Ein neuer 55-minütiger Film erzählt die bewegte Geschichte des Stadtteils Niendorf. Eigentlich sollte er nicht so lang werden. Der Verein Forum Kollau sucht alte Fotos auch aus Lokstedt und Schnelsen.
Niendorf. „Der heutige Tag ist das Resultat des gestrigen. Was dieser gewollt hat, müssen wir erforschen, wenn wir zu wissen wünschen, was jener will.“ Als Heinrich Heine diese Zeilen niederschrieb, hat er sicher nicht an jene Bürger gedacht, die gut 160 Jahre später im Nordwesten Hamburgs das Forum Kollau gründen sollten.
Und doch sehen die Gründungsmitglieder der Geschichtswerkstatt sich ganz in der Tradition des Heineschen Satzes. „Wir wollen Stadtteilgeschichte bewahren, erforschen und vermitteln“, sagt Ingelor Schmidt, Beisitzerin im Vorstand des Forums Kollau. Deshalb hat der Verein die Einwohner von Niendorf, Lokstedt und Schnelsen aufgerufen, ihre „Schätze“ zu bergen.
„Viele Familien haben auf ihrem Dachboden oder im Keller noch Kartons mit alten Bildern stehen, und oft wissen sie gar nicht, was für Werte die Kartons der Großeltern bergen.“ Fotos, offizielle Dokumente oder persönliche Briefe – jedes Erinnerungsstück kann eine eigene Geschichte erzählen, und im Ganzen entsteht daraus die Geschichte des jeweiligen Stadtteils.
Aber es geht dem Forum Kollau nicht nur um „stumme“ Geschichte. „Uns ist es wichtig, die Zeugen jener Zeit selbst zu Wort kommen zu lassen“, sagt Schmidt. „Ihre Erinnerungen können heute helfen, uns Stadtteilgeschichte emotional nahe zu bringen.“ Denn nichts sei authentischer, als das, was Menschen erlebt haben. Deshalb hat das Forum Kollau von der Hamburger Fotografin Dörthe Hagenguth einen Film erstellen lassen, in dem acht alteingesessene Niendorfer in ihrer ganz eigenen Sprache tief in die Geschichte des vergangenen Jahrhunderts eintauchen – und diese zum Leben erwecken. Der Streifen feiert an diesem Mittwoch Premiere vor geladenen Gästen und wird am 5. März öffentlich gezeigt.
Sie erzählen von der Idylle des von Bauernhöfen geprägten Dorfes Niendorf vor dem Zweiten Weltkrieg und von den fürchterlichen Nächten, in denen die meisten Gebäude ein Raub von Sprengbomben und Flammen wurden. Hunger und Elend der Nachkriegszeit werden in dem gut 55-minütigen Film ebenso nachvollziehbar wie der wirtschaftliche Aufschwung in den 50er- und 60er-Jahren, als die Zahl der Einwohner Niendorfs sprunghaft stieg.
„Ich hatte eigentlich gar nicht vor, einen so langen Film zu machen“, sagt Dörthe Hagenguth. Von fünf Minuten Gesamtlänge sei sie anfangs ausgegangen, vielleicht auch zehn. Aber dann habe sie die Protagonisten kennengelernt, ihre Geschichten gehört, ihr Schicksal erfahren: „So ist der Film gewachsen.“
Zwei bis drei Stunden lange Interviews – die Fülle des Materials war groß. Da erzählen die vier Timm-Schwestern, deren Familie einen großen Hof besaß, davon, wie die Schweine sich auf die Straßenbahnschienen legten und es niemanden störte. Dieter von Specht aus der Familie von Berenberg-Gossler berichtet, wie sein Großvater die Sommervilla der Familie im Niendorfer Gehege bei Nacht und Nebel habe abreißen lassen, weil die Nazis dort ein Schulungsheim errichten wollten.
Es sind derartige Anekdoten, die den Film sehenswert und die Geschichte für die heutige Generation erlebbar machen. „Ich wollte, dass die Menschen die Geschichte so erzählen, wie sie diese erlebt haben“, sagt Dörthe Hagenguth. Es sei ihr dabei vordergründig nicht um historische Genauigkeit gegangen. „Ich hatte keine eigene These, die durch die Gespräche belegt werden sollte.“ Stattdessen habe sie das „Erlebte“ aufspüren wollen. „Ich wollte komplette Subjektivität“, sagt die 48-Jährige. Deshalb sei dieser Film in letzter Instanz erst beim Schneiden des Materials entstanden.
Niendorf habe sich für so einen Film vortrefflich geeignet. „Wer heute durch den Stadtteil spaziert, kann sich die dörfliche Idylle gar nicht mehr vorstellen“, sagt Dörthe Hagenguth. Wohlhabende Hamburger Kaufleute, die hier ihre Sommerresidenzen hatten, verpachteten die Ländereien, und es ging hier gemächlicher zu als in Hamburg.
„In den Bombennächten 1943 wurde die Welt sozusagen über Nacht zerstört“, sagt Dörthe Hagenguth, die als Fotografin weltweit herumgekommen ist. Sie habe sich bis zu den teilweise sehr persönlichen Gesprächen mit den Protagonisten des Films nicht vorstellen können, „das so etwas geht“.
Es habe ihren Blick auf Niendorf verändert und ihr „viel näher gebracht, was es mal war und was sich in den vergangenen Jahrzehnten veränderte“. Auf diesen Effekt setzt auch Ingelor Schmidt vom Forum Kollau. „Wir wollen diesen Film an Schulen zeigen und hoffen, dass junge Leute ihre Großeltern fragen: ‚Oma, erzähl doch mal!‘.“
Öffentlich wird der Film erstmals am 5. März (19 Uhr) in der Bücherhalle Niendorf im Tibarg-Center aufgeführt. Dort werden auch Reservierungen entgegengenommen.