Hamburg. Letzte Tipps für den 30. Hamburger Stadtmarathon am nächsten Sonntagmorgen. Ein paar Gänge zurückzuschalten, kann jetzt nicht schaden.

Es gehört zu den offenbar verbrieften Wahrheiten über den Marathonlauf, dass er praktisch erst ab Kilometer 33 beginnt. Dann, wenn der Körper die Kohlenhydratdepots leer gesogen hat und auf Fettreserven umschalten muss, dann beginnen für den Läufer Pein und Schmerz.

Aber stimmt das überhaupt? Der US-Amerikaner Bill Rodgers, in den 1970er-Jahren viermaliger Sieger des New-York-Marathons, behauptet das Gegenteil: „Nicht die letzten, die ersten Kilometer sind die wichtigsten des Rennens. Wer hier einen Fehler macht, hat keine Chance, sein gesetztes Ziel zu erreichen.“ Dahinter verbirgt sich natürlich die Warnung, nicht zu schnell anzugehen, sich nicht von der Euphorie des Moments zu überhöhter Schrittfrequenz animieren zu lassen, sondern stattdessen die Geschwindigkeit zu drosseln, die Faszination der Langsamkeit zu entdecken. Eine probate Methode: Man suche sich eine Gruppe, deren Tempo etwas unterhalb dessen liegt, was man selbst in dem Moment glaubt, leisten zu können. Dann erst macht das Laufen richtig Spaß. Man hat die Lage schlichtweg im Griff. Herbert Steffny, der Verfasser mehrerer Marathonbücher, drückt es so aus: „Wer nicht lernt, langsam zu laufen, der wird niemals schnell werden.“

Allerdings ließe sich selbst dem sachverständigen Mister Rodgers etwas entgegen halten. Womöglich sind weder die ersten noch die letzten Kilometer eines Marathons entscheidend. Relevanter noch dürfte die Vorbereitung sein, an deren Ende sich zumindest die gewissenhaften unter den 19.100 gemeldeten Teilnehmern des 30. Hamburger Marathons nunmehr befinden. Für die Saumseligen ist die Uhr längst abgelaufen, daran lässt der frühere 5000-Meter-Europameister Thomas Wessinghage keinen Zweifel: „Zwei Wochen vor einem Marathon nützt keine Trainingseinheit mehr.“ Immerhin bietet sich eine Alternative an: sich den Lauf in Ruhe anschauen, den Athleten applaudieren und in der Woche danach mit den eigenen Vorbereitungen für den Haspa-Marathon 2016 beginnen.

All jene, die sich für die 30. Auflage des Laufs durch die von begeisterten Menschen gesäumten Straßen der Hansestadt ausreichend fit gemacht haben, sollten der Empfehlung des „Laufgurus“ Wessinghage folgen: ab sofort ein paar Gänge herunterschalten, beruflich wie privat den einen oder anderen Termin weniger wahrnehmen, sofern das möglich ist. Abhängen auf der Couch ist ausdrücklich erlaubt. „Wen die innere Unruhe dennoch zum Laufen treibt, der sollte es gemächlich angehen lassen. Eine halbe Stunde mit regenerativem Charakter ist okay.” Mehr wäre kontraproduktiv. Besser laut Wessinghage: „Gar nichts tun.“ 5000-Meter-Vizeeuropameister Arne Gabius, 34, mittlerweile von den Mittel- und Langstrecken auf den Marathon umgestiegen und nach Hamburg zurückgekehrt,, weiß, dass manche vor Aufregung die Füße nicht still halten können und empfiehlt: „Nach einer Trainingseinheit Mitte der Marathonwoche sollte man dringend über die Nahrungsaufnahme für Ausgleich sorgen. 60 Prozent Kohlenhydrate sollten enthalten sein – also viel Pasta, Reis, Kartoffeln auf den Teller!“ Und Gabius warnt: „Das Auffüllen der Speicher am Sonnabendabend bei der Pastaparty reicht nicht aus, zumal die Nudeln während des Marathons am Sonntag einigen auch noch schwer im Magen liegen könnten.“ Einen weiteren, nützlichen Tipp gibt der Hamburger Sportmediziner Prof. Klaus-Michael Braumann: „Wenn das Trainingspensum deutlich hinter dem Plan zurückgeblieben ist, sollte man sich darauf einstellen, dass die geplante Endzeit nicht erreicht werden kann.“ Die mentale Grundeinstellung sei wichtig für jeden Marathonlauf.

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Auch das Wetter spielt bei derpersönlichen Zielsetzung eine Rolle

Viele Sportler berichten, dass ihnen ihre persönlichen Bestmarken an Tagen gelangen, an denen sie selbst damit gar nicht gerechnet hatten. Körper wie Psyche lassen sich eben nicht nach Belieben steuern. Wer am nächsten Sonntag gut drauf ist und wer nicht, das lässt sich heute so wenig seriös prophezeien wie das Wetter am Tag der Entscheidung. Dabei ist der meteorologische Aspekt nicht zu vernachlässigen. Vor allem die Kleidung sollte sich daran ausrichten, ob Regen vorhergesagt ist, Kälte oder sommerliche Bedingungen, die es schon einige Male in der Geschichte des Hamburg-Marathons gab, obwohl damit Ende April nicht zwingend zu rechnen ist.

Als Indikator für die persönliche Tagesform taugt der Wetterbericht jedoch nicht allzu viel: „Die individuellen Reaktionen sind unterschiedlich“, sagt Braumann. „Manche blühen auf bei Wärme, für die meisten ist ein abrupter Temperaturanstieg ein Problem.“ Für alle gilt bei Temperaturen, die schon am Start morgens um neun Uhr bei 15 Grad plus liegen: das Trinken nicht vergessen! Ohne ausreichende Flüssigkeitszufuhr beginnt der Organismus zu rebellieren.

Was tun, wenn in den nächsten Tagen Knie oder Waden oder der Rücken Probleme bereiten? Monatelang trainiert und nun absagen? Eine Faustregel gibt es für diese Situation nicht. Zipperlein an Gelenken, Sehnen und Muskeln sind keine Seltenheit. Bevor man sein Heil jedoch in Pillen oder Pülverchen zweifelhafter Herkunft und Wirkung sucht, sollte man, so Professor Braumann, „die Entscheidung, ob man laufen kann, gemeinsam mit seinem Hausarzt oder Orthopäden treffen.“

Abzuraten ist von einem in der Ultra-Langlaufszene gern herumerzählten Wahlspruch: „Wer ins Ziel kommt und nicht blutet, der hat nicht alles gegeben.“ Ein wenig zu martialisch, diese Formel. Ein Marathon ist schließlich kein Feldzug, sondern soll Vergnügen bereiten. Jeder, der diese Aufgabe bewältigt, darf stolz auf sich sein. Blut muss dafür nicht fließen, nur Schweiß.