Sind 60 zusätzliche Lehrerstellen zu wenig? Bildungspolitiker von CDU, Grünen und FDP fordern mehr Geld für förderbedürftige Schüler.

Hamburg. Die Offenlegung der Zahlen sonderpädagogisch förderbedürftiger Kinder in den vierten Klassen und die Ankündigung, 60 zusätzliche Lehrerstellen für die Inklusion einzurichten, hat die Kritiker nicht beruhigen können. Im Gegenteil: Grüne, FDP und CDU werfen Schulsenator Ties Rabe (SPD) vor, dass er mit seinem Inklusionskonzept gescheitert sei.

„Die Fehleinschätzung des Senators wird jetzt für alle deutlich. Seine Interpretation der Zahlen ist kühn bis zynisch, wenn man um zwei Drittel danebenliegt“, sagte die Grünen-Bildungspolitikerin Stefanie von Berg. Die von Rabe in Auftrag gegebene Einzelfallprüfung hatte ergeben, dass 6,6 Prozent der Viertklässler einen sonderpädagogischen Förderbedarf in den Bereichen Lernen, Sprache sowie emotionale und soziale Entwicklung (LSE) haben. Rabe war von vier Prozent ausgegangen und hatte daran die pauschale Zuweisung von Förderstunden („systemische Ressource“) an die Schulen orientiert.

Grünen-Vorschlag: 15 Millionen Euro in Fonds

Der Senator hat angekündigt, wegen des höheren Anteils an LSE-Kindern in den kommenden zwei Schuljahren 60 zusätzliche Lehrerstellen für den inklusiven Unterricht in den Klassen 5 und 6 der Stadtteilschulen zu schaffen. Die Grünen haben dagegen schon vor Jahren einen mit 15 Millionen Euro ausgestatteten Inklusionsfonds vorgeschlagen, mit dem flexibel nachgesteuert werden könnte. „Der Senator hielt dieses Instrument nicht für nötig und behauptete, die Schulen würden sich die Fallzahlen ausdenken. Das ist nun zum Glück ein für alle Mal widerlegt.“

In die gleiche Richtung zielt die CDU-Schulpolitikerin Karin Prien: „Seit Jahren haben Grund- und Stadtteilschullehrer darauf hingewiesen, dass die Zahl der Kinder mit Förderbedarf viel höher ist als vom Senat offiziell zugegeben.“ Es sei eine Schande, dass der Schulsenator seinen Lehrern nicht vertraut habe. Die nun veröffentlichten Zahlen zeigten „endgültig, dass das Inklusionskonzept des Senats gescheitert ist“. Die 60 zusätzlichen Lehrerstellen reichten bei Weitem nicht aus. Prien: „Wir fordern seit Langem, die Inklusion zunächst über Leuchtturmschulen zu steuern, die beispielhaft zeigen, wie Inklusion gelingen kann.“

„Die Schulen brauchen eine passgenaue und ausreichende Finanzierung nach Zahl und Profil der förderbedürftigen Kinder“, sagte die FDP-Schulpolitikerin Anna von Treuenfels. Wenn jetzt selbst die von Rabe beauftragten Gutachter bestätigten, dass 65 Prozent mehr Kinder eine LSE-Förderung benötigten als von der Behörde angenommen, dann müsse „das untaugliche System einer unterausgestatteten Gießkannenförderung“ gestoppt werden. Die zusätzlichen 60 Lehrerstellen nannte von Treuenfels ein „Placebo-Wahlgeschenk kurz vor Toresschluss“.

„Dass mehr Inklusionskinder einen erhöhten Personaleinsatz bedeuten, liegt auf der Hand“, sagte Anja Bensinger-Stolze, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Mit lediglich 60 zusätzlichen Stellen würde „jedoch die bisher nur dürftige Ausstattung für die Inklusionskinder fortgeschrieben“.

Rabe steht auch aus einem anderen Grund in der Kritik. Der Senat hatte zunächst in seiner Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen-Abgeordneten von Berg die Zahlen nicht herausgerückt, worauf von Berg Beschwerde bei Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD) einreichte. „Am liebsten hätte der Senator die Diskussion über den Wahltermin hinaus unter dem Deckel gehalten“, sagte Grünen-Spitzenkandidat Jens Kerstan, der Rabe vorhielt, die Bürgerschaft umgangen zu haben. „Wenn der Personalbedarf falsch berechnet war, hätte diese Zahl vor der Aufstellung des Haushalts auf den Tisch gemusst“, sagte Kerstan.