Hamburg. Hamburg oder Berlin? Am Montag wird die Entscheidung verkündet, welche Stadt für Deutschland ins Rennen geht. Ein lokalpatriotisches Plädoyer.

Welche Partei würde den zweitbesten Politiker ins Rennen schicken? Welcher Regisseur seine Zweitbesetzung auf die Bühne? Und welcher Trainer seinen zweiten Sturm aufs Eis? Es ist bei der Kandidatenkür der Bewerberstadt wie überall im Leben: Wer Olympia nach Deutschland holen möchte, sollte den besten Kandidaten ins Rennen schicken. Viele gute Gründe mögen für Olympische Spiele in Berlin sprechen. Doch ein gewichtiges Argument spricht dagegen: Hamburg.

Was überheblich klingen mag, fußt auf einer nüchternen Frage: Welche Stadt hätte international mehr Chancen auf den Zuschlag? Und wessen Bewerbung ist überhaupt realistisch? Hört man sich um unter Experten, in der Bundespolitik, beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) oder auch im Internationalen Olympischen Komitee, bekommt man hinter vorgehaltener Hand immer wieder eine Antwort: Sie lautet Hamburg. Die Bewerbung der Hansestadt wird für aussichtsreicher gehalten als die Bewerbung der Hauptstadt.

Olympische Spiele in Hamburg wären ein Bekenntnis zur Reform des IOC

Denn das Hamburger Konzept erfindet nicht nur die Spiele neu, sondern ist auch die Blaupause im Sinne der Reform des Internationalen Olympischen Komitees (IOC). Das IOC will sich reformieren. Und Hamburg wäre das Bekenntnis zu kompakten Spielen wider die Gigantomanie, zu nachhaltigen Spielen wider die olympische Zerstörung, zu demokratischen Spielen wider den Diktatorenzirkus. Hamburg 2024 (oder 2028) wäre die konsequente Umsetzung der Reformagenda 2020 des IOC, das Modell für neue Spiele. Zudem ist es die erste Bewerbung der Hamburger auf internationaler Bühne – unverbraucht und ohne eine Historie der Peinlichkeiten. Hamburg mag überschaubar sein, das stimmt: Aber es hat die optimale Größe: Es wird die Spiele als 1,7-Millionen-Metropole locker stemmen können, die Sportler werden aber nicht in einem Moloch untergehen. Ganz im Gegenteil verspricht Hamburg Spiele am Wasser und weckt den Zauber der Olympischen Sommerspiele von Barcelona, Sydney oder London wieder zum Leben. Wann immer altgediente Olympioniken ins Schwärmen geraten, es sind diese drei Spiele am Wasser, die aus der langen Geschichte herausragen.

In Hamburg sind die Sportler der Welt reif für die Insel – für die Elbinsel Grasbrook. Die großen Brücken zum Olympischen Dorf wären Brückenschläge in die vielfältigen Stadtteile im Norden, Süden und Osten. Die Ufer der Elbe würden die größte Strandparty aller Zeiten sehen. Und die ohnehin großen Hotelkapazitäten würden um Kreuzfahrtschiffe erweitert, die in der Stadt festmachen. 20.000 Olympia-Räder machen die Menschen mobil, das olympische Dorf bleibt autofrei, auch hier wird wie überall in Hamburg ein Drittel der Wohnungen Sozialwohnungen. Das Konzept ist nicht für Olympische Spiele gemacht, sondern bündelt alle Ideen zur Stadtentwicklung in der olympischen Idee. Die Kosten für Olympia sind in Wahrheit umetikettierte und beschleunigte Investitionen in Zukunft. Was sonst Jahrzehnte dauerte, der Sport würde es in Rekordzeit stemmen.

Noch sind es nur bunte Animationen, die aber die Seele der Spiele auf den Leib der Stadt schneidern. Die Olympia zum Leben erwecken, die Lust auf Zukunft machen. Mitten in der Elbe liegt der Kleine Grasbrook. Es ist ein Platz mit Geschichte: Hier wurde der Legende nach 1401 der Pirat Klaus Störtebeker geköpft. Der Legende besagt, dass der Freibeuter zuvor ausgehandelt hatte, dass all jene Männer überleben durften, an denen er nach seiner Enthauptung noch vorbeizugehen vermochte. Als der Geköpfte am elften Kameraden vorbei war, warf ihm der Henker den Richtblock vor die Füße.

Und es ist ein Platz mit Zukunft. Bis in die Innenstadt sind es vom Grasbrook nur wenige Hundert Meter, doch bislang ist er Teil des Hafens. Mit dem Umzug der Betriebe und Umschlagsflächen bekommt Hamburg im Herzen der Stadt eine große Entwicklungsfläche: Olympische Spiele wären nicht verstreut in der Millionenmetropole, sondern in einem echten Olympischen Dorf zu Hause – und das auf einer Insel. Die meisten Wettkampfstätten wären fußläufig oder mit dem Fahrrad erreichbar. Auch die wenigen weiter entfernten Austragungsorte wären vom olympischen Zentrum aus in einer Reisezeit von unter 30 Minuten und Fahrstrecken von unter 20 Kilometern zu erreichen.

Die Stadt ein Stadion: Triathleten schwimmen durch die Alster, Ruderer skullen über die Dove-Elbe, die Fünfkämpfer wetteifern im Stadtpark, Tennisstars schlagen am Rothenbaum auf, die Hockey-Mannschaften messen sich am Millerntor. Selbst der Rathausmarkt wird zum Freiluft-Stadion. Und die wenigen neu zu errichtenden Arenen werden von vornherein für ihre Nachnutzung als Schwimmbad oder Kreuzfahrtterminal konzipiert.

Hamburg ist eine Sportstadt. Es stimmt zwar, dass die Berliner in den vergangenen Jahren häufiger Gastgeber großer Wettkämpfe waren. Teil der Wahrheit ist aber auch, dass dafür üppige Subventionen flossen, die die Hamburger nicht zu zahlen bereit waren. Offiziell mag es niemand sagen, die Berliner würden wahrscheinlich ohnehin nicht zuhören – weil sie ständig krakeelen, wie hip, toll, modern, motzig, schrill oder weltgewandt sie sind. Das unterscheidet sie von den Hamburgern, die schon auf die Frage, wie sie ihre Haare geschnitten haben möchten, antworten: „Schweigend.“

Deutschland ist mehr als Berlin – deshalb gehören deutsche Spiele an die Elbe

Deutsche Spiele mit Hamburger Understatement, hanseatischer Solidität und wirtschaftlicher Weltläufigkeit, sie wären die perfekte Visitenkarte eines modernen und offenen Deutschlands. Berlin ist die Hauptstadt. Doch Deutschland ist viel mehr als Berlin. Eine Bewerbung Hamburgs stärkt den föderalen Charakter, sie passt besser zur Bundesrepublik.

Und Hamburg will die Spiele. Natürlich mosern auch an Alster und Elbe ein paar Gegner, es nölen notorische Nörgler. Sie fürchten Baulärm oder Staus, prophezeien hohe Kosten und berechnen die Zunahme des CO2-Ausstoß. Aber sie sind in der Minderheit. Nach der jüngsten DOSB-Umfrage plädieren 64 Prozent der Hamburger für Spiele in der Stadt, in Berlin sind es eben nur 55 Prozent. Das klingt nach einer Mehrheit, die in Volksbefragungen aber schnell dahin sein kann: In München sprachen sich 2013 im entscheidenden Referendum 52 Prozent gegen Winterspiele aus; in den Umfragen zuvor gab es eine breite Mehrheit für ein Wintermärchen. Es ist wie so oft bei Plebisziten: Die Befürworter überlassen die Stimmabgabe den Gegnern. Eine neuerliche Niederlage wäre das Ende der Olympischen Idee in Deutschland. Hamburg hingegen ein echter Neustart.

Es gehört zum Lebensgefühl in der skandinavischsten Stadt Deutschlands, dass man etwas Zeit benötigt, um mit einer Idee warm zu werden. Hamburger fangen etwas später Feuer, doch ist der Funke übergesprungen, sind sie mit Feuer und Flamme dabei. Große Plakataktionen, Lichterketten an der Binnenalster, ein Stadion-Neubau im Kleinformat, Diskussionen und Konferenzen haben die Menschen mitgerissen, Mäzene haben vieles finanziert. Wissenschaftler rechnen vor, was die Spiele der Stadt brächten: Tausende neue Arbeitsplätze, milliardenschwere Aufträge für Betriebe in und um Hamburg, ein enormer Wissenstransfer an Elbe und Alster.

Die Stadt profitiert seit Jahrhunderten von einem besonderen Zusammengehörigkeitsgefühl, vom Stolz einer Bürgerstadt und vom Ehrgeiz, die Dinge perfekt zu machen. Hamburg, das schrieb einmal der große Dichter Wolfgang Borchert, ist unheimlich viel mehr als nur ein Haufen Steine ... Das ist unser Wille zu sein: Hamburg!“

Die Hansestadt ist bereit für die Spiele. Sollte sie unterliegen, werden die Hamburger als faire Sportler sich für Berlin einsetzen. Noch lieber aber würden sie für Deutschland siegen. Das Feuer für Olympia, es brennt in Hamburg.