zum Leben erweckt und will mit Gleichgesinnten am kommenden Wochenende einen großen Event starten: Der ABC und das Stadtteilzentrum „Haus/Drei“ veranstalten an diesem Sonnabend und Sonntag erstmals die „Altonaer Bicycle Days“.
„Alles dreht sich um das Fahrrad; wir wollen die Geschichte darstellen, aber auch ein Forum für Rad-Interessierte bieten“, sagt Amenda, inzwischen Zweiter Vorsitzender des ABC. Von 12 bis 19 Uhr wird eine Ausstellung von historischen Fahrrädern im August-Lütgens-Park und im Stadtteilzentrum Haus Drei in der Hospitalstraße 107 zu sehen sein. Ein Rad-Flohmarkt lockt zum Stöbern, und Kunststücke auf dem Rad und das Radballspiel werden gezeigt. Kinder erwartet ein Parcours mit ausgewählten Rädern und eine Anleitung für das Einradfahren. Auch eine Rad-Ausfahrt ist für den Sonnabend 19 Uhr geplant.
Die Geschichte des Radfahrens begann 1817 mit dem ersten Laufrad des Erfinders Karl Drais. Er nannte sein aus Holz gefertigtes Gefährt „Laufmaschine“, in der Öffentlichkeit hieß es bald „Draisine“. Der Fahrer saß zwischen den Rädern und stieß sich mit den Füßen am Boden ab. Der ABC in Altona war 1869 nach eigenen historischen Angaben der älteste Fahrradclub der Welt, hervorgegangen aus dem und mit dem ursprünglichen Namen „Eimsbütteler Velocipeden-Reit-Club“. Amenda: „Radfahren war damals eine elitäre Sache, die sich nur Wohlhabende leisten konnten. Ein Rad kostete etwa einen Jahresverdienst.“ Überwiegend Kaufleute und Unternehmer waren damals Mitglied. 1870 kam das Hochrad in Mode. „Es war schneller, bis zu 30 km/h konnte man damit fahren, aber es war auch gefährlicher: Es gab viele Stürze“, sagt Amenda. Das Hochradfahren verlangte deutlich mehr Geschick, besonders beim Auf- und Absteigen. Durch den hohen Schwerpunkt – der Sattel befand sich rund 1,50 Meter über dem Boden und nur wenig hinter der Vorderachse – drohte den Fahrern bei Bremsmanövern oder Straßenunebenheiten die Gefahr, sich zu überschlagen.
Von 1881 an hieß der Club offiziell „Altona-Bicycle-Club“, gut zehn Jahre später zählten schon mehr als 100 Männer zum Verein, „Frauen waren noch nicht zugelassen. Man unternahm Ausfahrten, hatte gesellschaftliche Feiern. Es waren Mitglieder aus gehobenen Kreisen“, sagt der Forscher. Im Laufe der Jahre setzte sich die Tretkurbel durch, ebenso der Luftreifen statt des Vollgummireifens und das Fahrradgestell aus Eisen und Stahl – der Technikfortschritt war nicht mehr aufzuhalten.
Erst von 1900 an kamen allmählich Alltagsfahrräder auf, Vorläufer der heutigen Modelle. „Die industrielle Fahrradproduktion begann, und die Preise sanken, auch Normalverdiener konnten sie sich nun leisten“, sagt Amenda. 2001 wurde der ABC aus dem Vereinsregister gelöscht, die letzten Mitglieder waren zu alt bzw. verstorben. Im Jahr 2013 belebte Amenda mit Gleichgesinnten den Verein wieder. Dazu gehört unter anderen Oliver Leibbrand, der seine Magisterarbeit über den Verein schrieb. Ein Professor hatte die Idee zum Neuanfang.
„Die Altonaer Bicycle Days sollen einen offenen und nicht-kommerziellen Charakter haben. Es ist keine Messe“, sagt Amenda. „Besucher können natürlich auch ihre Räder mitbringen und bewundern lassen. Wir wollen die facettenreiche Geschichte, zeitlose Ästhetik und das grenzüberschreitende Potenzial des Fahrrads feiern“, sagt er. 41 Mitglieder zählt der ABC inzwischen wieder. Gemeinsam werden historische Räder restauriert, aber auch Ausfahrten gehören zu den Aktivitäten. Zu den Mitgliedern zählen Bootsbauer, Fahrradhändler, Buchhalter, Fotografen, Grafiker – „uns vereint das Interesse am Fahrrad“, sagt Amenda.
Einige Mitglieder haben Rennräder, auch historische Modelle, etwa aus den 1920-er Jahren, zum Beispiel den Opel-Flitzer, Baujahr 1929; er gehört Nico Thomas. „Ich habe vor fünf Jahren den alten Rahmen des Fahrrads auf dem Dachboden eines Freundes entdeckt und das Rad nach und nach restauriert.“ Er forschte nach der Marke, kam über die Fahrgestellnummer und die Alt-Opel-Interessengemeinschaft in Rüsselsheim weiter. Dann begann die mühsame Suche nach den Original-Teilen und danach, wie es damals aussah.
Die Farbe war orange-schwarz, die Holzimitatfelgen, der Sportlenker, „eine Originalkette für das Rad hatte ich noch liegen, habe ich mal auf einem Flohmarkt gekauft“, sagt der 41-Jährige, der früher Möbel restaurierte und auch schweißen kann. Mehr als ein Dutzend historische Räder besitzt er. „Meine beiden Söhne können auswählen, ob sie mit Mountainbikes oder mit historischen Rädern fahren wollen“, sagt er. Wenn er mit seinem Opel-Flitzer durch die Stadt fährt, schauen ihm die Menschen hinterher. „Es hat eine grandiose Eleganz“, schwärmt er. Eins unterlässt der Enthusiast: Das Rad allein irgendwo stehen zu lassen. Man weiß ja nie“, sagt er. Infos: www..altonaer-bicycle-club.de