Hamburg/Delingsdorf. Der Landwirt baut die leckeren Früchte nicht nur an, er verkauft sie auch in 170 eigenen Buden. Mitte Mai geht’s los.

Für den Käufer ist es nur ein Pappschälchen voller Erdbeeren. Er nimmt die ersten Erdbeeren als Boten für den nahenden Sommer. Für Enno Glantz liegen in den reifen roten Früchten seine Wurzeln, seine Geschichte. Er ist der Hüter von 3000 Tonnen Erdbeeren, die er in Delingsdorf nahe Ahrensburg auf den Feldern rund um seinem Erdbeerhof Glantz anbaut.

„Die Erdbeere braucht Familienanschluss“, ruft er aus. Erst in der Nacht hatte er die Früchtchen mit Fleece-Decken vor dem Nachtfrost schützen lassen. „Die Erdbeere hat mich noch nie im Stich gelassen, also tue ich das auch nicht.“ Er lacht sein kehliges, entwaffnendes Lachen.

Dabei leuchten seine blassblauen Augen, das sonnengebräunte Gesicht vom jahrzehntelangen Arbeiten im Freien legt sich in Fältchen. Glücksfalten. Glantzfalten. Ja, es sei doch wunderbar, diesen Namen zu tragen, findet der 70-Jährige. Man könne so viele Kreationen daraus machen: „Glantz & Gloria“, sein Restaurant auf dem Hof, „Glantz-Zeiten“, sein Buch über die Familienhistorie, „Glantz-Haus“, der Shop mit den Wohnaccessoires. Enno Erdbeerkönig schätzt das Eingängige. Es darf auch mal einfach sein.

Möglicherweise, weil sein Weg bis zu den 170 Erdbeerhäuschen, die von Mitte Mai an wieder das Stadtbild mitprägen, holprig und uneinsehbar war. Dass er heute ein wahres Erdbeerimperium, flankiert von Spargel-, Himbeer-, Weihnachtsbaum- und Blumenverkauf führt, ist seinem strebenden Naturell zuzuschreiben. Auch – so könnte man interpretieren – dem Willen, allen zu beweisen, dass er und sein Vater es schafften, aus dem Nichts etwas Erfolgreiches hervorzubringen. Denn Ennos Geschichte, sein Weg, beginnt im Alter von acht Monaten mit einer Wanderung. Der Flucht, als die Familie mit fünf Kindern von ihrem Gut in Hohen Wischendorf an der Ostsee vertrieben und enteignet wird. Aus den wohlhabenden mecklenburgischen Landwirten wird über Nacht eine mittellose Familie. „So etwas verkraftet man eigentlich gar nicht“, sagt Enno Glantz. „Wenn ich davon erzähle, werde ich auch immer ganz emotional, denn dieser Umstand ist zu meinem Lebensthema geworden.“

Im Schnelldurchlauf: 1945 Enteignung und Flucht nach Hamburg zu einem Schwager, hier wird der Vater angestellter Verwalter zweier Stadt­güter. 1961 macht sich der Vater in Delingsdorf selbstständig und baut als einer von sieben Pionieren Erdbeeren an. „Als kapitalschwacher Landwirt hat er sich gedacht, dass er eine besondere Idee braucht“, sagt sein Sohn Enno, der 1971 den Betrieb übernimmt. „Ich hatte sofort ein klares Konzept im Kopf, und die Erdbeere hat mich fasziniert.“

Noch mehr fasziniert ihn die Möglichkeit der Direktvermarktung, also ohne zwischengeschalteten Großhändler. Gemeinsam mit Karlheinz Dahl, ebenfalls einem erfolgreichen Erdbeerbauern, kommt er „auf die zündende Idee“: Verkaufsstände, die wie Erdbeeren aussehen, aus denen heraus er im Umkreis von 200 Kilometern tagesfrische Früchte verkauft.

„Das gab es bis dahin noch nicht, dass man direkt vom Busch in die Erdbeere schickte“, sagt Glantz stolz. 1989 war die Anzahl der Glantzschen Erdbeer-Verkaufserdbeerhäuschen auf 40 gewachsen – „eine Glantz-Stunde!“

Weniger glänzend waren die Jahre bis zum Mauerfall, die Aussicht auf das Gut in Mecklenburg-Vorpommern. „Ich sah es 1970 einmal, als ich mit meinen Eltern dort war – ich war überwältigt“, sagt er. Der Rückkauf 1990 sei aller Mühen und politischer Hürdenläufe wert gewesen. Heute pendelt er für drei Tage pro Woche die 99 Kilometer dorthin, wo inzwischen auch Erdbeeren angebaut werden.

Das Handy klingelt. Enno Glantz spricht über Dünger, Handhabungen. „Ich bin fest in polnischer Hand“, sagt er, „sie rufen mich immer an, wenn irgendwo auch nur einen kleine Unsicherheit ist.“ Gut findet er das. Genau richtig. 1600 Pflücker und Verkäufer beschäftigt er in der Hochsaison, davon sind 1000 Arbeitskräfte aus Polen. „Viele kommen schon seit mehr als 20 Jahren zu uns, und wir fahren jedes Jahr an die ukrainische Grenze und führen Bewerbungsgespräche.“

Und sie schulen die vorwiegend weiblichen Pflückerinnen: Eine Erdbeere fachgerecht zu pflücken und die Qualität zu prüfen, sei nicht so einfach, „Unbedingt hinter dem Kelch pflücken.“ In diesem Jahr erwartet Glantz „eine gute Ernte mit guten Erträgen“.

Am zweiten August-Wochenende lädt Glantz zum Hoffest, hier vereint er – neben Ehefrau Lisa – seine Leidenschaften bildlich: Es gibt Erdbeeren in allen Variationen, dazu Spargel und Kuchen.

Beim „Glantz-Erdbeercup“ und der anschließenden Auktion zeigen sich die besten Pferde, ein Genuss für den passionierten Züchter und ehemaligen Reiter. Dann steht Enno, der Erdbeerkönig, auf dem Balkon seines Büros und blickt auf die Hofanlage, den neuen Turnierplatz, das Erdbeerhäuschen nahe der Straße. Er ist dann glücklich. Genießt diese Glantz-Zeiten.