Hamburg. Eliane Steinmeyer ist die erste Frau an der Spitze. Was die Hobbypilotin mit den denkmalgeschützten Hallen noch vorhat.
„Vorsicht, hier gilt eigentlich Schritttempo!“, ruft Eliane Steinmeyer. Routiniert weicht die hochgewachsene Chefin des Hamburger Großmarkts einem Gabelstaplerfahrer aus, der rückwärts auf sie zurast. „Das sind alles kleine Schumis“, sagt Steinmeyer lachend, während sie sich weiter durch die Gänge schlängelt. Es ist 6 Uhr früh in den geschwungenen, denkmalgeschützten Hallen unweit der HafenCity. An vielen Marktständen duftet es nach frischen Erdbeeren, an anderen türmen sich meterhoch die Paletten mit Zwiebeln und Kartoffeln. Für die Großhändler, die meist schon seit Mitternacht auf den Beinen sind, geht das Geschäft jetzt in die Endphase. Die meiste Ware ist verkauft, was bis jetzt noch nicht weg ist, wird wohl kaum noch einen Abnehmer finden.
An die ungewöhnlichen Arbeitszeiten hat sich Eliane Steinmeyer, 45, schon vor fünf Jahren gewöhnt. Damals wechselte die studierte Finanzwirtin als stellvertretende Geschäftsführerin zum Großmarkt. „Ich bin eigentlich eine Langschläferin, daher ist mir das frühe Aufstehen anfangs schon ein wenig schwergefallen“, räumt sie ein. „Doch der Körper stellt sich nach einer Weile um.“
Mitte März dieses Jahres hat sie den Chefposten von ihrem Vorgänger Torsten Berens übernommen. Damit ist Steinmeyer verantwortlich für einen der größten Märkte Norddeutschlands. Fast 400 Obst-, Gemüse- und Blumenhändler bieten ihre Waren in den Hallen an. Jährlich werden 1,5 Millionen Tonnen hier umgeschlagen, deren Wert bei etwa zwei Milliarden Euro liegt. Vor allem Wochenmarkthändler, selbstständige Einzelhändler und die Köche großer Restaurants versorgen sich hier mit Salat, Tomaten, Ananas, Kiwis oder auch Eiern.
Eliane Steinmeyer liebt das Gewusel an den Ständen. „Ich versuche immer, ein Ohr für die Händler zu haben. Da ist es ein kleines Lotteriespiel, wie lange ein Rundgang über das Gelände dauert“, sagt sie schmunzelnd. Mal geht es einfach nur um eine kaputte Lampe oder einen blockierten Parkplatz, mal um den Nachfolger für einen Stand.
Die Nachwuchsfrage ist eines der Probleme, das viele Händler umtreibt. „Wegen der ungünstigen Arbeitszeiten ist es schwer, junge Leute zu gewinnen“, sagt etwa Sabine Schlick, die zusammen mit ihrem Mann eines der ältesten Unternehmen, den Obst- und Gemüsegroßhandel Heinz Reimers, betreibt. „Auch viele unserer Kunden, vor allem die Wochenmarkthändler, haben diese Probleme“, sagt sie. Diese bekämen auch die Konkurrenz der Supermarktketten und Discounter zu spüren, die sich nicht über den Großmarkt, sondern über eine eigene Logistik mit frischem Obst und Gemüse versorgen.
„Insgesamt ist die Zahl der Händler auf dem Großmarkt in den vergangenen Jahren leicht unter 400 zurückgegangen, wobei das Handelsvolumen aber unverändert geblieben ist“, sagt Marktchefin Steinmeyer. Vor diesem Hintergrund besteht eine der Aufgaben der Geschäftsführerin darin, sich nach alternativen Nutzungsmöglichkeiten für das zentral gelegene Gelände umzusehen. „Wir wollen die Auslastung in den Hallen langfristig hochhalten“, so Steinmeyer.
Schon unter Steinmeyers Vorgänger Berens hat sich die einst hermetisch abgeschlossene Welt des Großmarkts für Außenstehende geöffnet. Große Events wie die Harley Days finden mittlerweile auf dem Gelände statt, es gibt ein Zusatzstoffmuseum und ein Schülerlabor, in dem Jugendliche Wissenswertes über die Inhaltsstoffe von Obst und Gemüse sowie über Pflanzenchemie erfahren können.
Die einst abgeschlossene Großmarkt-Welt öffnet sich immer mehr
Anfang März ist mit dem Mehr! Theater von Stage Entertainment sogar eine ganze Bühne für Musikshows, Musicalproduktionen und Popkonzerte in eine der Großmarkthallen eingezogen. „In der ersten Zeit bedeutete das für uns einen höheren organisatorischen Aufwand, weil wir sicherstellen mussten, dass sich die externen Besucher sicher auf dem Gelände bewegen können und sich Großmarkt und Theater nicht gegenseitig behindern“, sagt Steinmeyer. „Die Zusammenarbeit funktioniert aber gut, und das Theater wird auch von den Händlern akzeptiert und gern angenommen.“
Für die Zukunft kann sich die Geschäftsführerin daher vorstellen, die Markthallen noch für weitere Aktivitäten zu öffnen. „Derzeit gibt es Ideen für ein Restaurant auf dem Großmarkt“, sagt Steinmeyer. Hiervon könnten sowohl die Theaterbesucher als auch die Großmarktbeschäftigten profitieren. Details oder einen möglichen Eröffnungstermin will sie allerdings nicht verraten.
Für einen Markt für alle Hamburger gibt es Interessenten auf Händlerseite
Ebenfalls in der Überlegung befindet sich ein regelmäßiger Markt für Endverbraucher, in dem alle Hamburger Obst und Gemüse – allerdings nicht zu Großmarktpreisen – einkaufen könnten. Dieses Projekt hatte ebenfalls noch der alte Geschäftsführer Torsten Berens umsetzen wollen, durch die Ansiedlung des neuen Musicaltheaters war es aber erst einmal ins Hintertreffen geraten.
„Frisches Gemüse und regionale Spezialitäten direkt am Großmarkt einzukaufen wäre für viele Hamburger sicher attraktiv“, ist Steinmeyer überzeugt. „Es gibt auch schon Händler, die sich für den Betrieb eines solchen Marktes interessieren.“ Bislang können die Bürger nur einmal im Jahr auf dem Großmarkt shoppen – beim jeweils im September stattfindenden Foodmarket präsentieren Spitzenköche ungewöhnliche Gerichte aus regionalen Zutaten.
Darüber hinaus könnte das Großmarktgelände künftig auch noch für eine ganz andere Aktivität genutzt werden. Laut Steinmeyer will der Wärmeversorger für die östliche HafenCity das dafür notwendige Heizwerk auf dem Großmarktgelände errichten. Hier laufen bereits die Verhandlungen. Trotz der diversen Ideen für neue Veranstaltungen und Zusatznutzungen will die Großmarkt-Geschäftsführerin aber auf keinen Fall, dass sich der Umschlagplatz in eine Art öffentlicher Rummel verwandelt. „Wir werden hier mit Sicherheit keine Eventlocation“, betont sie. „Der Schwerpunkt bleibt der Handel mit Obst, Gemüse und Blumen.“ Wichtig ist es der Geschäftsführerin daher, dass der Hamburger Senat dem Großmarkt eine Standortgarantie bis zum Jahr 2034 eingeräumt hat. „Das gibt den Händlern ein ausreichendes Maß an Investitionssicherheit.“
Dass sie sich in ihrer Karriere mal um den Umschlag von Blumen, Tomaten, Gurken und Kartoffeln kümmern würde, hätte sich Eliane Steinmeyer vor einigen Jahren kaum vorstellen können. Aufgewachsen in Niendorf schaute sie als Jugendliche sehnsuchtsvoll den Fliegern hinterher, die auf dem nahe gelegenen Flughafen Fuhlsbüttel in ferne Länder abhoben. „Die Fliegerei hat mich schon immer fasziniert“, sagt sie. Eine Laufbahn als Berufspilotin kam für sie allerdings nicht infrage, stattdessen erwarb Steinmeyer später eine private Fluglizenz und steuerte kleine Propellermaschinen wie eine Chessna.
Mathematik und Naturwissenschaften waren ihre Welt. Nach der Schulzeit ging Steinmeyer zunächst zum Zoll und absolvierte dort eine Ausbildung und ein Studium zur Diplom-Finanzwirtin. Im Rechenzentrum der Oberfinanzdirektion entwickelte die IT-Spezialistin Software für die Ein- und Ausfuhr von Produkten. „Auf die Dauer fand ich es aber etwas einsam, nur mit dem Computer zu kommunizieren“, sagt Steinmeyer. Daher wechselte sie zum Landesamt für Informationstechnik und war dort für den Einkauf und später für das Kundenmanagement zuständig.
Als dann die Stelle auf dem Großmarkt frei wurde, sah die kommunikationsfreudige Hamburgerin ihre Chance, noch einmal in einen ganz anderen Bereich zu wechseln. „Durch die Arbeit hier habe ich auch ein ganz anderes Verhältnis zu Lebensmitteln bekommen“, sagt die 45-Jährige, die heute mit ihrem Mann, ebenfalls IT-Experte, im Alten Land lebt. „Ich kaufe vor allem frische Produkte auf dem Wochenmarkt ein, weil die einfach besser schmecken.“
Am Wochenende widmet sich die Chefin dem Turniertanz
Der Job als Geschäftsführerin lässt Steinmeyer jetzt allerdings nur noch wenig Zeit für ihre Hobbys. Ihr Pilotenschein ruht, stattdessen konzentriert sie sich am Wochenende ganz auf ihre zweite Leidenschaft, den Turniertanz. Zusammen mit ihrem Mann nimmt sie regelmäßig an Wettbewerben in Norddeutschland teil. „Mein Lieblingstanz ist der Wiener Walzer“, verrät sie. Tänzerische Eleganz und Schnelligkeit können auch auf dem Großmarkt nützlich sein. Auf jeden Fall helfen sie, rasch den vorbeizischenden Gabelstaplern auszuweichen.