Altstadt.
Besucher des Kundenzentrums Hamburg-Mitte benötigten am Donnerstagmorgen ein gutes Stehvermögen. Bis zur Eingangstür reichte die Schlange am Kundenschalter, nur ausgesprochen langsam ging es voran. Ein Zustand, der den nach Schätzungen der Polizei rund 350 Demonstranten vor dem Gebäude des Bezirksamts am Klosterwall gefallen haben dürfte.
Denn es waren die Mitarbeiter der Bezirksämter sowie des Landesbetriebs Verkehr (LBV), die sich zum Warnstreik versammelt hatten. Mit dem üblichen Outfit – Streikwesten und Fahnen der Gewerkschaft Ver.di, der Gewerkschaft der Polizei und der Fachgewerkschaft für Beschäftigte im Kommunal- und Landesdienst (komba) – verfolgten sie die Reden der Funktionäre. „Wir lassen nicht zu, dass die Gewerkschaften gegeneinander ausgespielt werden“, sagt Sieglinde Frieß, Ver.di-Fachbereichsleiterin für Bund, Länder und Gemeinden, die sich für die Solidarität der anderen Gewerkschaften bedankte. Bereits um 7 Uhr hatten sich die Mitarbeiter des LBV am Ausschlägerweg versammelt, um anschließend gemeinsam zum Bezirksamt Mitte zu gehen, wo die Bezirksamtsmitarbeiter dazustießen.
„Wir sind es wert“ lautete das Motto von Ver.di. Und weil zu einem Warnstreik auch Sprüche gehören, riefen die Mitarbeiter dem nicht anwesenden Bürgermeister zu: „Olaf rück die Kohle raus, sonst streiken wir bis Nikolaus.“
In den Verhandlungen geht es um einen neuen Tarifvertrag für rund 650.000 Beschäftigte in 15 Bundesländern (Hessen ist nicht dabei). Die Gewerkschaften fordern eine Erhöhung der Gehälter um 5,5 Prozent, mindestens aber 175 Euro monatlich. Die Tariflaufzeit soll zwölf Monate betragen.
Sachsen-Anhalts Finanzminister Jens Bullerjahn (SPD) hatte als Verhandlungsführer der Länder die Forderungen scharf zurückgewiesen: „Die Länder mühen sich seit Jahren, ihre Haushalte in den Griff zu bekommen. Die lineare Anhebung der Gehälter im öffentlichen Dienst um 5,5 Prozent würde für die 15 Mitgliedsländer Mehrkosten von 2,1 Milliarden Euro bedeuten – allein für die Tarifbeschäftigten.“ Würde der Abschluss auch auf die Beamten übertragen, erhöhten sich die Mehrkosten auf insgesamt mehr als 6,5 Milliarden Euro erhöhen, so Bullerjahn.
In Hamburg sind von den rund 75.000 Mitarbeitern der Stadt etwa 30.000 Beschäftigte von den Verhandlungen direkt betroffen – indirekt aber auch die 45.000 Beamten, denn Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) hatte ihnen schon 2011 garantiert, dass der Tarifabschluss der Angestellten stets für sie übernommen wird. Angesichts von Personalausgaben von 4,3 Milliarden Euro pro Jahr würde ein Plus von 5,5 Prozent der Stadt Mehrausgaben von etwa 200 Millionen Euro bescheren. Das wäre deutlich mehr als die 1,5-prozentige Personalkostensteigerung, die der SPD-Senat bereits in der Haushaltsplanung für 2015/2016 berücksichtigt hat.
Laut Ver.di seien 4000 Arbeitsplätze seit 2005 abgebaut worden
„Die Stellenstreichungen bei den Behörden und sozialen Einrichtungen müssen beendet werden“, sagte Andreas Scheibner von Ver.di bei der Kundgebung am Klosterwall. 4000 Arbeitsplätze seien in den vergangenen zehn Jahren in Hamburg gestrichen worden. Scheibner: „Gute Arbeit soll auch gerecht bezahlt werden.“ Ähnlich sieht das Mareike Röglin, 26, die seit sieben Jahren in der Kfz-Zulassungsstelle Langenhorn arbeitet. „Die Lebenserhaltungskosten werden immer höher, daher muss auch das Gehalt dementsprechend angepasst werden.“
Eine Mitarbeiterin des Bezirksamtes Nord macht sich vor allem Sorgen um ihre Zukunft: „Die geplanten Kürzungen der Zusatzrente sind für mich nicht hinnehmbar.“ Bereits seit 22 Jahren arbeitet sie im öffentlichen Dienst, die Situation hat sich ihr zufolge in den vergangenen Jahren konstant verschlechtert. „Der letzte Tarifabschluss beinhaltete eine Gehaltserhöhung um 2,9 Prozent, das fängt lediglich die Inflationsrate auf“, meint sie. Bei ihren Kollegen, die sich nicht am Streik beteiligen, sorgt die Arbeitsniederlegung jedoch nicht ausschließlich für Begeisterung. „Die Reaktionen auf den Streik sind geteilt. Die eine Hälfte unterstützt die Forderungen der Gewerkschaft, auch wenn nicht aktiv am Streik teilgenommen wird. Die andere Hälfte hat dafür eher weniger Verständnis, die ist genervt vom erhöhten Arbeitsaufwand“, berichtet sie.
Was die Auswirkungen des Streiks betrifft, waren die Einschätzungen von Gewerkschaften und Stadt – natürlich – sehr unterschiedlich. Ver.di zufolge wurde die Zulassungsstelle Hamburg-Mitte zeitweilig ganz lahmgelegt. Nach Angaben der Pressesprecherin des Bezirksamts Hamburg-Mitte, Sorina Weiland, führte der Streik dagegen zu „keinen größeren Einschränkungen“, zumindest in den Kundenzentren. „Für die fehlenden Angestellten sind ausreichend Beamte eingesprungen und haben die Arbeit übernommen. Einzig im Kundenzentrum St. Pauli agierte nur der Notdienst.“
Allerdings: Im Bezirksamt Mitte war am Donnerstag der telefonische Service ganztägig nicht erreichbar. „Die verbliebenden Kollegen haben sich auf die Kunden vor Ort konzentriert“, erklärt Weiland. Die lange Schlange am Schalter sei nicht auf den Streik zurückzuführen. „Das Kundenzentrum ist sehr zentral gelegen, daher ist hier der Andrang immer groß. Besonders morgens kann es schon mal vorkommen, dass Besucher ohne Termin etwas länger warten müssen“, so Weiland.
Die Kundgebung dauerte rund eine Stunde, gegen 10 Uhr war sie vorbei. „Ihr könnt jetzt machen, was ihr wollt. Nur eins dürft ihr nicht: arbeiten!“ Mit diesem letzten Appell sorgte Frieß noch einmal für ordentlich Stimmung unter den Anwesenden. Für sie war der Warnstreik ein „richtig großer Erfolg.“ An die 700 Kolleginnen und Kollegen hätten sich dran beteiligt, 200 mehr als erwartet. Doch dies sei erst der Anfang. „Am 16. März wird der Streik gemeinsam mit den Betroffenen aus allen Bereichen fortgesetzt.“ An diesem Tag startet die dritte Tarifverhandlungsrunde in Potsdam. „Wir hoffen, dass wir dann ungefähr fünfmal so viele Leute mobilisieren können.“
Gegen Mittag war zumindest für Aussenstehende nicht mehr viel vom Streik zu bemerken. „Ich musste nur zehn Minuten auf einen Mitarbeiter warten“, sagt Student Daniel F. aus St. Georg. „Ich habe gar nicht gewusst, dass hier heute gestreikt wird.“