Insgesamt beziehen rund 180.000 Hamburger, also jeder zehnte, Harzt IV. Damit ist die Zahl zwar etwas niedriger als vor zehn Jahren, trotzdem fällt DGB-Vorsitzende Katja Karger ein kritisches Urteil.

Hamburg Die einen sprachen von Armut per Gesetz, die anderen von der Jobmaschine. Vor zehn Jahren trat Hartz IV in Kraft. Je nach Betrachtungsweise fällt die Bilanz unterschiedlich aus. Friedhelm Siepe, Hamburg-Chef des Jobcenters, sagt, dass es richtig war, Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe zusammenzulegen.

„Zwei Leistungen aus einer Hand. Das führte zu Synergien. Es wurde aber auch Ehrlichkeit hergestellt, weil Erwerbsfähigkeit per Gesetz definiert wurde“, sagt Friedhelm Siepe. Wer drei Stunden oder mehr am Tag arbeiten kann, gilt seit 2005 als erwerbsfähig. Bestätigt sieht Siepe sich auch in folgenden Zahlen. Im Jahr 2005 vermeldete die Statistik gut 98.000 Arbeitslose in Hamburg, eine Quote von 11,3 Prozent. Heute sind es rund 70.000, was einer Quote von 7,2 Prozent entspricht. Im gleichen Zeitraum stieg die der Menschen, die einen sozialversicherungspflichtigen Job haben, um 20 Prozent, von rund 738.000 auf mehr als 888.000.

Rund 180.000 Hamburger, also jeder zehnte, beziehen Hartz IV. Zum Vergleich: Berlin liegt bei 17,8 Prozent, der Bundesdurchschnitt bei 8,2 Prozent. Die aktuelle Zahl ist etwas niedriger als vor zehn Jahren. Der Höchststand wurde 2007 mit 205.000 erreicht. Grund: Unter den ehemaligen Sozialhilfeempfängern wurde eine große Zahl an nun Erwerbsfähigen, also jenen, die mehr als drei Stunden am Tag arbeiten können, erkannt. Von den 180.000 Hartz-IV-Beziehern sind 89.000 mindestens zwei Jahre im System. Mehr als zwei Drittel von ihnen haben keine Berufsausbildung und 60 Prozent keinen oder einen Hauptschulabschluss. Allein 39.000 Hamburger beziehen Hartz IV durchgehend seit zehn Jahren.

„Die Wirtschaft benötigt immer mehr Fachkräfte und keine ungelernten Hilfsarbeiter. Das müssen wir gerade Schülern frühzeitig sehr deutlich machen. Die Eintrittskarte zum Arbeitsmarkt heißt qualifizierte Berufsausbildung oder Studium“, sagt deshalb Sönke Fock, Chef der Arbeitsagentur. Seine Bilanz nach zehn Jahren fällt gemischt aus. „Hartz IV hat insgesamt für mehr Transparenz und soziale Sicherheit gesorgt, weil Menschen im System sichtbar wurden, die vorher keinen Zugang zum Arbeitsmarkt oder zu beruflicher Weiterbildung hatten“, so Fock. Andererseits gebe es aber auch Herausforderungen wie den hohen Anteil an Ungelernten, die trotz vieler Versuche nicht zum Erfolg führten.

Der finanzielle Aufwand, den der Bund und Hamburg betreiben ist hoch. Der Bund zahlt jährlich Hartz-IV-Bezüge in Höhe von 430 Millionen Euro und 92 Millionen Euro Eingliederungshilfen. Hamburg kommt mit 500 Millionen Euro für die Unterkunft und Heizung auf und beteiligt sich mit 22,5 Millionen Euro an den 150 Millionen Euro Verwaltungskosten, von denen der Bund die übrigen 85 Prozent bezahlt.

Erst jüngst hatte sogar Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) Fehler bei der Einführung der Reformen unter der damaligen rot-grünen Bundesregierung eingeräumt. Danach hätte nach seiner Ansicht schon damals der Mindestlohn eingeführt werden müssen, damit der „unfaire Niedriglohnsektor sich nicht derart“ ausbreite. Dass der Mindestlohn vor Hartz IV schützt, glaubt Jobcenter-Chef Siepe nicht. „Bei rund 1400 Euro macht das etwa 1000 Euro netto. Das reicht für Singles, für Familien aber nicht.“ Letztere müssten dann über Hartz IV aufstocken, um etwa die größere Wohnung zu finanzieren.

Hamburgs DGB-Vorsitzende Katja Karger kommt nach zehn Jahren Hartz IV zu einem kritischen Urteil. „Wir haben in Hamburg eine immer größere soziale Spaltung, eine erschreckend große Kinder- und immer größer werdende Altersarmut. Dafür ist auch das Hartz-IV-System verantwortlich.“

Gleichzeitig werde die Zahl der Langzeitarbeitslosen nicht kleiner, die meisten verblieben im System, so Karger weiter. Das Ziel, sie in den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln, scheitere. „Es kommt viel zu oft zu einem Drehtüreffekt: Die Betroffenen werden in Maßnahmen verwiesen und landen anschließend direkt wieder im Hartz-IV-System.“ Weil sich bei den Beschäftigten die Angst vor dem sozialen Abstieg breitgemacht habe, werde jede Art von Arbeit angenommen, seien die Bedingungen auch noch so schlecht. „Der Niedriglohnsektor hat sich in dieser Stadt etabliert, prekäre Beschäftigungsverhältnisse breiten sich massiv aus.“