Rotherbaum. Claudia Midolo feiert den 20. Geburtstag ihrer Agentur Modelwerk in Rotherbaum mit 40 Mitarbeitern und 1000 Models.
In der Agentur Modelwerk herrscht Katerstimmung. Zu spüren ist das nicht, aber Chefin Claudia Midolo sagt es. Am Abend hat sie mit den Kollegen den 20. Geburtstag ihrer Modelagentur gefeiert. Es wurde spät, Midolo erlaubte allen, an diesem Morgen eine Stunde später anzufangen. Bis auf eine Ausnahme saßen die Mitarbeiter zur gewohnten Zeit am Schreibtisch. Einschließlich Midolo selbst, die so gar nicht verkatert aussieht. Die 42-Jährige ist ordentlich geschminkt, hat ihre langen Haare frisiert und trägt hochhackige Sandalen. Sie wirkt mädchenhaft, fröhlich, duzt Angestellte und Besucher.
Räumlich betrachtet, hat die Agentur in den vergangenen 20 Jahren keine großen Sprünge gemacht. Im Souterrain der Hausnummer 5 an der Rothenbaumchaussee startete Midolo ihr Unternehmen 1995. Heute hat die Agentur ihren Sitz an der Nummer 1. Statt mit 30 arbeiten die 40 Mitarbeiter inzwischen allerdings mit 1000 Models.
Spätestens seit die Geschichte die Runde machte, wie das heutige Topmodel Toni Garrn entdeckt wurde, ist auch Claudia Midolo bekannt: Die Hamburgerin kletterte während eines WM-Fanfests 2006 über Tische und Bierbänke, um der damals noch 13-jährigen Toni ihre Visitenkarte in die Hand zu drücken. Diese Entdeckungsgeschichte ist die bekannteste, aber nicht die einzige von Claudia Midolo.
Während andere Agenturen Absagen schickten, nahm Midolo die Buxtehuderin Antonia Wesseloh in ihre Kartei auf, die inzwischen für Prada, Escada und Chanel gearbeitet hat, 1997 sprach die Agenturchefin den heutigen Film- und Fernsehstar Pheline Roggan an. Mitarbeiter ihrer Agentur entdeckten Esther Heesch und Anne Sophie Monrad, die das Gesicht der aktuellen Chanel-Chance-Parfüm Kampagne ist.
„Ich spreche alle zwei Wochen jemanden an“, sagt Midolo. Bei der 1,81 Meter großen Toni Garrn sei es leicht gewesen: „Ihre Größe, und diese vollen Lippen und die Porzellanhaut“, schwärmt Midolo. Aber am Ende muss es den „Aha-Effekt“ geben, der sie erkennen lässt, dass ein Model – ein „Rohdiamant“ – etwas Besonderes ist.
Die Partnerschaft von Claudia Midolo und Toni Garrn ist Geschichte. 2009 verließ der inzwischen nahezu perfekt geschliffene Diamant, der Midolo und ihrem Unternehmen viele Schlagzeilen und viel Geld beschert hat, die Agentur. „Tonis Mutter hat das Management ihrer Tochter übernommen. Das haben beide gemeinsam so entschieden“, sagt Midolo. Bedauern lässt sie sich nicht anmerken. Midolo hat neue Gesichter gefunden, oft sonnabends in der Innenstadt, wo sie selbst als 17-Jährige von dem Fotografen Hans Wulf an der Mönckebergstraße angesprochen wurde. Danach modelte sie für Otto, Bonprix und Wella.
Für die große Karriere reichte es mit 1,70 Meter nicht. Mit 22 Jahren gründete sie Modelwerk. „Am Anfang habe ich 18, 19 Stunden pro Tag gearbeitet“, sagt Midolo, die früher ihre besten Models selbst mit dem Auto nach Paris und Mailand fuhr. Und wenn sie einen großen Coup gelandet hat, passt sie auf: „Ein gutes Model darf nicht mehr als drei Tage pro Woche arbeiten. Sonst gibt es einen Abnutzungseffekt, auf beiden Seiten.“ Auch Antonia Wesseloh hat die Unternehmerin persönlich begleitet. „Wir haben gemeinsam ihre erste New York-Showsaison durchlebt.“ Claudia Midolo sagt, sie sehe die Charakterbildung der Models als ihren Auftrag. „Sie verdienen in jungen Jahren wahnsinnig viel Geld, aber viele verlernen darüber, auch zu geben.“ Viel Geld verdienen auch die Agenturen, die gewöhnlich 15 bis 20 Prozent Provision erhalten. Midolo empfiehlt den sehr Erfolgreichen, sich für etwas zu engagieren – wie Toni Garrn, die Botschafterin für das Kinderhilfswerk Plan International ist.
In Deutschland hat Modelwerk inzwischen Kunden wie Schwarzkopf, Beiersdorf, H&M und Zara. Für Claudia Midolo und ihr Unternehmen ist es eine gute Zeit. „Deutsche Models sind derzeit sehr im Kommen“, sagt sie. „Sie sind sehr diszipliniert, zuverlässig und empfinden das Modeln als Beruf, in dem sie genauso gut sein wollen wie im Medizinstudium.“
Zuletzt haben die Chefin und ihre Mitarbeiter das Spektrum der Agentur erweitert, um eine „Best Ages“- und eine „Plus Size“-Rubrik. Dass der Begriff Plus Size vielleicht nicht zutreffend sein könnte auf die oft normalgewichtig wirkenden Models, weist Midolo zurück. „Wir sprechen über Kleidergröße 44/46, das ist schon überdurchschnittlich. Die Kriterien sind genauso hart wie bei konventionellen Models. Wer nicht in die entsprechende Größe passt, hat keine Chance.“ Zwischen Kleidergröße 32/34 und 44/46 gibt es auf dem Modelmarkt eigentlich nichts. „Aber in den sehr schlanken Models findet sich die gut situierte Kundin scheinbar wieder.“
Manchmal geht es weniger um die Figur als ums Image. Modelwerk vertritt auch Hana Nitsche, 2007 Dritte bei „Germany’s next Topmodel“. „Bei klassischen Kunden war es schwierig, dass sie Hana als richtiges Model sehen“, sagt Midolo. Die Show habe zwar nichts mit dem wirklichen Leben zu tun. „Sie hilft aber, Verständnis für unsere Branche zu bekommen. In den 90er-Jahren wurde ich noch ständig gefragt, ob unsere Arbeit überhaupt seriös sei.“ Das passiert heute kaum noch.
Manche Models springen ab, manche bekommen Ärger mit dem Freund
Model zu werden, ist für viele junge Mädchen ein normaler Wunsch. Manche springen ab. „Das sind die, die auf schnelleren Erfolg gehofft haben.“ Es habe zweieinhalb Jahre gedauert, bis Toni Garrn ihr erstes großes internationales Shooting gehabt habe. „Die Leute denken immer, die Models sind über Nacht zum Star geworden. Nein, jetzt habt ihr nur zum ersten Mal von ihnen gehört. Man macht ja auch keine Lehre und erwartet, direkt im Anschluss im Vorstand zu sitzen.“
Manchmal macht auch der Freund des Models Ärger – zu viele Termine, zu viele neue Bekannte, zu wenig an Zeit. Midolo winkt ab, und man kann sich in diesem Moment vorstellen, wie sie es schafft, Mädchen zu Profis im harten Geschäft zu machen. „Ich habe mir mein Leben lang nichts von Männern diktieren lassen.“ Das gilt wohl ganz allgemein. Zu ihrer Modelkarriere sagt sie nur: „Als Model muss man ein passiver Typ sein und viel mitmachen. Das entspricht nicht meinem Charakter.“ Das Klischee von der oberflächlichen Branche streitet sie nicht ab. „Wenn mal was passiert, wie der Vulkanausbruch in Island, als keine Flüge starteten, werden alle hysterisch. Ich denke mir dann: Beruhigt euch. Wir operieren hier nicht am offenen Herzen.“