Hamburg. Die Olympiabewerbung macht das Dilemma Hamburgs deutlich: Ihr Image ist gut, aber das weiß außerhalb Deutschlands kaum jemand.

Es ist jetzt mehr als ein halbes Jahrhundert her. Im Jahr 1962 schrieb Helmut Schmidt, er bekleidete zu dieser Zeit das Amt des Innensenators, unter einem Pseudonym den Satz: „Ich liebe sie mit Wehmut, denn sie schläft, meine Schöne, sie träumt; sie ist eitel mit ihren Tugenden, ohne sie recht zu nutzen; sie genießt den heutigen Tag und scheint den morgigen für selbstverständlich zu halten – sie sonnt sich ein wenig zu selbstgefällig und lässt den lieben Gott einen guten Mann sein.“

Der Satz des späteren Bundeskanzlers ist unzählige Male auf das Bonmot von der „schlafenden Schönen“ reduziert worden. Es verwundert daher wenig, dass diese Worte einem gerade in diesen Tagen einfallen. So kurz nachdem Hamburg zur Bewerberstadt für Olympische Sommerspiele 2024/2028 ernannt wurde, wird manchem in der Hansestadt plötzlich klar, was da in den kommenden Jahren auf uns zukommt.

Am Tag nach der Entscheidung des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB) ist viel davon geschrieben worden, dass der größte Nachteil der Stadt in seiner „viel zu geringen Bekanntheit“ liege und hinzugefügt: „Machen wir, also die Hamburger, uns nichts vor: Berlin, München und Frankfurt heißen die Städte, die Menschen auf dieser Welt als erstes einfallen, wenn sie an Deutschland denken“, hieß es im Leitartikel dieser Zeitung.

Fragen Sie Piloten nach Deutschland, spielt Hamburg natürlich eine Rolle

So richtig dieser Befund sein mag, so kommt es auch darauf an, wen man fragt. Eine japanische Reisegruppe, die in Frankfurt/Main aus dem Flugzeug steigt, wird mit Deutschland eher das Schloss Neuschwanstein verbinden. Amerikaner wiederum träumen davon, auf dem Münchner Oktoberfest in kurzen Lederhosen auf dem Tisch zu tanzen. Fragen Sie aber einen Schiffskapitän oder einen Flugzeugpiloten nach Deutschland, spielt Hamburg ganz selbstverständlich eine Rolle.

„Image ist sicher mehr als Bekanntheit“, sagt Peter Pirck, Gesellschafter der Brandmeyer Markenberatung aus Hamburg. „Ich würde daher eher sagen: Hamburg hat kein schlechtes Image, ist international aber sicher nicht bekannt genug.“ Ähnlich sieht es Andreas Fischer-Appelt, Vorstand der FischerAppelt AG: „Image sind immermehrere Werte, die sich zu einem Gesamtbild formen. Bekanntheit kommt allerdings zuerst!“

Auch die geographische Komponente spielt eine Rolle. Bei einer nationalen Image-Untersuchung aus dem Jahr 2010 habe Hamburg hinter München an zweite Stelle gelegen, sagt Pirck. Bei Menschen aus dem asiatischen und dem amerikanischen Raum wiederum „gehört Hamburg nicht zu ersten Wahl“, ergänzt Dietrich von Albedyll, Vorsitzender der Geschäftsführung der Hamburg Marketing GmbH. Da lägen Städte wie Rom, Paris, London oder Berlin vorn.

Bekanntheit ist nicht Image

Nähert man sich also diesem Thema, müsse man, so sehen es die Experten, die Begriffe „Bekanntheit“ und „Image“ auseinanderhalten. „Das Image einer Stadt zu verändern ist jahrelange Arbeit“, sagt Fischer-Appelt. „Man kann nicht einfach einen Schalter umlegen“, ergänzt Pirck. Es dauere „Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte, das Image zu verändern“.

Der Grund: Das Image einer Stadt wurzelt auch in ihrer Geschichte. „Der Handel führte zum Weltruf der Bürgerrepublik“, sagt Fischer-Appelt. „Matrosen aus allen Ländern verbreiteten diesen genauso wie die Handelsherren in den Kontoren außerhalb der Stadt.“ In Fürstenstädten werde hingegen oft mit Kultur geworben: „Friedrich Schiller oder Johann Wolfgang von Goethe lassen sich auch mit Weimar assoziieren.“

Auch Dresden wiederum lebt von seiner Geschichte – in der sächsischen Hauptstadt ist über 500 Jahre von Staats wegen Kunst gesammelt worden. Dass die Stadt heute mit Kunstschätzen aus verschiedenen Epochen um die Gunst der Touristen werben könne, dafür sei die Grundlage in ihrer Geschichte als Residenz gelegt worden.

Pirck ist davon überzeugt, dass ein Image „nicht nur heiße Luft sein darf, sondern stets unterfüttert sein muss“. Das Image einer Stadt entstehe letzten Endes durch das, was eine Stadt real zu bieten habe und was die Menschen in der Stadt erlebten. „Sie reden mit Freunden darüber, machen ein Foto für Instagram oder schreiben auf Facebook darüber.“

Elbphilharmonie und Olympische Spiele schaffen internationale Bekanntheit

Bei der Bekanntheit einer Stadt ist das etwas anders. „Internationale Bekanntheit kann ich mit einem Bild, das um die Welt geht, rasch schaffen.“ Die für das Jahr 2017 geplante Eröffnung der Elbphilharmonie beispielsweise sei eine „Jahrhundertchance“ für Hamburg. Einzigartige Architektur verbinde sich mit qualitätsvoller Kultur. „Das ist ein Paket, das weltweit für Aufmerksamkeit und Bekanntheit sorgen kann.“

Bislang sei Hamburg in der Welt zwar durchaus bekannt, verfüge aber nicht über so viele bekannte Werte wie andere Städte, so Fischer-Appelt weiter. „Besucher sind mehr gebildete Individualreisende; es ist nicht der Massentourismus.“ Menschen kämen hierher eher auf Geschäftsreise. „Die organisierten Touren gehen eher nach München und Heidelberg.“

In den Jahren 2004 und 2009 hatte die Hamburg Marketing GmbH die Brandmeyer Markenberatung mit einer Markenanalyse beauftragt. Die Experten sollten herausfinden, was Privatpersonen und Unternehmen an der Metropole Hamburg anzieht. „Für die befragten Touristen aus dem Ausland ist Hamburg heute attraktiver als Barcelona, Wien, Kopenhagen und Mailand“, heißt es in der Analyse.

Das deckt sich mit der seit Jahren steigenden Zahl ausländischer Besucher. Rund 1,2 Millionen Gäste aus dem Ausland besuchten nach Angaben der Hamburg Tourismus GmbH im Rahmen einer Städtereise im Jahr 2013 Hamburg. Im europäischen Städtevergleich liegt die Hansestadt damit auf Platz zehn. Allerdings, das räumen die Tourismusexperten ein, gehört Hamburg „im internationalen Wettbewerb (noch) nicht zur ersten Wahl“.

„Man muss Hamburg kennenlernen“

Zu Beginn des Kreuzfahrtbooms seien 90 Prozent der Schiffsgäste in den Bus gestiegen und nach Berlin gefahren, sagt Thorsten Kausch, Geschäftsführer der Hamburg Marketing GmbH. „Heute bleibt der größere Teil in Hamburg.“ Das liegt daran, dass auf Bedürfnisse der Reedereien zugeschnittene Veranstaltungen geboten werden – die Cruise Days zum Beispiel.

Zwar sind Touristen nicht alles, aber ohne sie wäre alles nichts. „Gästegruppen sind ein Türöffner für Investitionsentscheidungen, weil sie das Bild von Hamburg in der Welt positiv beeinflussen“, sagt von Albedyll, und Pirck ergänzt: „Wenn sie nach Hause kommen, von dem Besuch erzählen, sorgen sie für positive Assoziationen.“ Die Voraussetzung sei aber: „Man muss Hamburg kennenlernen.“ Wer einmal vom Flughafen entlang der Alster in die Innenstadt gefahren ist, dem geht die Attraktivität der Stadt erst so richtig auf.

Für das Image und die Bekanntheit einer Stadt sind auch jene Menschen von Bedeutung, die hier einen Arbeitsplatz gefunden haben. „Die Erfahrungen jener, für die der Job in einem international aufgestellten Unternehmen eine Durchgangsstation ist, sind wichtig“, sagt Pirck. „Sie sind oft sehr vernetzt und Meinungsbildner.“

Was nicht ausschließt, dass so mancher Pluspunkt der Hansestadt nicht mit ihr assoziiert wird. Viele Menschen in der Welt kennen Nivea-Creme. Die wenigsten aber dürften etwas mit dem Namen Beiersdorf anfangen und dann noch wissen, dass es ein Hamburger Unternehmen ist. Auch die Tatsache, dass jeder Super-Airbus A380 am Ufer der Elbe in Hamburg-Finkenwerder ausgebaut und flugfertig gemacht wird, wissen die wenigsten.

„Es geht nicht nur darum, bekannt zu sein, es geht auch darum, für etwas bekannt zu sein“, sagt Pirck. Er beschreibt Hamburg als eine „second city“, die sich nicht mit London oder Paris vergleichen sollte, sondern mit Kopenhagen, Wien, Boston, Barcelona oder Stockholm. „Hamburg ist dafür bekannt, dass es eine Großstadt und trotzdem lebenswert ist.“ Menschen verbänden mit ihr die Vorstellung von der Stadt am Wasser mit einer großen Zahl an Grünflächen.

Bewerbung für Hamburg ein Glücksfall

„Das Nebeneinander verschiedener Stadtteile lässt die große Stadt nicht nur kleinteilig wirken, sondern erlaubt den Menschen, verschiedene Lebensentwürfe umzusetzen“, sagt Pirck. Angesichts großer sozialer Probleme in Millionenmetropolen sei auch das ein Wert. „Bei allen Schwierigkeiten: Hamburg zeigt ziemlich gut, dass Menschen aus aller Herren Länder und mit unterschiedlichen Einkommen friedlich zusammen leben können.“

Einig sind die Experten sich darin, dass die Bewerbung um die Sommerspiele für Hamburg ein Glücksfall ist. „Die Olympia-Bewerbung bedeutet wie die Eröffnung der Elbphilharmonie eine ‚Jahrhundertchance’, die Stadt weltweit bekannt und damit das Image von Hamburg zu prägen“, sagt Fischer-Appelt. „Spiele am Wasser und im Herzen der Stadt sind etwas ganz Besonderes – besonders für die Sportler.“

Unstrittig ist, dass das Image von Städten heute eine ungleich größere Rolle spielt und inzwischen zu einem wichtigen ökonomischen Faktor geworden ist. „Die Städte haben im Image-Wettkampf in den vergangenen zehn Jahren mächtig aufgerüstet“, sagt Peter Pirck. Der Experte freut sich mit Blick auf die Spiele vor allem auf die Auseinandersetzung Hamburgs mit Boston. „Die Städte sind sich ähnlich: beides sind keine Hauptstädte, sie sind kompakt und liegen am Wasser. Daher passen sie auch ganz gut in die Zeit.“