Borgfelde. Juristen machen Theater und führen den Kriminalroman „Und dann gab’s keines mehr“ von Agatha Christie auf. Premiere am heutigen Sonnabend

Der eine mimt einen Psychiater mit einer angeknacksten Persönlichkeit. Die andere schlüpft in die Rolle einer frömmelnden älteren Dame, die in tiefen Dekolletés und Alkohol das Unheil wittert. Und einer spielt einen Soldaten mit dunkler Vergangenheit, der sich selbst für einen tollen Hecht hält, von anderen aber als „schäbiger kleiner Abenteurer“ abgekanzelt wird. Alles sehr spezielle Gestalten und darüber hinaus allesamt des Mordes verdächtig – und damit meilenweit entfernt von dem, was die Darsteller dieses Amateurtheaters im richtigen (Berufs-)Leben höchst seriös tun: Jeder der zehn Akteure ist Richter oder Staatsanwalt.

Gestandene Persönlichkeiten also, die es gewohnt sind, dass ihr Wort Gewicht hat und andere ihnen respektvoll, wenn nicht sogar ehrfürchtig lauschen. Doch bei Proben und Aufführungen des Richtertheaters hat eine andere das Sagen: Karen-Ann Roschild, Regisseurin und Schauspielerin, und damit die einzige vom Fach in der Runde. „Ich bin die Dompteuse“, schmunzelt die Frau mit der rotblonden Mähne. „So unterschreibe ich jedenfalls meine E-Mails. Und alle hören auf mich. Das funktioniert gut.“ In dem Ensemble sei gute Stimmung. „Aber manchmal muss ich ein bisschen Druck machen, dass der Text gelernt wird.“

Den haben die Darsteller mittlerweile perfekt drauf, es eilte auch, schließlich ist am heutigen Sonnabend Premiere ihres neues Stücks, des Kriminalromans „Und dann gab’s keines mehr“ von Agatha Christie. „Im Schauspielern liegt ein ganz besonderer Reiz“, findet Claus Loets, Vorsitzender Richter am Landessozialgericht und seit der Gründung des Richter-Theaters vor nunmehr 32 Jahren beim Ensemble. „In andere Rollen zu schlüpfen ist eine schöne Abwechslung zum Beruf. Es sind ganz andere Fähigkeiten gefordert.“ In dem spannenden Krimi mimt der 64-Jährige den etwas instabilen Psychiater.

Die Handlung: Zehn Männer und Frauen erhalten eine Einladung für ein Wochenende auf einer abgeschiedenen Insel, wo der unsichtbare Gastgeber die zehn Personen diverser Kapitalverbrechen beschuldigt: Jeder von ihnen soll schuld am Tod mindestens eines anderen Menschen sein. „Jeder verdächtigt jeden, das Misstrauen und die Gefahr, erwischt zu werden, steigt“, erklärt Richter Loets. Auch seine Frau Marion, bis zu ihrer Pensionierung vor einem Jahr Vizepräsidentin des Landesarbeitsgerichts, gehört von Beginn an zum Ensemble des Richter-Theaters. Ihre Rolle als frömmelnde Dame mit der Passion, lautstark aus der Bibel zu zitieren, spielt sie mit Herzblut. „Ein herausfordernder Charakter ist die Dame, das macht Spaß“, erzählt Marion Loets, die wie alle zehn Darsteller bei den letzten Proben vor der Premiere mit Geduld und viel Engagement immer wieder neu ansetzt und alles gibt, um die Erwartungen von Regisseurin Karen-Ann Roschild zu erfüllen.

So wie auch Volker Bruns, Richter am Oberlandesgericht, sich getreu den Anweisungen der „Dompteuse“ als „Captain Philip Lombard“ herrlich plump an eine Frau heranzumachen versucht. Der Strafrichter verkörpert den zwielichtigen Ex-Soldaten, der einst mehrere Menschen sträflich im Stich gelassen haben soll und heute ziemlich allein mit der Ansicht dasteht, er sei ein unwiderstehlicher Charmeur.

Richter und Staatsanwälte als vermeintliche Kapitalverbrecher – wie passt das zusammen? „Das Stück hat uns allen gefallen. Es hat eine sehr interessante Handlung“, sagt Oberstaatsanwalt Carsten Rinio, der einen der Verdächtigen, einen ehemaligen Kriminalkommissar, verkörpert und seit zwölf Jahren beim Richter-Theater mitspielt. „Jeder kann Stücke vorschlagen, dann wird abgestimmt, und die Entscheidung fällt.“ Mit der Auswahl des Krimis wurde eine Entwicklung des Theaters fortgesetzt, das aus der Friedensbewegung der 80er-Jahre entstanden ist. „Damals waren wir noch viel politischer“, sagt Rinio. „Diese Wurzeln haben wir hinter uns gelassen. Aber Boulevard-Komödien würden wir nicht spielen. Da hätten wir keinen Spaß dran.“ Ein gewisser Anspruch muss sein, eine Ernsthaftigkeit – da sind sich alle einig. Schauspielerei und Justiz: So passen die beiden Welten wunderbar zusammen.

„Und dann gab’s keines mehr“, Hamburger Sprechwerk, Klaus-Groth-Straße 23, Borgfelde, Aufführungen am 21. und 28. März, jeweils 20 Uhr, und am 22. und 29. März, jeweils 19 Uhr. Karten: 15 Euro, ermäßigt 10 Euro. Infos unter www.richtertheater.de