Warum Hamburg jetzt wie ein Unternehmen geführt wird.
Hamburg. Es war am späten Mittwochabend, als in Hamburg eine neue Zeitrechnung begann. Nach drei Tagen intensiver Debatten stimmte die Bürgerschaft mit den Stimmen der allein regierenden SPD und gegen das Votum von CDU, Grünen, FDP und Linkspartei dem Doppelhaushalt 2015/2016 zu und löste damit das seit Jahrzehnten etablierte System der Kameralistik endgültig durch eine kaufmännische Buchführung ab. Mit anderen Worten: Hamburg wird nun – zumindest finanzpolitisch – ähnlich wie ein Unternehmen geführt.
Diese „Doppik“ wurde bereits vor zehn Jahren von Finanzsenator Wolfgang Peiner (CDU) angeschoben und seitdem schrittweise und politisch relativ einvernehmlich umgesetzt. Ziel ist es, mehr Transparenz über die Vermögenslage der Stadt und über die Wirksamkeit von Ausgaben zu bekommen.
Drei Dinge ändern sich grundlegend: Im Gegensatz zum kameralen System, das schlicht Einnahmen und Ausgaben darstellte, enthält der neue Haushalt für jeden Bereich Kennzahlen, die ein Ziel definieren. Zum Beispiel ist dem Etat der Behörde für Wirtschaft und Verkehr zu entnehmen, dass die Fahrgastzahlen im HVV gegenüber dem Basisjahr 1990 in 2015 um 72 Prozent und 2016 schon um 74,6 Prozent gesteigert werden sollen. Der konkrete Ausgabeansatz versteckt sich allerdings in den Millionenansätzen, die für die Förderung der Mobilität zur Verfügung stehen. Am Ende des Jahres kann die Behörde überprüfen, ob die gesteckten Ziele in diesem Bereich, zu denen auch unter anderem ein Ausbau der P+R-Parkplätze gehört, mit dem veranschlagten Geld erreicht wurden.
Die zweite Änderung betrifft eine Praxis, die für Unternehmen selbstverständlich ist: den Wertverlust ihres Besitzes in Form von Abschreibungen zu berücksichtigen. Hamburg hatte – wie fast alle anderen Kommunen und Bundesländer – über Jahrzehnte schlicht ignoriert, dass Immobilien, Straßen oder Brücken an Wert verliert. Wurde das dann durch Schäden offensichtlich, war das Geschrei groß, weil Geld für Reparatur oder Sanierung benötigt wurde, das nicht da war – auch daher ist die Stadt heute mit fast 25 Milliarden Euro verschuldet. Künftig wird dieser Wertverlust im Haushalt abgebildet: 2015 betragen die Abschreibungen 695 Millionen Euro, 2016 schon 730 Millionen.
Auch die dritte bedeutende Änderung betrifft eine kaufmännische Selbstverständlichkeit – nämlich Rückstellungen zu bilden für künftige Verpflichtungen. Das betrifft in erster Linie die Beamtenpensionen, für die Hamburg Jahr für Jahr mehr als eine Milliarde Euro ausgibt. Auch hier galt bisher: Dass die Stadt jedem Angestellten später einmal eine Altersversorgung zahlen muss, wurde lange ignoriert.
Erst seit einigen Jahren wurden zwar entsprechende Versorgungsfonds angelegt, die das abfedern, aber die wahren Verpflichtungen der Stadt wurden erst kürzlich durch ein Gutachten aufgedeckt: Sie liegen bei 26 Milliarden Euro. Daher müssen im Haushalt künftig weitere Rückstellungen von rund 550 Millionen Euro pro Jahr gebildet werden.
Dieses „Neue Haushaltswesen“ offenbart die wahre Lage der Stadt: Kameral betrachtet würde sie glänzend dastehen, da sie 2014 keine neuen Kredite mehr aufnimmt und die Vorgaben der Schuldenbremse bereits einhält. Auch das für 2015 geplante Defizit von 231 Millionen Euro wäre überschaubar. Kaufmännisch betrachtet weist Hamburg hingegen für 2015 ein Defizit von rund 1,6 Milliarden Euro aus. Die Aufgabe künftiger Senat besteht nun darin, dieses Defizit um mindestens 180 Millionen Euro pro Jahr zu reduzieren – so schreibt es das Gesetz vor. Tatsächlich saniert ist das „Unternehmen Hamburg“ daher wohl nicht vor 2024.