Das Aus für das Wiener Café Wirth ist ein Schlag für die Innenstadt. Aber es gibt sie noch, die traditionellen Kaffeehäuser. Sie trotzen den Coffee-Shops.

Hamburg. In Zeiten von Starbucks, Balzac und Co. haben es traditionelle Kaffeehäuser immer schwerer. In den vergangenen Jahren verschwanden gleich mehrere von der Bildfläche: Das Konditorei-Café Andersen aus Wandsbek, das Café Meyer aus Niendorf – und jetzt das Wiener Café Wirth aus der Innenstadt. 1876 gegründet, war es das älteste Kaffeehaus in Hamburg. Das Schmuckstück lag ein Stockwerk über den funkelnden Auslagen des Juweliers Wempe in der Spitalerstraße 28, es war eine Oase der Ruhe mit Flair und Charme. Jetzt sind die Scheiben dunkel, das Gebäude verlassen. Wempe hat die Straßenseite gewechselt, Wirth seine Türen für immer geschlossen.

Das Sterben der Kaffeehäuser ist ein Abgesang auf Raten. Mehr noch: Es ist der Untergang einer ganzen Ära. Das Café Wirth erinnerte noch an Zeiten, in denen man sich mitten im Trubel der City ins Café setzen und bei hausgemachtem Kuchen und ein paar Kännchen Kaffee stundenlang über Gott und die Welt schwadronieren konnte. Oder man studierte ausgiebig die gut sortierten Tageszeitungen, die oft wie frisch gebügelt auf einem Tischchen am Eingang lagen.

Torten statt Muffins, Gebäck statt Brownies

Es waren Jahre, in denen es noch keine Pappbecher und keine Chai Latte gab und in denen niemand etwas mit dem Begriff „Coffee to go“ anfangen konnte. Torten statt Muffins, Gebäck statt Brownies – so war das damals. Dafür durfte man rauchen oder Kognak trinken. Oder ganz einfach einem Musiker zuhören – wahlweise Pianist oder Stehgeiger. Ein Gläschen Sekt, ein wenig Small Talk. Der Ton war gedämpft, telefonieren am Platz – undenkbar. Und die Damen nahmen ihre Hüte oft auch drinnen nicht ab, so als müssten sie schon bald wieder weiterziehen. Gelegenheiten zum Einkehren gab es der City bis in die 1970er hinein noch jede Menge. Gegenüber vom Thalia Theater gab es Café und Konditorei C. F. Wilm, das 1970 verschwand. Im selben Jahr musste auch das legendäre Café L'Arronge an der Dammtorstraße, zweites Wohnzimmer zahlreicher Prominenter, für immer schließen. Das Café des Konditors Otto Vernimb hatte in der Brücke über der Spitalerstraße residiert, bevor 1984 Mövenpick dort einzog. Die gesamte Café–Brücke ist längst Geschichte. Verschwunden, doch nicht unbedingt vergessen, sind auch das Café Gustav Adolf an den Großen Bleichen und das Oertel an der Esplanade.

Stattdessen sprießen Coffeeshops aus dem Boden; mehr als 20 gibt es in der Nähe der Binnenalster. Hier tummeln sich vorwiegend junge Leute, und statt im Kännchen wird der Kaffee in Gläsern oder gleich „to go“ serviert. Das klassische Publikum traditioneller Kaffeehäuser kehrt hier nicht ein. Deshalb glaubt City-Managerin Bettina Engler auch nicht, dass Coffeeshops die alten Cafés verdrängen: „Oft ist es ein Renovierungsstau, verbunden mit Schwierigkeiten, einen Nachfolger zu finden, der die Inhaber von Traditionscafés zum Aufgeben zwingt.“ Gregor Maihöfer vom Hotel- und Gaststättenverband Dehoga sieht die Ursache für das Aussterben der alten Kaffeehäuser in der großen Konkurrenz. „In den letzten Jahren haben viele Coffeeshops eröffnet. Und auch immer mehr Bäckereien bieten gemütliche Sitzecken an.“

Wer heute in der City einen „gepflegten“ Kaffee trinken möchte und dabei Flair und ein bisschen Nostalgie sucht, hat es nicht leicht. Zwar gibt es jenseits diverser „Coffee“-Ketten noch viele andere Cafés im Zentrum der Stadt – aber die sind in den vergangenen Jahren auch mit der Zeit gegangen und haben mit plüschiger Wohnstuben-Atmosphäre oft nicht mehr viel zu tun. Eine kleine Auswahl an klassischen Kaffeehäusern: Da wären in Rathausnähe zum Beispiel das quirlige Café Paris oder das Petit Café an den Hohen Bleichen, das malerisch gelegene Arkaden-Café in den Alsterarkaden, das vornehm-traditionelle Condi im Hotel Vier Jahreszeiten oder das Café Meinl, das „Wiener Kaffeehaustradition seit 1862“ verspricht, in der Europa Passage.

Wo die Tradition gepflegt wird

In den einzelnen Stadtteilen, da gibt es sie noch – die urigen Cafés, in denen die Zeit scheinbar stehen geblieben ist: Die Konditorei Lindtner und das Petit Café in Eppendorf, die Konditorei Weber in Barmbek, das Lühmann's in Blankenese, das Harvestehuder Funk-Eck, das Café Stenzel in der Schanze – oder das Café Boyens auf der Uhlenhorst. Schon bevor sich Namensgeber Peter Boyens 1974 am Hofweg niederließ, gab es an dem Standort ein Café. Aus dieser Zeit stammen noch die beigefarbenen Fliesen im Verkaufsraum sowie die Blümchentapete und die Mahagoni-Täfelungen im Gastraum. Die Gäste sitzen unter Messing-Leuchtern, auf den dunklen Holztischen liegen weiße Spitzendeckchen. „Wir setzen ganz stark auf Tradition und backen nach denselben Rezepten wie vor 40 Jahren“, sagt Jawed Shah, der das Traditionscafé vor 2012 von Peter Boyens übernommen hat – mitsamt den Konditoren und den Verkäuferinnen, die hier zum Teil seit Jahrzehnten arbeiten. Der 28-jährige Shah studierte damals Betriebswirtschaft. „Ein Café zu führen war eigentlich nicht geplant, aber Herr Boyens fand keinen Nachfolger.“

Mit der Übernahme rettete er nicht nur das Café am Hofweg vor der Schließung, sondern auch die Konditorei an der Gertigstraße, wo Torten und Gebäck quasi aus der Backstube heraus verkauft werden. Um zu Silvester Berliner zu ergattern, stehen die Kunden hier Schlange. Die spießige Gemütlichkeit des Cafés am Hofweg mögen auch junge Gäste. „Von wegen Latte macchiato; bei uns verlangen sie Filterkaffee“, sagt Shah. Der wird – ganz altmodisch – in Messingkännchen serviert, für 3,90 Euro; das Stück Torte dazu kostet 2,60 Euro.

Obwohl er die Tradition erhalten will, weiß Shah, dass er auch mit der Zeit gehen muss. Er hat die Belieferung von Hotels und Restaurants ausgebaut, die die Qualität der Torten und der liebevoll gemachten Petit Fours schätzen, und ist ins Hochzeitstorten-Geschäft eingestiegen. Anfang des Jahres eröffnete er in der Langen Reihe die Kaffeebar Boyens – eine Mischung aus klassischem Café und Coffeeshop.