Bundestagsabgeordneter Rüdiger Kruse und Ex-Bürgerschaftsabgeordneter Roland Heintze konkurrieren um Vorsitz. Wie sie die CDU aus der Krise führen wollen.

Einen Vorteil hat der Job: Schlechter kann es kaum noch werden. Wer jetzt die Führung der Hamburger CDU übernimmt, wird vermutlich irgendwann für sich in Anspruch nehmen können, die Partei nach den 15,9 Prozent bei der Bürgerschaftswahl zumindest ein wenig bergauf geführt zu haben. Ein Traumjob ist der Landesvorsitz trotzdem nicht. Die Partei liegt inhaltlich wie personell am Boden – und auch um die Finanzen steht es nicht gut. Und doch gibt es zwei Hamburger, die die Nachfolge des glücklosen Marcus Weinberg übernehmen wollen: der bisherige Bürgerschaftsabgeordnete Roland Heintze und der Bundestagsabgeordnete Rüdiger Kruse. Beide aus Niendorf und langjährige politische Weggefährten.

Hamburger Abendblatt: Herr Heintze, Herr Kruse, wann haben Sie zum ersten Mal bei sich gedacht: Parteichef – das kann ich, das will ich, und ich weiß auch, wie man das macht?

Rüdiger Kruse: Bei mir ist die Idee nach der Rücktrittsankündigung von Marcus Weinberg entstanden. Ausschlaggebend waren zwei Punkte. Zum einen hatten wir eine Situation, in der die Leute nicht gerade Schlange standen für diese Position. Ich habe auch mit einigen gesprochen, von denen ich mir das gut hätte vorstellen können, die aber nicht wollten. Und dann gab es den Landesparteitag, den ich trotz unserer Niederlage und bei aller Selbstkritik als so konstruktiv wahrgenommen habe, dass ich mich entschieden habe zu kandidieren.

Roland Heintze: Ich habe viele Gespräche darüber geführt, was die Ursachen für unsere Niederlage waren und was besser laufen muss. Hinzu kam, dass ich aufgrund unseres schlechten Ergebnisses nicht wieder in die Bürgerschaft einziehe, und deswegen über die nötige Zeit verfüge. Ich habe mich dann am Wochenende nach dem Parteitag entschieden, als Rüdiger seine Kandidatur in der Presse angekündigt hatte.

Was hat die CDU falsch gemacht, dass sie ein derart desaströses Ergebnis bekommen hat?

Kruse: In einer Situation, in der eine Regierung sich selbst so zerschossen hat, dass sie abgewählt wird, wären wir gut aufgestellt gewesen. Denn alle haben unserem Spitzenkandidat Dietrich Wersich attestiert, dass er Bürgermeister kann. So eine Situation hatten wir aber nicht. Und deswegen hätte die CDU der SPD-Alleinregierung eine Gesamtidee für die Stadt entgegensetzen müssen, die zieht. Die Wähler hätten dann sehen können: Hier gibt es das Modell ‘Verwalten‘ nach Olaf Scholz. Und die CDU setzt dem ein attraktives Modell, eine Idee entgegen. Das haben wir aber nicht gemacht. Ein Fehler.

Heintze: Uns ist vor allem die inhaltliche Identität abhanden gekommen. Wir haben uns sehr detailliert über Dinge Gedanken gemacht, mit denen wir in der Stadt dennoch nicht verbunden werden. Zugleich haben wir für das bürgerliche Lager wesentliche Themen nicht ausreichend stark besetzt, etwa Innere Sicherheit und Wirtschaft. Und dann gab es eine für uns insgesamt ungünstige Gemengelage: Auf der einen Seite hat Scholz mit den Grünen gedroht, um die absolute Mehrheit zu retten. Auf der anderen Seite stand die AfD mit populistischen Parolen. Hinzu kam eine wiedererstarkende FDP, dazwischen sind wir untergegangen.

Ihre Plakate waren, vorsichtig gesagt, eher bieder und altmodisch.

Heintze: Über die Kampagne entscheidet vor allem der Kandidat. Das ist auch richtig so. Und natürlich kann man mit einer Kampagne richtig oder falsch liegen. Diese hat nicht gezündet, das muss man klar sagen. Aber ich glaube nicht, dass es allein Plakate und Slogans sind, die zu 15,9 Prozent führen.

Was muss der neue Hamburger CDU-Chef als erstes tun?

Kruse: Ich bin der Meinung, wir sollten uns nicht wieder in Debatten über eine Parteireform begeben. Nur intern Gespräche zu führen, wird nicht ausreichen. Das interessiert die Hamburger nicht. Wir müssen ein Konzept entwickeln, eine Idee, ein Leitbild, wie wir uns Hamburg 2020 vorstellen. Wie Hamburg erfolgreich sein will, wie wir auf soziale Probleme eingehen, wie wir Wirtschaft und endlich auch die Hochschulen stärken. Über eine solche Arbeit an einem Konzept, die ja auch Spaß macht, werden wir die Partei wieder in Schwung bringen. Die CDU muss ein gutes Angebot machen. Wir haben das im vergangenen Jahrzehnt mit dem Konzept „Metropole Hamburg – wachsende Stadt“ gemacht und so die absolute Mehrheit bekommen.

Braucht die CDU ein neues Leitbild für Hamburg, Herr Heintze?

Heintze: Ich glaube, wir brauchen zu allererst einmal eine klare Profilierung, damit die CDU wieder bei der eigenen bürgerlichen Wählerklientel verankert wird. Das ist sie derzeit nämlich nicht mehr richtig. Der neue Landesvorsitzende wird daher erst einmal viele Gespräche in der Partei führen müssen. Danach wird er Klinken putzen müssen, um dort, wo wir für uns wichtigen Kontakt verloren haben, zum Beispiel in der Wirtschaft, wieder präsenter zu sein. Das können wir gemeinsam hinbekommen, denn wir haben viele gute Leute, die bereit sind, sich einzubringen. Wenn wir diese Präsenz in der Stadt zurückerobert haben, dann sollten im nächsten Schritt eine Allianz für den Standort Hamburg ins Leben rufen.

Was soll das sein?

Heintze: Vieles von dem, was jetzt bei Rot-Grün herauskommt, wird zum Nachteil für Hamburg sein. Das gilt sicher für die Verkehrspolitik, die Wirtschafts- und Haushaltspolitik sowie die Innere Sicherheit. Hier ist es unsere Aufgabe, alle diejenigen zusammenzubringen, denen das Wohlergehen der Stadt am Herzen liegt, um sich dafür einzusetzen. Da geht es konkret um Olympia, die Weiterentwicklung des Hafens, ein neues Leitbild und vieles mehr.

Sie sind politische Weggefährten, beide aus dem Kreis Eimsbüttel, beide aus Niendorf. Was unterscheidet Sie?

Kruse: Roland kommt aus der Abteilung Kommunikation und Attacke. Das hat er auch in der Bürgerschaft gezeigt. Ich denke eher in längeren Linien. Mir ist es wichtig, sehr gute Leute in die Parteiführung zu holen, weil ich weiß, dass man nicht alles allein machen kann. Ich bin mit 16 in die CDU eingetreten und habe mit 40 zum ersten Mal für ein Mandat kandidiert. Die meiste Zeit über habe ich also Parteiarbeit gemacht. Und dabei auch in strittigen Situationen als Kreisvorsitzender dafür gesorgt, dass schließlich alle gemeinsam gute Arbeit für die Partei geleistet haben. Ich stehe für ein gutes Miteinander, bei dem aber auch die Parteiflügel mit ihren Positionen eigenständig bestehen bleiben. Das will ich auch im Landesverband erreichen.

Heintze: Wir haben unterschiedliche Stärken. Rüdiger ist für uns in der Bundespolitik eminent wichtig. Er macht das sehr erfolgreich. Das muss auch so bleiben. Deswegen trete ich auch für eine Arbeitsteilung ein. Wir haben mit André Trepoll einen neuen Fraktionsvorsitzenden in der Bürgerschaft. Wir haben mit Rüdiger Kruse einen guten Chef der Landesgruppe in Berlin. Und wir sollten einen anderen politischen und vor allem kommunikationsstarken Kopf als Landesvorsitzenden haben. Ich glaube, dass ich das Zeug und die Zeit dafür mitbringe. Ich habe bereits große Verbände geführt und bin derzeit noch Vorsitzender des Bürgervereins Niendorf, Lokstedt, Schnelsen, Hoheluft. Dort gab es überall Strukturfragen, die wir im Vorstand immer gut gemanagt haben. Dazu gehört es auch, viele Gespräche zu führen. Das habe ich ja auch als Kandidat bei der Europawahl getan.

Man hört gelegentlich: Der Kruse ist kaum in Hamburg. Und als Bundestagsabgeordneter und Geschäftsführer der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald hat er genug zu tun.

Kruse: Das kann man alles gut unter einen Hut kriegen. Seit 1948 hatten sechs von neun Landesvorsitzenden gleichzeitig ein Bundestagsmandat. Außerdem gibt es nur 22 Sitzungswochen im Jahr, in denen man nicht aus der Welt ist. Sie können doch heute fast alles über moderne Kommunikationswege machen. Und Sie sind im Zug innerhalb von zwei Stunden wieder hier. Da ist es auch kein Unterschied, ob man wie Roland mal beruflich durch die Welt fliegt oder mit dem Zug nach Berlin pendelt. Im Übrigen ist die Vernetzung eines Bundestagsabgeordneten in die Wirtschaft und in andere Bereiche ein großer Vorteil, der der CDU Hamburg zugute kommen wird. Außerdem kann ich mir vorstellen, dass wir in Hamburg neben dem Vorsitzenden die Position eines Generalsekretärs einführen, der für die Abteilung Attacke zuständig ist.

Ein bezahlter Vollzeitjob?

Kruse: Kein Vollzeitjob, aber ein bezahltes Amt, vergleichbar vom Aufwand mit dem eines stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden. Das ist eine organisatorische Veränderung, die ich dem Landesverband vorschlagen werde. Auch im Sinne einer Professionalisierung der Parteiarbeit.

Gewagt, jetzt einen neuen bezahlten Posten zu schaffen angesichts der schwierigen Finanzlage der CDU. Ist das finanziell leistbar?

Kruse: Wir werden uns die gesamte Struktur anschauen und ich denke, es ist wichtig, so eine Position zu schaffen. Wir werden ja auch wieder zu mehr Einnahmen kommen.

Herr Heintze, Sie sind als Geschäftsführer einer PR-Agentur auch stark eingebunden. Kann man die CDU nebenbei retten?

Heintze: Die Agentur ist gut aufgestellt. Ich hatte auch als Bürgerschaftsabgeordneter die nötigen Freiheiten und habe den Vorteil, dass mein Arbeitsplatz in Hamburg ist. Zugleich sichert der Job mir meine politische Unabhängigkeit. Wie wir die Parteistruktur künftig gestalten, das muss man sich genau ansehen. Unser Ziel muss es jetzt sein, so schnell kampagnenfähig zu werden, dass wir bereits 2017 einen richtig guten Bundestagswahlkampf hinlegen. Dazu sollten wir jetzt Köpfe finden und herausstellen, die in der Partei stärker Aufgaben übernehmen können, damit wir viel mehr als bisher in die Gesellschaft hineinwirken. Das macht die SPD gut, die ist präsent im vorpolitischen Raum...

... also zum Beispiel in Vereinen.

Heintze: Genau. Wir sind zwar in den Bürgervereinen präsent, aber sonst nicht ganz so stark wie die SPD. Wir brauchen ein starkes Team, das in unterschiedlichen Arbeitsbereichen in die Stadt hineinwirkt. Wenn wir uns dazu noch einen Generalsekretär leisten können, wäre das ein weiterer Schritt zu mehr Kampagnenfähigkeit. Und die ist mein Ziel.

Wie wär’s denn mit Team-Building im Kleinen: Sie beide arbeiten zusammen. Einer als Parteichef, der andere als Generalsekretär. Man hört, dass sich das manche wünschen.

Kruse: (lacht) Ich würde gerne mit einem Generalsekretär Roland Heintze zusammenarbeiten.

Heintze: Ich hätte auch überhaupt kein Problem mit einem Generalsekretär Rüdiger Kruse. Attacke kann Rüdiger auch. Das weiß ich aus der gemeinsamen Parteiarbeit.

Mal ab vom Organisatorischen: Inhaltlich springen Unterschiede zwischen Ihnen nicht gerade ins Auge.

Kruse: Also für mich ist das Thema Nachhaltigkeit ganz zentral – in jeder Hinsicht, vor allem in dem Bereichen Ökonomie, Ökologie, Soziales und Kultur. Das ist für mich ein klarer Kompass, der es mir immer ermöglicht, in Einzelfällen klare Entscheidungen zu treffen. Das ist es, was ich auch der Partei empfehle: einen klaren Kompass zu entwickeln. Der macht uns erkennbar und er zeigt uns schließlich, was eigentlich christdemokratisch ist. So kann man auch bei neuen Problemen immer wissen, mit welchem Ansatz wird die Union da ran gehen. Nachhaltigkeit ist das, wonach ich mich politisch ausrichte – nicht nach einem Links-Rechts-Raster.

Heintze: Für mich sind es das christliche Menschenbild und die Eigenverantwortung des Menschen. Das führt auch zu dem Schluss, dass der Staat nicht alles lösen kann, sondern dass wir die Fähigkeiten jedes Einzelnen aktivieren müssen. Das sind die Eckpunkte meines politischen Grundverständnisses. In politischen Einzelfragen werden Sie Rüdiger Kruse und mich sehr nah beieinander sehen – egal, ob es um die Schuldenbremse oder andere Fragen geht. Wir sind beide keine Freunde der allzu populistischen Töne.

Olaf Scholz hat 2011 auch von handwerklichen Schwächen der CDU profitiert – und sich als guter Regierungs-Handwerker präsentiert. Sehen Sie Schwächen, Lücken bei der SPD, in die man hineinstoßen könnte?

Heintze: Olaf Scholz ist kein guter Handwerker. Er ist ein Handwerker. Wir haben an vielen Stellen nachgewiesen, dass im SPD-Senat nicht gut gearbeitet wurde. Das gilt für den Haushalt, für den Umgang mit den Hochschulen, den überteuerten Kauf der Energienetze, den unnötigen Zukauf von Hapag-Lloyd-Anteilen. Und was ihm völlig fehlt, ist die Fähigkeit auf Menschen zuzugehen und sie zu gewinnen und zu binden. Das muss Politik aber wieder leisten, wenn ich mir die Nichtwähler-Zahlen ansehe. Seine nächste Schwäche wird die rot-grüne Koalition.

Kruse: Wir hatten im vergangenen Jahrzehnt schwierige Rahmenbedingungen. Durch die rot-grüne Unternehmenssteuerreform auf Bundesebene und durch die Finanzkrise waren die Spielräume eng, wir haben Hamburg trotzdem nach vorn gebracht. Olaf Scholz hat jetzt optimale Rahmenbedingungen, und das einzige was man sagen kann, ist: Es läuft ganz passabel. Mehr nicht.

Wie sieht es für die CDU mit der Machtoption aus? Würden Sie wieder mit den Grünen koalieren?

Kruse: Alle demokratischen Parteien müssen theoretisch koalitionsfähig miteinander sein und bleiben.

Inklusive AfD?

Kruse: Ich rede weder über die AfD noch über die Linke. Wir müssen unser Konzept für die Stadt haben, und dann müssen wir sehen, wer das mit uns umsetzen möchte.

Heintze: Wir müssen die CDU erst einmal wieder dahin bringen, dass mit ihr über so etwas geredet wird. Und dann gilt, dass wir unsere Themen durchsetzen müssen: Wirtschaft, Handel, Infrastruktur – und dabei muss die Stadt lebenswert bleiben.

Wie gehen Sie mit der AfD in der Bürgerschaft um? In der Fraktion sitzt ein Ökonomie-Professor und mit Dirk Nockemann ein ehemaliger Innensenator ihrer eigenen Schill-FDP-Koalition. Muss man sich da überhaupt scharf abgrenzen?

Kruse: Die sind da. Das nehmen wir zur Kenntnis. Aber das bedeutet nicht, dass wir mit denen gemeinsame Anträge stellen müssen. Sie können immer sagen: Der und der ist ganz vernünftig. Aber dann finden Sie da auch Leute und Positionen, mit denen eine Zusammenarbeit absolut nicht infrage kommt.

Heintze: Wir werden der AfD nicht hinterher rennen.

Ist der Wettstreit um den Landesvorsitz auch einer um die Bundestagskandidatur 2017?

Heintze: Nein. Ich kandidiere nicht für den Bundestag. Ich bin in vergangenen Jahren für das Europaparlament angetreten. Das würde ich 2019 gerne wieder tun. Aber die Entscheidung ist weit weg.

Kruse: Ich würde 2017 gerne wieder für den Bundestag kandidieren – habe aber keine Ambitionen, für Europa anzutreten.

Zum Schluss noch ein Satz zum gescheiterten Spitzenkandidaten Dietrich Wersich. Ist die Partei nach der Wahl schlecht mit ihm umgegangen?

Kruse: Ich finde, die Fraktion hat jetzt eine gute Lösung gefunden. Er kann gut als Vizepräsident der Bürgerschaft für die CDU wirken. Wir alle wollen, dass Dietrich Wersich für uns weitermacht, denn er ist einer unserer besten Köpfe. Trotz des Wahlergebnisses war es richtig von der Fraktion zu sagen: Wir schätzen und wir würdigen den Menschen und den Politiker Dietrich Wersich.

Heintze: Ich finde die Entscheidung der Fraktion gut, denn Dietrich Wersich hat für uns alle einen engagiertenen Wahlkampf gemacht. Noch besser ist es, dass das in der Fraktion so einvernehmlich gelaufen ist.

Ole von Beust hat drei Anläufe gebraucht. Könnte es für Dietrich Wersich 2020 noch eine zweite Chance als Kandidat gegeben?

Kruse: Es ist klug von der Fraktion gewesen, ihn auf eine Position zu setzen, aus der heraus alles möglich ist.

Heintze: Natürlich ist es viel zu früh, über eine Kandidatur 2020 zu reden. Aber wir sind gut beraten, alle guten Leute im Rennen zu halten. Und dazu gehört auch Dietrich Wersich.