Hamburg. Was würde Olympia für Hamburgs Kultur bedeuten? Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard und Kunsthallen-Direktor Hubertus Gaßner im Gespräch.

Hamburg strebt die Bewerbung für die Olympischen Sommerspiele 2024 an. Zu einer solchen Veranstaltung gehört traditionell ein umfangreiches Kulturprogramm. Wie könnte dieses aussehen? Welche kulturpolitischen Voraussetzungen müssten erfüllt sein? Und wie stehen Hamburgs Kulturschaffende überhaupt zu einer Bewerbung? Ein Gespräch mit Kunsthallen-Direktor Hubertus Gaßner und Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard.

Hamburger Abendblatt: In der Kulturszene ist Hamburgs Olympia-Bewerbung durchaus umstritten. Wie sehen Sie das?

Amelie Deuflhard: Olympia ist immer eine große Chance für die austragende Stadt, aber es gibt natürlich auch Gefahren. Da ich Optimistin bin, denke ich, dass man zunächst auf die Chancen setzen kann. In jedem Fall müsste konzeptionell verankert werden, dass Kultur eine wichtige Rolle spielt. Ich finde, Barcelona ist ein Beispiel für einen nachhaltig positiven Olympia-Effekt. Da ist nicht nur städtebaulich viel geschehen, sondern die Stadt auch zu einer echten Kulturstadt geworden. Auch in London war die Kultur explizit Teil des Gesamtkonzeptes.

Hubertus Gaßner: Ich bin bedingungslos für Olympische Spiele in Hamburg, wenn es wirtschaftlich machbar ist. Im Moment kann man nur dafür oder dagegen sein. Wenn man jetzt unentschieden bleibt, wird es nichts. Aber es gibt natürlich ernst zu nehmende Bedenken. Ich habe München 1972 erlebt, für die Stadt hatten die Spiele ausgesprochen positive Effekte. München war vorher ein Dorf, durch die Olympiade ist es in den 70er- und 80ger-Jahren die heimliche Hauptstadt Deutschlands geworden. Sie hat sich dank dieses Impulses zu einer modernen Stadt entwickelt, sowohl was die Wirtschaft als auch die Kultur angeht.

Worauf hoffen Sie konkret?

Gaßner: Mein großer Wunsch ist, dass die jetzt schon vorhandene Kunstmeile Hamburg bis zur HafenCity zu einer attraktiven Flaniermeile ausgebaut wird. Da sehe ich eine riesige Chance für Hamburg. Diese Kunstmeile würde dann ja zum Olympiagelände auf dem Kleinen Grasbrook führen. Für diese städtebauliche Maßnahme rund um unsere Kunstmuseen und Ausstellunghäuser und für das Kulturprogramm könnte die Olympiade der große Beschleuniger sein, auch weil dann Bundesgelder fließen, die sonst ja nicht kommen – und hoffentlich auch für die Kultur eingesetzt werden.

Was würden Sie mit dem Geld konkret anfangen?

Gaßner: In Hamburg gibt es die Tendenz, zu machen, was man schon immer macht und nur einen neuen Namen draufzusetzen. Das müsste sich natürlich ändern. Es sollte eine Leistungsschau der hiesigen Häuser sein. Meine Befürchtung wäre nur, dass das Olympia-Geld für das Kulturprogramm weitgehend in Sondermaßnahmen auf der freien Wiese fließt und man dafür bei unseren bereits existierenden Kulturhäusern spart, um dann eine Großveranstaltung an anderem Ort zu machen.

Sollte es, wie etwa bei der Expo 2000, einen Art Intendanten geben, der das Kulturprogramm kuratiert?

Deuflhard: Auf jeden Fall braucht es eine sehr kleine Gruppe von Leuten oder eine IntendantIn, die sich um das Kulturprogramm kümmern. Damit es eine nachhaltige Wirkung hat, müsste es in enger Abstimmung mit den wichtigen Häusern der Stadt gestaltet werden. Auch mit Protagonisten aus der freien Szene, etwa aus der Galerie-, Theater- und Tanzszene. Wichtig ist, dass die Kunstprogramme der Stadt deutlich gestärkt werden, um Hamburg als Kulturstadt international zu kommunizieren. Das hat in London sehr gut funktioniert, war aber nicht günstig. Dort wurden 126 Millionen Pfund binnen vier Jahren in die Kunst gepumpt.

Eine erstaunliche Summe. Aber mit weit weniger Geld ließen sich große Projekte realisieren. Was schwebt Ihnen vor?

Deuflhard: Ich fände es interessant, Verbindungslinien zwischen City und Hafen zu bespielen. Dafür könnte man lokale, aber auch internationale Großprojekte mit interessanten Künstlern verschiedener Sparten initiieren, die sonst nicht möglich wären und die neben den sportinteressierten BesuchernSgleichzeitig das Kunstpublikum aus aller Welt anreisen ließen. Denn ein Ziel wäre für mich, Hamburg als visionäre Kulturstadt international sichtbar werden zu lassen.

Gaßner: Ich könnte mir eine große Schau mit deutschen Künstlern von Baselitz, Polke und Richter bis heute vorstellen. Damit würde verstärkt ein jugendliches Publikum angezogen werden, denn das möchte etwas Modernes und Spektakuläres sehen.

Müsste man nicht auch ein Publikum ansprechen, das sich sonst für Hochkultur nicht unbedingt interessiert?

Gaßner: Ganz sicher: Für mich bieten Olympische Spiele die Chance, U und E zusammenzubringen. Man könnte sehr bedeutende Künstler einladen, die dann etwas Spartenübergreifendes zum Beispiel mit dem Theater oder Musikern zusammen machen. Da müssten wir dann einmal etwas lockerer sein.

Deuflhard: Oder man bringt eine populäre Band mit einer Choreografin oder einem Bildenden Künstler zusammen. Es sollte nicht nur darum gehen, das größte Feuerwerk zu zünden, sondern darum, interessante künstlerische Projekte anzuschieben, die State of the Art sind und ein großes Publikum anziehen. Für diese Wochen sollten unterschiedlichste Orte bespielt werden, könnte die Stadt zur Bühne werden.

Gaßner: Oder einen vorhandenen Ort einmal anders nutzen. Ich könnte mir vorstellen, in der Kunsthalle Platz zu schaffen für eine ganz andere Art von Kunst. Auf jeden Fall müssten lebende Künstler beteiligt bzw. zu erleben sein.

Denken Sie auch über völlig andere Formate nach?

Deuflhard: Wenn es soweit ist, gerne. Das Zusammenführen von Popkultur und ernster Kultur gehört auf Kampnagel ja zum Programm, aber Olympia böte einen ganz anderen Resonanzboden. Wir sollten darüber nachdenken, ob in den darstellenden Künsten nicht auch seriöse Veranstaltungen denkbar sind mit 10.000 oder gar 50.000 Menschen.

Wird Ihnen bei solchen Zahlen nicht schwarz vor Augen?

Deuflhard: Natürlich. Mir wurde damals schon schwarz vor Augen, als ich vor Amtsantritt alle fünf zu bespielenden Hallen auf Kampnagel gesehen habe mit knapp 2000 Plätzen.

Gaßner: Ich kann mir schon ein großes Kunstprojekt vorstellen, das von der Binnen- und Außenalster bis zum Kleinen Grasbrook reicht und das dann im Stadtbild als eine hochattraktive Meile der Kunst wahrgenommen wird.

Braucht Kultur, um neben dem Sport auch wahrgenommen zu werden, eine zentrale Botschaft?

Gaßner: Wenn wir 2024 noch in der gleichen politischen und gesellschaftlichen Situation sein sollten wie heute, könnte die zentrale Botschaft heißen: Kunst beginnt dort, wo die Gewalt endet. Es müsste darum gehen, Kultur als globale, kritische antifundamentalistische Kraft darzustellen. Kultur als etwas Verbindendes, das über allen Glaubenskämpfen und Religionen steht. Das wäre zwar niederschwellig und darf auch nicht kitschig werden, ist aber im Moment das, was Kultur - wie der Sport - leisten muss. Und die Chance besteht auch, weil Kunst, Musik oder Tanz Sprachbarrieren überwinden können.

Wären Sie sich gern persönlich dabei?

Deuflhard: Es ist natürlich eine extrem reizvolle Aufgabe, über ein Kunstkonzept nachzudenken. Besonders spannend finde ich es, die Trennungen der Institutionen zu überwinden und ein gemeinsames Projekt zu entwickeln. Aber selbst wenn Hamburg den Zuschlag bekäme, wissen wir ja im Moment noch gar nicht, wie der Fokus aussehen wird. Geht es mehr in Richtung Architektur und Stadtentwicklung, oder soll die Kunst – was ich für eine nachhaltige Wirkung für sehr wichtig halte - einen großen Stellenwert bekommen?

Gaßner: Ich bin dann längst nicht mehr im Amt, würde mich aber dennoch gern für die Kunst in einem solchen Kontext einsetzen. Ich bin der Meinung, dass die Stadt gute Argumente hat, zumal viele Areale von vornherein auf Nachhaltigkeit und Nachnutzung angelegt sind.