Die Wirtschaft und viele bürgerliche Hanseaten sorgen sich vor einer rot-grünen Koalition. Doch in allen strittigen Punkten bieten sich Chancen.

Wenn man vom Untergang der CDU absieht, waren die Grünen die größte Überraschung des Wahlkampfs. Nicht, weil sie etwas besonders Kluges getan oder sonderlich gut abgeschnitten hätten. Nein, weil es Olaf Scholz möglich war, der halben Stadt mit ihnen Angst zu machen. Er drohte Wirtschaft, Bürgerlichen und liberalen Hanseaten mit Rot-Grün – in der Hoffnung, so die absolute Mehrheit zu retten. Das ist ihm knapp misslungen. Fürchten muss sich trotzdem niemand, auch die Wirtschaft nicht.

Streitpunkte

Es gibt kaum unüberbrückbare Streitpunkte zwischen SPD und Grünen – deutliche Unterschiede aber schon. Die Grünen etwa sind gegen die Elbvertiefung, die SPD dafür. In der Praxis entscheidet darüber aber jetzt sowieso das Bundesverwaltungsgericht.

Sollte es die Fahrrinnenanpassung genehmigen, werden die Grünen sie nicht mehr aufhalten. Die Grünen sind für eine Stadtbahn, die SPD dagegen. Mögliche Lösung: Die Bürger werden befragt. Dazu müssten Referenden eingeführt werden. Die Grünen fordern einen humaneren Umgang mit Flüchtlingen – im Fall der Lampedusa-Flüchtlinge setzte die SPD auf strikte Rechtsstaatlichkeit nach dem Motto: kein Bleiberecht ohne ordentliches Verfahren. Beide Seiten sind jedoch pragmatisch genug für Kompromisslösungen – wenngleich das Thema auch in der ersten rot-grünen Koalition 1997 bis 2001 immer wieder für Streit sorgte.

Die Gesichter der neuen Bürgerschaft

Ähnlich dürfte es in der Innenpolitik laufen: Die Grünen sind gegen Gefahrengebiete, wie die Polizei sie Anfang 2014 etwa in der Schanze festlegte. Auch beim Umwelt- und Klimaschutz müssen Kompromisse her. Scholz wird eine übermäßige Beeinträchtigung etwa der Industrie, aber auch des Wohnungsbaus durch zu hohe Ökostandards zwar verhindern. Spannend wird es angesichts des EU-Verfahrens wegen der zu hohen Luftbelastung in Hamburg aber in puncto Verkehr. City-Maut oder Umweltzone sind als Senatspolitik zwar denkbar, aber eher unwahrscheinlich. Einigen wird man sich dagegen wohl relativ problemlos auf eine deutliche Stärkung des Radverkehrs – schließlich ist es mittlerweile unstreitig, dass Hamburg hier Nachholbedarf hat.

Erfahrung

Die Grünen hatten vielleicht lange den hehrsten Anspruch aller Parteien. Die Welt sollte nach ihrem Willen und ihrer Vorstellung umgeformt und die Menschen am besten alle radfahrende Veganer werden. Mit diesen Allmachtsfantasien sind die Grünen aber schon häufiger gescheitert. Im Großen bei der Bundestagswahl 2013. Und auch im Bündnis mit der CDU in Hamburg hatten sie 2008 große Ziele – und haben kaum Konkretes umsetzen können. Kraftwerk Moorburg verhindern? Pustekuchen! Primarschule einführen? Denkste! Stadtbahn bauen? Nicht einen Meter! Aus diesen Erfahrungen scheinen die Grünen klug geworden zu sein.

Sie gehen heute pragmatischer an die Politik heran – nach dem Motto: Lieber einen Kilometer neuer Radweg als drei Luftschlösser. Dieser Pragmatismus ähnelt der Art, in der auch Olaf Scholz regiert. Der Lernprozess der Grünen dürfte dazu führen, dass es ihnen in den kommenden Jahren eher um kleinere, aber sichtbare Veränderungen geht als um große Symbolpolitik. Das wäre eine Herangehensweise, die die Zusammenarbeit mit der SPD einfacher machen, den Hamburgern nützen und auch den Grünen selbst Erfolge bescheren könnte.

Personen

So hart die Grünen als Opposition in den vergangenen Jahren mit Bürgermeister Olaf Scholz und seiner SPD ins Gericht gegangen sind – menschlich kommt man gut miteinander aus. Grünen-Chefin Katharina Fegebank duzt sich mit Olaf Scholz, auch der bisherige Fraktionschef Jens Kerstan kann gut mit dem Bürgermeister. Einzig zwischen Scholz und dem dritten potenziellen Grünen-Senator Till Steffen scheint es keine übermäßigen Sympathien zu geben. Scholz hält Steffen wohl für einen klassischen Vertreter des altklugen grünen Bürgersohns, der keine Ahnung von Industrie, Hafen, Wohnungsbau und dem Leben eines Arbeiters hat.

So jedenfalls lassen sich manche seiner Äußerungen deuten. Umso besser ist das Verhältnis zwischen SPD-Fraktionschef Andreas Dressel und Steffen – beide haben schon in der Opposition gegen die CDU zusammengearbeitet. Dressel gilt mit seiner verbindlichen und freundlichen Art ohnedies als Garant einer guten Zusammenarbeit mit anderen Parteien. Selbst in Zeiten der absoluten Mehrheit hat er immer wieder Bündnisse mit anderen Fraktionen in Sachfragen geschmiedet. Menschlich dürfte Rot-Grün also mindestens sehr ordentlich funktionieren.

Politikstil

Auch wenn man der SPD attestieren muss, seit 2011 ordentlich regiert zu haben: Die Sozialdemokraten neigen in Hamburg schnell zur Parteibuchwirtschaft. Auch diesmal wurden nach dem Wahlsieg Führungskräfte mit falschem Parteibuch entsorgt und durch treue Genossen ersetzt – etwa bei den Bezirksamtsleitern. Natürlich gibt es nach vier Jahren keinen echten Filz wie nach 44 Jahren, in denen die SPD die „Stadt als Beute“ behandelt hatte, wie es ein Buchtitel 2001 formulierte.

Gleichwohl tendieren Parteien, die lange allein regieren, zu Arroganz und Selbstgefälligkeit. Ein Koalitionspartner kann nicht nur als Filzbremse wirken. Das Ringen um die besten Lösungen kann auch innerhalb einer Regierung die Kreativität befördern, zumal die Grünen eine offenere Sprache und weniger Basta-Attitüden pflegen. Die besten Ideen kommen nicht zustande, wenn alle einer Meinung sind und der König allein entscheidet – sondern, wenn es auch mal Reibereien gibt. Dennoch muss man auch dieser Regierung von Beginn an auf die Finger schauen. Das wird auch passieren. Dafür gibt es nicht nur eine kritische Öffentlichkeit – sondern in der Bürgerschaft auch weiterhin vier Oppositionsfraktionen.

Machtkonstellation

In der Großen Koalition in Berlin merkt man der SPD nicht immer an, dass sie der schwächere Partner ist. In Hamburg dagegen will Olaf Scholz keinen Zweifel aufkommen lassen, dass er und seine SPD die Herren im Haus sein werden, das Rot und Grün gemeinsam errichten. Das hat er am Tag nach der Wahl deutlich gemacht. Tatsächlich fehlen der SPD mit ihren 58 Abgeordneten nur drei Mandate zur absoluten Mehrheit. Die Fraktion ist fast viermal größer als die der Grünen mit 15 Abgeordneten.

Hinzu kommt, dass Scholz zwar zugesagt hat, mit den Grünen regieren zu wollen. Sollten diese aber aus seiner Sicht unerfüllbare Forderungen stellen, hätte er die Möglichkeit, die Koalitionsverhandlungen platzen zu lassen und sich der FDP oder der geschwächten CDU zuzuwenden. Wahrscheinlich ist das nicht, denn einer der zentralen Scholz-Grundsätze ist die Verlässlichkeit. Als Drohkulisse aber dürfte diese Konstellation dazu führen, dass die Grünen sich nicht überheben. Nach dem Motto „Leben und leben lassen“ wird Scholz den Grünen gleichwohl zugestehen, dass auch ihre Handschrift im Koalitionsvertrag erkennbar sein wird.

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