Hamburger Olympiastarter erinnern sich: Weitspringer Sebastian Bayer erlebte 2012 in London die Begeisterungsfähigkeit der Briten
War es mein fünfter oder mein sechster Versuch? Ich weiß es schon gar nicht mehr. Aber ich erinnere mich noch sehr genau daran, wie ich am Anlauf stand, voll konzentriert auf diesen vielleicht alles entscheidenden Sprung, als ich innehalten musste. Mir war plötzlich, als würde gleich das Trommelfell platzen, da war ein Piepsen im Ohr wie bei einem zu lauten Rockkonzert. Ich blickte auf und verstand: Jessica Ennis war auf der Zielgeraden des 800-Meter-Laufs gerade in Führung gegangen und unterwegs zur sicheren Goldmedaille im Siebenkampf, und die Briten waren außer Rand und Band.
Ich kann mir kaum vorstellen, dass es in einem Leichtathletikstadion jemals lauter war als an jenem 4. August 2012. Der Moment hat sich mir ins Gedächtnis eingebrannt. Es war eine großartige Erfahrung, wie die Londoner ihre Spiele feierten, wie fachkundig auch die Leistungen der anderen Sportler gewürdigt wurden. Das hatte ich noch vier Jahre zuvor in Peking anders erlebt. Die Menschen in China schienen mir manchmal gar nicht bereit zu sein für die Spiele, man hatte vereinzelt den Eindruck, sie wussten nichts mit den gezeigten Weltklasseleistungen anzufangen. Ich erinnere mich noch gut daran, wie leer das Stadion bei den morgendlichen Wettkämpfen war. Nur einige Schulkinder waren auf den Rängen, sie waren mit allem Möglichen beschäftigt, nur nicht mit dem sportlichen Geschehen.
Vielleicht hat auch meine Leistung die Erinnerung an Peking ein wenig eingetrübt: 7,77 Meter, das Aus in der Qualifikation. Ich war damals noch ein Nobody im Weitsprung und hatte mich als deutscher Meister nur ganz knapp über die B-Norm qualifiziert. Mag sein, dass niemand so wirklich etwas von mir erwartet hat. Ich schon. Und zwar so viel, dass es schief ging.
Den Fehler habe ich vier Jahre später zum Glück nicht wiederholt. In London gehörte ich als Europameister mit zu den Favoriten. Am Ende fehlten mir mit 8,10 Meter ganze zwei Zentimeter zu einer Medaille. Ich habe immer mal wieder damit gehadert, aber mit dem Abstand von fast zweieinhalb Jahren würde ich sagen: Mehr als Platz fünf war an dem Tag für mich einfach nicht drin. Deshalb kann ich heute mit einem Lächeln an London zurückdenken.
Besonders an die Zeit im olympischen Dorf. Man lebt dort als Athlet in einer ganz eigenen Welt, zu Tausenden auf engstem Raum. Es ist eine schöne Welt. Ich konnte das bunte Treiben stundenlang beobachten, und sei es nur, wie sich die Sportler aus den verschiedenen Kulturen beim Essen verhalten und miteinander in Berührung kommen. Es sind diese Begegnungen, die für mich Olympia ausmachen, zumal ich von den Wettkämpfen selbst vor Ort viel zu wenig mitbekommen habe.
Umso mehr habe ich die Überfahrt der deutschen Mannschaft von London nach Hamburg mit der MS „Deutschland“ genossen. Wie begeistert wir damals empfangen wurden, können wohl nur noch unsere Fußballweltmeister nachempfinden.
Auch wenn ich damals noch nicht in Hamburg wohnte: Seither weiß ich, dass die Stadt reif, ja prädestiniert für Olympia ist. Ich finde das Konzept absolut stimmig und würde sogar noch weitergehen: Hamburg wird Schauplatz der ersten weitgehend autofreien Spiele, alle Wege werden per Schiff oder E-Bike erledigt. Ich hoffe sehr, dass ich das erleben darf.