40.000 Passagiere vom Arbeitskampf betroffen. Polizei sperrt wegen Überfüllung das Gebäude. Das hat es zuvor noch nie gegeben. Ver.di: „Streik ist erfolgreich“
Langsam hebt der ältere Herr seinen Klappstuhl, setzt ihn wenige Meter vor und lässt sich wieder in den Stuhl fallen. Er zieht seinen Rucksack nach. Das Ziel ist für ihn noch lange nicht in Sicht. Das Ziel sind die Kontrollstellen der Sicherheitschecks des Hamburger Flughafens. Vor dem Glaskasten zwischen den beiden Terminals, wo Passagiere und Gepäck durchleuchtet werden, hat sich zu beiden Seiten eine mehrere Hundert Meter lange Schlange gebildet.
Von insgesamt 24 Kontrollstellen haben anfangs nur drei, später fünf geöffnet. 32 von 166 Mitarbeitern des Sicherheitspersonals sind zur Frühschicht angetreten. Je später es wird, desto weniger Mitarbeiter finden sich zur Arbeit ein. Nach dem Schichtwechsel am Nachmittag sind nur noch drei von 140 erschienen. Um 13 Uhr sind zwei Stellen geöffnet, um 16 Uhr noch eine, ab 21 Uhr wird kein Passagier mehr abgefertigt.
Normalerweise sind sechs bis zwölf Schleusen nachmittags offen. 1000 Passagiere stehen am späten Nachmittag an den Kontrollstellen. Hundert können pro Stunde aber nur noch abgefertigt werden. Denn heute hat Ver.di zum Warnstreik aufgerufen.
Doch wer für den Streik verantwortlich ist, interessiert die Fluggäste nicht besonders. Ihre wichtigste Frage lautet: „Schaffe ich es noch rechtzeitig zu meinem Flugzeug?“ Der Flughafen hat etwa 40 Bürokräfte in leuchtenden Warnwesten in die Terminals geschickt, um die Fluggäste zu informieren. Auf Englisch fragt ein türkischer Fluggast einen dieser Mitarbeiter: „Wo ist das Gate?“ Der Flughafenbeschäftigte lächelt müde und zeigt auf die sich mehrmals um einige Ecken windende Schlange: „Hier müssen Sie sich anstellen.“ Der Fluggast verdreht seine Augen: „Mein Flug geht schon in einer Stunde.“ Doch der Mitarbeiter kann nichts beschleunigen, nur beruhigen. Viele Fluglinien würden den Abflug schon so weit verzögern, wie es der eng getaktete Flugplan zuließe. Doch das hilft bei Wartezeiten von teilweise über vier Stunden auch nicht allen Passagieren. Insgesamt trifft der Streik 40.000 Flugreisende. Von 400 geplanten Flügen am Montag, dem reisestärksten Tag der Woche, wurden 160 gestrichen. Viele Abflüge hatten Verspätung.
Vormittags ist die Situation für die Fluggäste noch bedrückender. Als mehr als 5000 Menschen an den Schaltern warten, schließt der Flughafen mithilfe der Polizei für zwei Stunden seine Türen. Das erste Mal in seiner 103-jährigen Geschichte. Draußen vor den mit rotem Band versperrten Eingängen warten resignierte und verzweifelte Touristen, in den Terminals 1 und 2 drängen sich die Menschen dicht an dicht in den endlos scheinenden Schlangen. Zu groß ist das Gedränge, als dass Polizei und Airport weiter die Sicherheit der Passagiere gewährleisten können. Die Bundespolizei macht schon auf den Bahnsteigen der S-Bahn-Linie 1 Durchsagen, dass sich eine Anreise zum Flughafen nicht lohnt.
Diese Situation wollte der Flughafen eigentlich vermeiden. Torben Tost und zwei weitere Mitarbeiter kümmern sich darum, die Passagiere noch zu Hause via Facebook, Twitter und WhatsApp zu informieren. „Wir informieren die Leute über unsere Social-Media-Kanäle über die aktuelle Streiklage am Flughafen, damit sie gar nicht erst anreisen müssen, wenn ihr Flug ausfällt“, sagt der Referent für Öffentlichkeitsarbeit. Wer direkt alle Informationen auf sein Handy bekommen möchte, kann den Airport beim SMS-ähnlichen Kurznachrichtendienst WhatsApp hinzufügen. 1000 Interessierte hatten sich in den letzten Tagen für den Dienst eingetragen. „Wir kommen mit den Leuten in einen direkten Dialog und können ihnen hilfreiche Tipps geben“, sagt der 32-jährige Tost. Jede der Nachrichten tippen die Mitarbeiter über das Handy ein, dann werden sie gleichzeitig an die Handynutzer verteilt. Auch über die Webseite informieren Tost und seine Kollegen die Fluggäste. Viele wüssten nicht, dass auf der Homepage alle Ab- und Anflüge in Echtzeit angezeigt werden. Dass in der Hektik auch einmal etwas untergehen kann, bemerken mittags einige Internetuser. Auf der Airport-Webseite ist von einer Wartezeit von zehn Minuten die Rede. Vier Stunden weniger als in der Realität.
Der ältere Herr ist in einer Stunde 100 Meter weit mit seinem Stuhl vorangekommen. Wütend sei er nicht, nur müde. So geht es den vielen Hunderten Passagieren in der Warteschlange. Sie sind müde vom langen Stehen, dicht an dicht, kein Ende und kein Anfang in Sicht. Da ist der Flughafenmitarbeiter, der kostenlos Getränke und einen Snack verteilt, die spannendste Abwechslung. Drei Passagiere halten die Strapazen nicht aus und werden mit Kreislaufproblemen von DRK-Mitarbeitern ins Krankenhaus gebracht. Insgesamt etwa 20 Menschen müssen am Streiktag ärztlich behandelt werden.
Etwas entspannter sieht die Lage in den beiden Terminals aus. Hier fangen zwar die beiden Schlangen zu den Kontrollstellen an, doch sonst sind die Terminals weitestgehend leer. An einigen Ecken stehen Feldbetten für die Nacht bereit, ein paar Gäste können aber auch schon um 15 Uhr ihre Augen nicht mehr offen halten und liegen halb über ihr Gepäck gestreckt. „Ich sitze hier schon seit acht Uhr morgens, erst hatte mein Flugzeug Verspätung, dann wurde ich umgebucht, schließlich viel das neue aus. Ich habe kein richtiges Verständnis für den Streik. Warum können die Beteiligten nicht im Vorfeld ordentlich verhandeln, sondern müssen ihren Streit immer auf den Rücken der Gäste austragen?“, sagt Tom Berg, 34. Er will nach Wien fliegen, hat hier keinen Übernachtungsplatz. Er ist nicht alleine, die meisten der erst am Nachmittag am Flughafen Eintreffenden müssen wieder nach Hause fahren, auf eigene Kosten im Hotel oder im Flughafen übernachten. Abends baut der Flughafen 100 Feldbetten für Passagiere auf.
Für Ver.di ist es ein erfolgreicher Streik. Ver.di-Vertreter Peter Bremme sprach von einem „notwendigen Paukenschlag und einer grandiosen Streikbeteiligung“. Er erwartet bei der Tarifrunde am Mittwoch eine Bewegung der Arbeitgeber. Am Dienstag soll der Flugverkehr normal funktionieren.
Bereits am 23. Januar streikte das Sicherheitspersonal am Hamburger Flughafen. 20.000 abfliegende Passagiere waren an diesem Tag vom Streik betroffen. Von 53 Flügen wurden jedoch nur vier gestrichen. 2014 war der Aiport stärker von Arbeitsniederlegungen betroffen: 729 Verbindungen wurden gestrichen. Grund waren Streiks bei Lufthansa, Germanwings und Air France. Ein Jahr zuvor legte das Sicherheitspersonal insgesamt vier Tage die Arbeit nieder. Pro Streiktag entsteht dem Hamburg Airport ein Verlust von mehreren Hunderttausend Euro.
Nach vier Stunden ist der ältere Herr endlich an der Sicherheitskontrolle angekommen. Nach wenigen Sekunden ist er durch den Check. Eine Viertelstunde später geht er wieder erschöpft durchs Terminal: „Mein Flug ist ohne mich gestartet.“